Die fetten Jahre sind vorbei – sollte man meinen. Was vielleicht den aktuellen Zustand der deutschen Wirtschaft treffend umschreibt, gilt nicht für das Geschmacksbild des deutschen Rieslings. Im Gegenteil: Die fetten Jahre scheinen hier gerade erst anzufangen. Diesmal schwappt die Mode-Wein-Welle allerdings nicht aus der Neuen Welt zu uns herüber. Denn während zum Beispiel die Amerikaner seit einigen Jahren die filigranen Fruchtnoten und die fein prononcierte Säure deutscher Rieslinge schätzen lernen, tauchen im Stammland der Rebsorte immer mehr fette, alkoholreiche und eindimensional angelegte Fruchtbomben auf. Als Riesling verkleidet, sollen sie das deutsche Chardonnay-Trauma überwinden helfen und verlorenen, heimischen Boden gut machen. Verkehrte Welt? Wenn es nach dem Willen einiger Protagonisten der deutschen Weinszene geht, soll der deutsche Verbraucher, ohnehin williges Versuchskaninchen in Sachen Weinqualität, auf einen internationalen Riesling-Geschmack getrimmt werden. Man gibt sich weltmännisch, Riesling all over the world.
Echte Riesling-Fans und Kenner erschaudern bei diesem Gedanken. Denn viele, vermeintlich modern gemachte Rieslinge, präsentieren sich heute schon wie aufgezuckerte Fruchtzwerge, vordergründig und ohne Perspektive, Weine von belanglosem Geschmack: Vorbei die klassischen Tugenden des Rieslings, in dessen prononciertem Säurerückgrat gerade die unverwechselbare Brillanz lag, der Reife und Größe erst nach Jahren zeigte und dessen Finesse sich in den filigranen Aromen präsentierte? Vorbei die Leichtigkeit des Seins deutscher Rieslinge? Die Anzeichen sind jedenfalls alarmierend. Die Totengräber des klassischen Rieslings sitzen – wie so oft in Deutschland – im eigenen Land. Und sie lehren unter anderem an den Weinbauschulen ihre verblüffenden Weisheiten, dass der Riesling an der Welt genesen soll: Anpassung als Überlebensstrategie. Aber mit der Anpassung an den wechselhaften Durchschnittsgeschmack läuft die edle Rebsorte – ohnehin ein Nischenprodukt im Weltweinmarkt – Gefahr, ihren Charakter und damit ihre Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit zu verlieren. Dazu sackt das Image in den Keller.
Das Problem ist aktuell, aber das Phänomen ist nicht neu. Seit mehr als fünfzig Jahren wird in deutschen Anbaugebieten mehr oder weniger professionell an der Rieslingrebe herumgedoktert, die Weine immer wieder dem vermeintlich gefragten Geschmack angepasst. Die schmerzlichen Erfahrungen der pappigen Süßweinwelle (ausgenommen die edelsüßen Weine) sind bis heute nicht überwunden, der internationale Ruf des Rieslings erholt sich nur mühsam von den Schandtaten der Geschmacksjongleure. Trotz dieses Desasters basteln einige Weingüter schon wieder am Riesling herum. Während alle Welt „zurück zur Natur“ möchte, wird der Riesling in seinem natürlichen Charakter geradezu vergewaltigt. Denn seine natürliche und ausgeprägte Säure scheint für den vermuteten Publikumsgeschmack das Problem zu sein. Vielfach wird deswegen versucht, auf biologischem und chemischem Wege oder mit überdeckender Süße die charaktertypische Säure zu reduzieren und zu kaschieren. Gleichsam bricht man dem Riesling damit das Rückgrat: Plumpe Kraft statt feiner Struktur, schmackhafte Süße statt finessenreicher Aromen sind das Geschmacksergebnis. Von Geschmackserlebnis keine Spur.
In Zeiten, wo zwar alle Welt aus berufenem und unberufenem Munde das Terroir als Grundlage herausragender Weine feiert, scheint die Zukunft den konzentrierten, voluminösen, alkoholreicheren und deutlich mit Restsüße ausgestatteten Weintypen zu gehören. Manch einer sehnt sich nach den filigranen Gewächsen zurück, jenen feinfruchtigen, mit natürlichem Restzucker und feinnerviger Säure elegant verwobenen Rieslingen, deren niedriger Alkoholgehalt auch dem Terroir genügend Spielraum lässt. Zugegeben: Riesling ist keineswegs „everybodys darling“, ist kein Schmeichler aber auch keine Eintagsfliege. Riesling braucht Zeit und Verständnis, Riesling ist wie ein gutes Buch, das auch nicht auf den ersten Seiten sein Geheimnis preisgibt. Fatal wäre, wenn der Riesling – bei aller beschworener Renaissance – das gleiche Schicksal wie der Chardonnay erleben müsste: Ein Glas kann satt machen!
Foto: Pixabay
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