Wein-“Papst” Parker – Die magischen 100 Punkte

von | Mrz 31, 2024 | Ausgetrunken | 0 Kommentare

In der schillernden Welt des guten Geschmacks spielt Amerika für Feinschmecker, Gourmets und Connaisseure nur eine untergeordnete Rolle, das Mutterland von Fast Food und Coca Cola ist in Sachen Esskultur weit davon entfernt, eine Weltmacht zu sein. Ganz anders sieht es dagegen in der Weinwelt aus. Amerikanische Winzer gehören längst zur internationalen Spitze, vor allem kalifornische Güter haben mit ihren roten Blends die Vormachtstellung des Bordelais gebrochen und, zum großen Erstaunen der Franzosen, den Bordeaux-Kultweinen Paroli geboten. Noch erstaunlicher, und das nicht nur für Franzosen, ist die Karriere eines Amerikaners, der zum mächtigsten und damit umstrittensten Weinkritiker aufstieg, bis heute mit seinem Bewertungssystem die Geschicke der Weinweltmacht Bordeaux beeinflusst und im Laufe der Jahre das eine oder andere renommierte Châteaux ins Wanken brachte. Doch längst zittert auch die restliche internationale Weinszene vor Parkers Urteil. Geliebt von den einen und gehasst von den anderen, hat sich sein 100-Punkte-System gegen alle Widerstände weltweit durchgesetzt und ist für viele Produzenten und Verbraucher zum wichtigsten Bewertungsmaßstab geworden.

Die Parker-Story beginnt so unspektakulär wie viele Karrieren im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Robert M. Parker, im Juli 1947 in Baltimore geboren, arbeitete nach seinem Studium an der University of Maryland zunächst als Rechtsanwalt. Seit dem Jahre 1975 schrieb Parker in seiner Freizeit über Weine, bewertete seine Verkostungseindrücke mit maximal 100 Punkten und veröffentlichte sie in seinem zweimonatlich erscheinenden Newsletter, der sinnigerweise den Titel „The Wine Advocate“ trägt. Parkers Hauptaugenmerk galt zunächst den Weinen aus Bordeaux, Burgund und von der Côtes du Rhône. Noch nahm kaum jemand Notiz von dem amerikanischen Hobbyweinkritiker, im Jahre 1978 hatte der Newsletter rund 600 Abonnenten.

Der Durchbruch gelang Parker mit einem Überraschungscoup, der ihn über Nacht bekannt machte. Parker lobte in seinem Newsletter den Bordeaux-Jahrgang 1982 als herausragend, während die restliche Kritik die Weine als überreif, säurearm und damit als mittelmäßig bewertete. Zwei völlig konträre Meinungen, die eine entscheidende Frage aufwarfen: Sollte ausgerechnet ein Amerikaner diesen sensiblen Jahrgang und sein Potenzial richtig einschätzen können? Die Châteaux folgen – aus verständlichem Eigeninteresse – Parkers Urteil und hoben die Preise für ihre Weine deutlich an. Damit wurde Robert M. Parker und seinem 100-Punkte-System jene Machtstellung eingeräumt, die fortan zu heftigen Diskussionen um persönliche Vorlieben, Debatten über Einflussnahme auf Preise, aber auch zu Zweifeln an der Weinkompetenz und der journalistischen Unabhängigkeit des Anwaltes führten.

Doch Parkers Einfluss wuchs mit jeder neuen Jahrgangsbewertung. Im Jahre 1984 kündigte er seinen Anwaltsjob und widmete sich fortan hauptberuflich der Weinkritik. Parker schrieb unzählige Artikel über Wein, veröffentlichte zahlreiche Bücher und war der erste Nicht-Franzose, der für das renommierte Magazin „L’Express“ als Weinkritiker engagiert wurde. Ein absolutes Novum! Doch die Grande Nation staunte noch mehr, als Robert Parker im Jahre 1999 vom französischen Staatspräsident Jacques Chirac zum Ritter der Ehrenlegion ernannt wurde.

Standen zu Beginn seiner Kritikerkarriere fast ausschließlich französische Weine im Focus von Parkers Interesse, tauchten in seinem „Wine Advocate“ immer mehr Bewertungen über italienische und amerikanische, Ende der 1990er Jahre dann auch über deutsche, spanische und australische Weine auf. Aus der One-Man-Show wurde ein Verkostungsteam, zu dem, neben Weinhändlern, auch der bekannte und renommierte Wein-Consult und Önologe Michel Rolland gehörte, der gleichzeitig jene Betriebe berät, deren Gewächse auf Parkers Prüfstand standen.

Dieser Interessenkonflikt und die Tatsache, dass Parker-Bewertungen zunehmend den Ritterschlag oder das Todesurteil für einen Wein, sein Renommee und damit für seinen Marktwert bedeuteten, rief die Kritiker auf den Plan. Man sprach – meist hinter vorgehaltener Hand – vom Geschmacksdiktator aus Baltimore, von der „Parkerisierung“, die dem Einheitsgeschmack Vorschub leistete, da er seine Erwartungen an den amerikanischen Konsumenten ausrichte und ohnehin eine Vorliebe für überkonzentrierte und fruchtbetonte Weine mit viel Barriqueeinsatz habe. Immer mehr Weingüter würden dem Parkerstil folgen, um in den Genuss hoher Bewertungen zu kommen. Dagegen hätten historisch gewachsene regionale Weinstile und vergleichsweise finessenreiche und komplex strukturierte Weine kaum eine Chance auf hohe Parker-Punkte und würden nach und nach aus dem Portfolio der Weingüter verschwinden.

Ob Robert Parker und sein Team tatsächlich Einfluss auf die europäische Weinbaukultur nahmen, sei dahin gestellt. Ganz von der Hand zu weisen sind diese Vorwürfe allerdings nicht, denn das Parker 100-Punkte-System ist längst zum willkommenen Marketing-Instrument für den Handel avanciert. Parker-Punkte genießen bei vielen Verbrauchern uneingeschränktes Vertrauen und nicht nur in den USA zeichnen Händler die Weine neben dem Preis gleich mit den dazu passenden Parker-Punkten aus. Laut einer Studie bringt eine Flasche Weine der gehobenen Kategorie genau den Preis, der ihrem Rating in Parker-Punkten entspricht. Letztendlich wird auch der starke Preisanstieg für Bordeaux-Premiumweine Parkers System zugeschrieben.

Ob seriös oder nicht, ist im stetig wachsenden Angebot ein Vermarktungsinstrument und für viele Verbraucher eine unverzichtbare Orientierungshilfe geworden. Am Ende bleibt Wein immer eine individuelle Geschmackssache, mit oder ohne Robert M. Parker. Der hat sich Ende 2012 ohnehin aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen, aber er hinterlässt ein System, das zumindest immer wieder für Entdeckungen gut ist.

Foto: Pixabay

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