In einer Folge von Helmut Dietls Kultserie „Monaco Franze“ erinnert sich Ruth-Maria Kubitschek alias Annette von Söttingen an ihre Jugend auf einem Rittergut irgendwo im früheren deutschen Osten: „In der Spargelzeit gab es bei uns jeden Tag Spargel: Spargelsuppe, Spargelomelett, Spargel mit Schinken, mit Ei, Spargelpudding. Irgendwann stand mir der Spargel bis hier!“ Sagt sie und macht eine eindeutige Handbewegung. Aber das ist ja das Schöne an einem klassischen Saison-Gemüse, dass nämlich meist zu dem Zeitpunkt, wenn es einem „bis hier“ steht, der Spuk ein Ende und man zehn Monate Zeit hat, um sich von der Asparagin-Überdosis zu erholen und sich wieder auf die weißen oder grünen Stangen freuen zu können.
Was einem manchmal ein wenig auf die Nerven geht, ist der Marketinghype, der hierzulande um den Spargel veranstaltet wird und der an die mittlerweile etwas aus der Mode gekommene alljährliche „Ankunft“ einer roten Plörre namens „Beaujolais Nouveau“ erinnert. Während Spargel für Franzosen und Italiener – meist in seiner grünen Variante – nicht viel mehr ist als eine Gemüsebeilage, wird der in Deutschland bevorzugte Bleichspargel in den Rang einer seltenen Delikatesse erhoben.
Wenn je nach Witterung im März oder April der erste Spargel die Super- und Wochenmärkte erreicht, raunen die Nachrichtenagenturen vom „edlen Stangengemüse“, das nun wieder den Gaumen der Menschen erfreuen darf, während die Spargelköniginnen ihre Talmi-Krönchen auf Hochglanz polieren und Haushaltwarengeschäfte Sondertische mit klobigen Spargeltöpfen und Spargelschnellschälern organisieren. Überall im Land gibt es Spargeldörfer und Spargelstädte, es gibt ein Europäisches Spargelmuseum (in Schrobenhausen), ein niedersächsisches (in Nienburg an der Weser) und noch ein paar mehr, eigentlich hat jedes Spargelanbaugebiet mittlerweile sein eigenes Museum sowie eine gekrönte Repräsentantin. Sogar einen (männlichen) Spargelgrenadier gibt es.
Wobei in Zeiten von Genderismus und lautstark eingeklagter Diversität es eigentlich ein Wunder ist, dass die Institution der Spargelkönigin nicht umgehend der Cancel Culture verfallen ist. Ist doch der künstlich weiß gehaltene, phallisch aufragende (das griechische Wort „spargáein“ bedeutet so viel wie strotzen, geschwellt sein) und in seinen Transportkartons in Reih und Glied militärisch angeordnete Bleichspargel für linke Aktivisten nichts weniger als der Inbegriff von Rassismus, Militarismus und Sexismus und noch dazu aufgrund seines immer noch ansehnlichen Preises erschreckend elitär.
Wer das für allzu weit hergeholt hält, dem sei die Lektüre eines Spiegel-Artikels von 2019 empfohlen, in dem die Kolumnistin Margarete Stokowski dem „alten, weißen Mann der Kulinarik“ und „privilegiertesten Gemüse“ den Krieg erklärt. Den alljährlichen Tanz um den Spargel hält sie für eine „parareligiöse Praxis“, seine Ernte sei „Menschen verachtend”. Als weltanschaulich noch einigermaßen vertretbare Alternative die Dame – notabene – Grünspargel. Der müsse zumindest nicht mit Erde angehäufelt und „extrem pünktlich und früh am Tag“ gestochen (noch so ein Sexismus) werden, eine Arbeit, die heutzutage vor allem unterbezahlte osteuropäische Erntehelfer erledigten, weil sich die Deutschen dafür zu schade seien. FDP-Chef Christian Lindner reagierte damals verschnupft auf den Beitrag und argumentierte streng marktwirtschaftlich. „Die Deutschen lebten in dem Bewusstsein, Spargelnation der Welt zu sein, dabei habe China auch hier die Nase vorn. „Wenn wir nicht den Spargel anbauen, dann werden es andere tun, wie in jeder anderen Technologie auch.“
Dass der Spargelanbau ein wichtiger Wirtschaftszweig ist, dürften auch realsozialistische Gleichheitsfanatiker nicht bestreiten. Seit den 70er Jahren, als Spargel hierzulande wirklich noch ein Luxusgut war, sind Anbaufläche und Erntemenge geradezu explodiert. Heute wird auf gut 24 000 Hektar Spargel angebaut, so viel Fläche beansprucht keine andere Gemüsesorte in Deutschland. Die Erntemenge lag vergangenes Jahr bei rund 112 000 Tonnen, wobei die Preise im Vergleich zur Wirtschaftswunderzeit auf breiter Front gesunken sind, wenngleich sie wegen der weiterhin überwiegend händischen Ernte und dem geltenden Mindestlohn noch nicht Discountniveau erreicht haben.
Zu dieser unter Gerechtigkeitsaspekten erfreulichen Entwicklung trug in entscheidender Weise der längst flächendeckend praktizierte Anbau unter Plastikfolien bei. Diese Technik ermöglicht den Bauern einerseits, Spargel auch in Regionen anzubauen, die klimatisch weniger begünstigt sind als die klassischen Anbaugebiete in den Flusstälern, andererseits können sie den Erntezeitpunkt „verfrühen“ und somit Importen aus Südeuropa und Übersee Paroli bieten. Außerdem müssen Spargel unter der Plane nicht mehr jeden Tag oder sogar, bei großer Wärme, mehrmals am Tag gestochen werden – geschützt vor dem direkten Sonnenlicht, bleiben die schnell wachsenden Sprossen der Spargelpflanze weiß, auch wenn ihre hellgelben Spitzen schon ein wenig aus der Erde herausschauen. Ein weiterer Vorteil von Folienkulturen: man muss weniger Pflanzenschutz betreiben. Nachteil: Spargelanbaugebiete gleichen heute oft einem Plastikmeer – das spanische Almeria lässt grüßen.
Deutsche Konsumenten mögen es nach wie vor gerne makellos weiß – grüner Spargel kommt hierzulande nur auf einen Marktanteil von unter zehn Prozent. Warum das so ist, fällt in den Bereich der Spekulation. Am ehesten sticht wohl das Argument, wonach deutsche Esser mehrheitlich starke Geschmäcker verschmähen und es, wie beim Käse, eher mild mögen. Diese Erwartung erfüllt nur der weiße, während lila oder grüner Spargel deutlich kräftiger, gemüsiger daherkommt. Dass grüner Spargel aber auch in Deutschland im Kommen ist könnte an seiner besseren Kompatibilität mit den Bedürfnissen der Convenience-Gesellschaft liegen. Man muss ihn kaum schälen und kann ihn unkompliziert in der Pfanne oder im modischen Wok braten.
Die vielfältigen Zubereitungsmöglichkeiten von Spargel hatte schon Annette von Soettingen anklingen lassen. In Franken serviert man ihn gerne mit einer kräftig gewürzten Bratwurst, die Schwaben wickeln (dünnen) Spargel in Pfannkuchen und überbacken sie mit Käsesauce. Man kann weißen oder grünen Spargel nach dem Garen auch kalt genießen, mit einer einfachen Vinaigrette, ein paar Schnitzen frischen Parmesans und Stangenweißbrot. Wenn es schnell gehen soll, bietet sich zerlassene Butter an, die man mit ein, zwei Teelöffeln körnigem Dijonsenf aufpeppen kann. Eine wenig bekannte, deftige Begleitung stammt aus Südtirol, die Bozener Soß‘. Dafür braucht es hart gekochte Eier, Schnittlauch und Senf. Man zerdrückt das Eigelb mit Senf und Olivenöl und mischt gehackten Schnittlauch und das ebenfalls klein gehackte Eiweiß darunter.
Klassiker aller Klassiker ist und bleibt die Kombination vorzugsweise weißen Spargels mit rohem oder gekochtem Schinken, einer echten (!) Hollandaise sowie festkochenden Kartöffelchen, wobei die zur Spargelzeit angebotenen „jungen“ Kartoffeln aus Ägypten oder Südeuropa leider meist nach überhaupt nichts schmecken. Aber glücklicherweise gibt es im April und Mai noch Linda, Bamberger Hörnchen oder Moos-Sieglinde aus vorjähriger Ernte.
Abstand nehmen sollte man von Spargel-Themenmenüs, beginnend mit einem feinen Spargel-Bärlauch-Süppchen, gefolgt von rohem Spargel-Carpaccio mit Bärlauch-Vinaigrette, einem Spargelsorbet als kühlendem Zwischengang, bevor als Hauptspeise klassischer Schrobenhausener/Beelitzer/Ingelheimer/Schwetzinger Stangenspargel vom Hofgut Wasweißich mit Schinken und Sauce Hollandaise nebst Kartoffel-Bärlauch-Stampf serviert wird. Als Nachtisch winkt zuweilen ein etwas eigenwilliges Spargelparfait und ein Tütchen mit Spargelkonfekt zum Mitnehmen (gibt’s wirklich!). Dazu wird schlimmstenfalls ein mutig als „Spargelwein“ etikettierter Verschnitt aus oft minderwertigen weißen Rebsorten eingeschenkt. Das ist dann einfach zu viel des Guten.
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Ich hab mal, als wir noch ein fränkisches Gasthaus waren, ein Spargeleis erfunden.
Spargel in Milch kochen (Spargelschalen tun’s übrigens auch), nicht zu lange, der feine Spargelgeschmack verflüchtigt sich gar allzuschnell. Die Milch sollte wirklich stark gezuckert sein, eine kleine, wirklich dezente, Vanillestange schadet nicht. Diese Milch dann in die Eismaschine geben. Dazu ein paar frische gute Erdbeeren, vielleicht eine Schokoladensauce.
Wir essen den, in Butterwasser, gekochten Spargel mit Parmesan besteut. Dazu gibt es Kartoffeln und zerlassene(n) Butter.
´s braucht kein SchiSchi und Fripperies.