Es muss nicht immer “trocken” sein!

von | Dez 10, 2022 | Ausgetrunken | 1 Kommentar

Wenn es nach den Klimaapokalyptikern ginge, dürfte es Eiswein gar nicht mehr geben, jene deutsche Süßwein-Spezialität, zu deren Gewinnung die Trauben in gefrorenem Zustand geerntet und gekeltert werden müssen. Durch Bindung und Entzug des Wassers entsteht dabei ein besonders süßer Extrakt mit viel Säure bei niedrigem Alkoholgehalt, weil das Übermaß an Zucker keine längere Gärung zulässt. Der Klimaerwärmung zum Trotz konnte jetzt im sächsischen Radebeul der erste Eiswein dieses Jahrs geerntet werden. Eine “doppelte Sensation”, wie das Staatsweingut Schloss Wackerbarth laut “Sächsischer Zeitung” mitteilte: Noch nie zuvor sei eine Eisweinlese in den Weingärten von Schloss Wackerbarth zwei Jahre in Folge möglich gewesen.

An eine so zeitige Lese der Trauben bereits im November könne man sich bei den sächsischen Winzern außerdem „seit Jahrzehnten nicht erinnern“, schreibt das Blatt weiter. „Denn damit Eiswein geerntet werden kann, ist zur Lesezeit eine Temperatur von minus sieben Grad Celsius nötig.“ Normalerweise würden solche Temperaturen im sächsischen Elbtal erst im Dezember erreicht, heißt es. So wurden in der Lage Goldener Wagen am Sonntagmorgen (20.11.) um fünf Uhr bei klirrender Kälte auf einer Fläche von rund 0,2 Hektar die gefrorenen Trauben von rund 1 000 Traminer-Reben geerntet, natürlich per Hand.

Ansonsten werden auch in Sachsen zumeist mehr oder weniger durchgegorene Kreszenzen produziert, eine Mode, die es zu hinterfragen gilt. Ich habe nämlich noch eine Flasche fruchtigen Traminer vom Weingut des Prinzen zur Lippe aus Proschwitz bei Meißen aus den frühen 2000ern in meinem Keller, der ganz ausgezeichnet mundet und ewig hält, wobei man allgemein sagen muss, dass die Weine aus Sachsen oder jene von Saale und Unstrut in Sachsen-Anhalt, vor allem Weiß- und Grauburgunder, Sylvaner, Riesling und sogar Spätburgunder, eine im übrigen Deutschland völlig unterschätze Rarität sind, die es zu entdecken gälte.

Ich liebe Süßweine und schwimme auch in dieser Hinsicht wieder einmal gegen den Strom. Echte Süßweine wie ein Sauternes, eine Beeren- und Trockenbeerenauslesen und ein Eiswein oder als „lieblich“ etikettierte Weine mit einer deutlich wahrnehmbaren Restsüße gelten ja nicht nur als etwas altväterlich, sondern ob ihrer Opulenz geradezu als Gegenthese zum herrschenden Diktat ökoasketischer Gesundheitsapostel, nach denen Zucker zu den verbotenen Substanzen zählt. Sicher, es gibt Lebensmittel, die unbestritten zu viel Zucker enthalten, weil die Industrie oft auf einen den Absatz fördernden Kindergeschmack setzt. Doch bei Süßweinen handelt es sich um ein Naturprodukt.

Bei einem echten Sauternes aus Südwestfrankreich, einem ungarischen Tokajer oder einer Beerenauslese werden die Trauben quasi in überreifem Zustand geerntet, wobei man sich bei diesen Süßwein-Spielarten einen natürlichen Botrytisbefall („Edelfäule“) zunutze macht – der Pilz macht die Schalen der Weinbeeren porös und lässt das in ihnen enthaltene Wasser verdampfen. Der Most enthält dann soviel Fruchtzucker, dass die Hefen ihre Arbeit nur sehr unvollständig verrichten können – der Restzuckergehalt bleibt hoch bis sehr hoch, der Alkoholgrad niedrig, was Süßweine, entgegen der landläufigen Meinung, zu einem bekömmlichen Genussmittel macht. Um einen Kater zu bekommen, muss man schon zwei Flaschen alleine austrinken. Deutsche und österreichische Trockenbeerenauslesen oder französische Sauternes weisen übrigens einen bei Kenner geschätzten Botrytiston auf, Eisweine nicht.

Mit „lieblichen“ oder „fruchtsüßen“ Weinen, deren Gärung künstlich mittels Druck oder Kälte gestoppt wurde, um ein vollständiges Ausgären des Mostes und damit einen trockenen Wein zu verhindern, haben echte Süßweine ebenso wenig zu tun wie die zuweilen immer noch übliche Praxis, einen Wein nach Ende der Gärung mit „Süßreserve“ – rektifiziertem, also haltbar gemachten Most – abzuschmecken. Das ist in Deutschland ganz legal möglich, im Gegensatz zu jener kriminellen Praktik, bei der Weinfälscher in Deutschland und Österreich in den achtziger Jahren in großem Stil minderwertige Weine durch Zugabe von Dietylenglykol in teure Prädikatsweine verwandelten. Der Glykolskandal beeinträchtigt das Image der Süßweine bis heute.

Dagegen handelt es sich bei der Chaptalisation, der Zugabe von Zucker zum Most vor (!) dem Vergären, nicht um eine Verfälschung, wobei diese Art der „Qualitätsverbesserung“ infolge der Klimaerwärmung und immer reiferen Lesegutes immer seltener wird. In kälteren Zeiten waren etwa die Weißweine von Mosel, Saar und Ruwer oft so sauer, dass man um eine Aufzuckerung nicht herum kam, um sie überhaupt genießbar zu machen. Natürlich kann man auch chaptalisierte Weine trocken ausbauen. Doch an der Mosel gab es die Tradition, den Weinen – wohlgemerkt keine Süßweine – immer eine gewisse Restsüße zu lassen. Im Zusammenspiel mit einer knackigen Säure ergab dies ein filigranes Süße-Säurespiel, das diese Weine von weltberühmten Lagen wie „Erdner Prälat“ oder „Bernkasteler Doctor“ unverwechselbar machte.

Leider werden heutzutage auch immer mehr Moselweine trocken ausgebaut, was die Weinwelt wieder um ein Stück Vielfalt zu bringen droht. Dabei gibt es wohl keinen größeren Genuss, als einen gereiften, restsüßen Riesling oder eine Riesling-Beerenauslese von Mosel, Saar und Ruwer, wahlweise auch aus dem Rheingau oder dem Elsass, zum Süffeln vor dem Fernseher, oder als Begleitung einer Gänseleberpastete, wobei auch diese noble Speise infolge tierschützerischer Bedenken längst auf der Abschussliste steht. Wolfram Siebeck empfiehlt dazu eisgekühlten Sauternes aus „kleinen Gläsern“, was seiner Frankreichliebe geschuldet ist.

Vielleicht meint er einen Chateau d’Yquem, den edelsten und teuersten Süßwein der Welt. Doch diesen Luxusstoff braucht es eigentlich nicht, denn bei Süßweinen kann man infolge der überschaubaren Nachfrage so manches Schnäppchen machen. Vielleicht doch nicht so schlecht, dass das Image von Süßweinen zu wünschen übrig lässt.

Foto: Pixabay

1 Kommentar

  1. Das ist erst der zweite Beitrag, den ich in diesem Blog lese, und schon bin ich euer Fan.
    Das profunde Wissen über das facettenreiche Thema Süßweine, also ich muss sagen:
    Chapeau! Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Erklärung warum Eiswein keinen Botrytiston hat, TBAs und Sauternes aber sehr wohl, und wodurch dieser entsteht, das ist wahrlich ein sog. “Deep dive”. Viel tiefer kann man ein Thema nicht durchdringen. Ich freue mich schon auf die weitere Lektüre.

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