Neulich fragte jemand in einer bis dahin lockeren und unterhaltsamen Weinprobe nach den unterschiedlichen Klonen des gerade probierten Weines und deren amtliche Zulassungsnummer im Zentralregister der Europäischen Union. Kein Problem für den mit allen Insignien des Wein-Wissens ausgestatteten Moderator, es handelte sich um die Klone We M 171, Pinot Noir 667 und FR EA 86-14-A. Jetzt schmeckte der Wein noch mal so gut, kein Wunder, der ahnungslose Verbraucher muss ja genau wissen, was er alles in seinen von der Umwelt geschundenen Körper hineinschüttet. Merkwürdigerweise kapriziert sich dieses Detailwissen oft auf den Wein, was sich sonst in Lebensmitteln verbirgt, interessiert nur einen Bruchteil der aufgeklärten Bevölkerung. Nicht einmal auffällig niedrige Preise für angeblich frische Wurst- und Fleischwaren lassen den Verbraucher aufmerken und Schlimmes vermuten. Ist vielleicht gar kein Fleisch in der Wurst? Aus welchen hochwertigen Zutaten ist eigentlich die mit original italienischer Salami belegte Pizza für 99 Cent fabriziert?
Die so genannten Hersteller hüllen sich in Schweigen, Auskunft gibt lediglich der aufgedruckte Beipackzettel mit chemischen Formeln, die man besser erst gar nicht liest und deren Angaben ohnehin kaum zu durchschauen sind. Dagegen haben gutgläubige Winzer immer wieder ihre Analysedaten offengelegt, Diskussionen über Säurewerte und „extraktfreien Zucker“ zugelassen, während zur gleichen Zeit ein Heer von so genannten Weinexperten den Rebensaft bis ins Detail zerlegt, zerschmeckt und nicht selten zerredet. Da in jedem Deutschen ein kleiner Oberstudienrat steckt, der nicht nur alles genau wissen will, sondern am Ende auch noch alles besser weiß, fiel die Problematisierung des Weingenusses auf fruchtbaren Boden. Sich einfach mal so ein Glas genehmigen und sein Bouquet genießen, gilt für viele heute noch als Frevel und Blasphemie, mindestens sollte man die mineralische Zusammensetzung des Bodens, die Konsistenz der mehr oder weniger krümeligen Feinerde und die durchschnittliche Vegetationszeit aus dem Wein schmecken können. Sonst ist man ja kein Kenner und war wäre sträflicher, als sich in berufener Runde einfach nur dem Genuss hinzugeben.
Bei allem Wissen, das durchaus wünschenswert ist, um nicht zur falschen Flasche zu greifen, sollte nie vergessen werden, dass Wein zum Trinken gemacht ist und damit „des Menschen Herz erfreuen soll“. So steht es jedenfalls schon in der Bibel, und dann kann es ja so verkehrt nicht sein. Staubtrockene Weinvorträge, biochemische Belehrungen und Weinproben mit Volkshochschul-Charakter machen aus dem eigentlich unkomplizierten Getränk ein Buch mit sieben Siegeln. Etwas mehr Lebensfreude und Lust am Genuss stünde einigen „Lehrpersonen“ der Weinszene gut zu Gesicht. Darauf trinken wir erst einmal einen We M 171, Pinot Noir 667, FR EA 86-14-A.
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Wunderschön, es erinnert mich an eine Weinprobe im Kloster Eberbach vor rund 35 Jahren, die dort tätiger Freund für Freunde gemacht hat. Sein Zitat, das ich bis heute beherzige: all die ganzen Erläuterungen und Geschmacksweisheiten sind überflüssig. Entscheidend ist: schmeckt er mir oder schmeckt er nicht…