Die Frage ist relativ leicht zu beantworten: Ja, es gibt sie. Damit wäre die Kernfrage schnell und einfach, aber effektiv gelöst, der zu erwartende Nutzwert des Artikels – möglichst viele Prosecco- und Alternativen-Tipps zu ergattern – eingeleitet. Denn normalerweise würde der Autor nun seine Kompetenz in einer Tabelle mit mehr oder weniger bekannten prickelnden Kreszenzen unter Beweis stellen. Je mehr für den Leser unbekannte Namen unter den ersten zehn empfehlenswerten Schaumweinen sind, umso größer scheint die Kennerschaft des Autors. So läuft das Tipp-Spiel in aller Regel und damit läuft es relativ einfach. Denn für Empfehlungen gibt es keine Geschmacksgrenze mehr, die letzten Tabus sind mit dem Griff in die Weinregale der Billig-Discounter aufgehoben, die Legende von „genauso-gut-Produkten“ manifestiert sich immer häufiger auch bei Gastro-Profis, die es eigentlich besser wissen müssten. Doch man gibt sich zeitgemäß, anpassungsfähig, Brot und Spiele für die Masse. Wer mehr bezahlt ist doof, lautet die frohe Botschaft, die sich als Genuss-Wahrheit in das Gedächtnis der Verbraucher eingräbt.
Ohnehin ist die Entdeckung des bis dato der Szene unbekannten Top-Produktes so rar wie trinkbarer Kaffee am Frühstücksbuffet eines Mittelklassehotels. Das hat in erster Linie mit der natürlichen Verfügbarkeitsgrenze zu tun. Natur ist unter Berücksichtigung einer bestimmten Qualität nicht beliebig multiplizierbar. Das wiederum beschränkt im natürlichen Sinne die Quantität. Dagegen arbeitet die Industrie im Lebensmittelbereich mit Hochdruck daran, immer mehr künstlich und damit billig erzeugte Produkte auf den Markt zu werfen. Damit lassen sich Milliarden verdienen, wie die deutschen Discount-Ketten eindrucksvoll vormachen. So jagen in Zeiten der gesellschaftlichen Verlidelung und Aldisierung die meisten kulinarischen Entdecker eben dem niedrigsten Preis nach, denn hier liegt die vom überwiegenden Teil der Bevölkerung bejubelte Kompetenz. Das höchste Glück einer ganzen Generation sind Schnäppchen und der geile Geiz. Man lebt erst richtig, wenn der Einkaufstrip in die britische Metropole nicht mehr kostet, als das Busticket in die provinzielle Nachbarstadt.
Insoweit, und damit zurück zu Eingangsfrage, ist die Entscheidung für oder gegen Prosecco, für Champagner, Winzersekt, Cava oder Crémant nicht nur eine Frage des Geldes, sondern vielmehr eine Entscheidung der „genüsslichen“ Weltanschauung. Deswegen sollte man über Prosecco keine Qualitätsdiskussion anzetteln und auch die einschlägigen Profi-Rankings laufen ins Leere. Denn Prosecco ist für viele Zeitgenossen ein Lebensgefühl, das – genauso wie der Mallorca-Urlaub – allen Unkenrufen zum Trotz beim Verbraucher immer wieder ein versöhnliches Gefühl evoziert: Eigentlich ist es gar nicht so schlimm. Im Gegenteil. Prosecco ist also in erster Linie Einstellungssache und damit das kulinarische Erkennungsmerkmal einer bestimmten Klasse und derjenigen, die dazu gehören möchten. Prosecco trägt Modernität und Dynamik schon im Namen, dagegen klingt das Wort „Winzersekt“ wie die personifizierte Provinzialität deutscher Biederkeit. Man möchte fast meinen, dass die Menschen die Prosecco trinken besser aussehen als die hartnäckigen Winzersekt-Fans.
Machen wir uns nichts vor: Prosecco ist ein genialer Marketing-Gag, der das in vielen Deutschen tief verankerte Italien-Gefühl zum Schwingen bringt. Bella Italia, alles was uns dem dolce vita zwischen Bozen und Palermo näher bringt, wird verehrt. Qualität spielt in dieser Beziehung eine nur untergeordnete Rolle. Der in Menschenkenntnis geübte Sommelier wird den oder die Anhänger der Prosecco-Fraktion auf den ersten Blick erkennen und gut beraten sein, mit großer Geste das Kultgetränk aus dem Hut zu zaubern. Am besten begleitet von einer kleinen Geschichte, dass guter Prosecco genauso gut schmeckt wie schlechter Champagner. Oder Mallorca abseits der überbevölkerten Strände am schönsten ist. Es ist ohnehin alles nur eine Frage des Blickwinkels. Sieht man die Welt aus der überschwänglichen Perspektive italienischer Begeisterung – auch für einfache Dinge wie Pasta und Fiat – oder eher aus der leicht versnobten französischen. Apropos Frankreich: Natürlich gibt es auch schlechten Champagner, aber ihn mit deutschem Winzersekt zu vergleichen, hat er nun wirklich nicht verdient. Wer hat eigentlich diesen Unsinn in die kulinarische Welt gesetzt? Champagner erreicht nie die Banalität eines Sektes, immer bleibt ein Rest der Faszination, die allein im Namen begründet liegt: Champagner. Da schwingt festlicher Glitzer mit, wo immer ein Mensch in eine erwartungsfrohe Runde tritt und eine Flasche Champagner auf den Tisch stellt, fangen die – meisten – Augen an zu leuchten. Aber würden Sie ihre nagelneue Viermaster-Windjammer mit einer Flasche Winzersekt taufen?
Es ist eben nicht immer die beschworene Qualität, die den Erfolg eines Produktes ausmacht. Hinter jedem Produkt steckt auch eine Illusion, eine Träumerei, eine Erinnerung und eben auch Lebensart und Lebensgefühl. Wer wüsste das besser als der Sommelier, der täglich mit diesen großen und kleinen Freuden des Lebens konfrontiert wird. Deswegen ist die Frage, gibt es noch andere Schaumweine als Prosecco einfach zu beantworten: je nachdem.
Foto: Pixabay
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