Nationalgericht Sauerkraut?

von | Aug 3, 2022 | Altbewährt | 0 Kommentare

Ausgerechnet die Engländer, die zwar deutsches Bier in respektablen Mengen trinken, aber ihre kulinarische Entwicklung letztendlich der Eroberung der Weltmeere geopfert haben, greifen, wenn es nach ihrer Meinung um den „hässlichen Deutschen“ geht, auch nach Jahren gemeinsamer europäischer Friedensarbeit immer wieder gerne tief in die Kiste vermeintlich deutscher Lebensmittel und verwenden den Begriff „Krauts“ als abwertend gemeintes, stereotypisierendes Synonym für die Deutschen. Das haben wir nun wirklich nicht verdient, dass man uns in dieser einsilbigen Verkürzung des Wortes Sauerkraut als „Krauts“ tituliert. Schließlich sind wir eine gestandene Bier-Nation, die dazu bemerkenswerte Weine im „cool clime“ produziert, das beste Brot der Welt backt, der Welt den Brühwürfel geschenkt hat und nach deren Großstädte nicht nur international erfolgreiche Würstchen und Hackfleisch-Produkte, sondern auch gefüllte oder ungefüllte Backwaren benannt sind. Warum also „Krauts“, was hat es mit dem „kulinarischen Schimpfwort“ auf sich? Bis heute hält sich vor allem im anglophilen Sprachraum hartnäckig das Klischee, Sauerkraut sei das deutsche Nationalgericht schlechthin. Ist also Sauerkraut eine deutsche Erfindung, ein Gericht mit germanischen Wurzeln? Mitnichten. Allerdings sind die Deutschen an der Entstehung der Legende vom „Nationalgericht Sauerkraut“ nicht ganz unschuldig. Wenn der Dichter, Literaturwissenschaftler, Jurist und Politiker Ludwig Uhland in seinen Versen 

„Und dann das edle Sauerkraut, 

wir dürfen’s nicht vergessen. 

Ein Deutscher hat’s zuerst gebraut

drum ist’s ein deutsches Essen…“ 

so etwas wie eine deutsche Urheberschaft einfordert und Wilhelm Busch in seinem pädagogischen Lehrstück von „Max und Moritz“ die Witwe Bolte in den Keller steigen lässt, 

„Dass sie von dem Sauerkohle
Eine Portion sich hole,
Wofür sie besonders schwärmt,

Wenn er wieder aufgewärmt.“

muss man sich nicht wundern, wenn in den Köpfen anderer Nationen das Klischee von den “German Krauts” herumgeistert. Dabei waren es die alten Römer, die bereits vor rund 2000 Jahren ganze Kohlköpfe in Salzlake einlegten. Niemand käme deswegen auf die Idee, den Italienern das Sauerkraut in die Schuhe schieben zu wollen. Auch nicht den Griechen oder Chinesen, die das Säuern von Kraut als effektive Methode des Konservierens ebenfalls gekannt haben. Auf dem deutschen Speisezettel taucht das Sauerkraut erst im ausgehenden Mittelalter auf, als Mönche, die sich übrigens auch um Wein, Käse und Brot verdient gemacht haben, das aus Weißkohl gehobelte Kraut salzten, in großen Holzfässern für die Fastenzeit einstampften und abwarteten. Was nämlich jetzt in den Bottichen stattfand, war nicht nur eine natürliche und effektive Konservierung durch Milchsäurebakterien, die den Fruchtzucker im Weißkraut unter Freisetzung von Kohlensäure in Milchsäure umwandelten, sondern gab aufgrund des entstandenen Geschmacks durch die saure Gärung dem Kohl seinen Namen: Sauerkraut!

Die einfache Methode, Weißkohl in Sauerkraut zu verwandeln und damit Gemüse-Vorräte für die langen Wintermonate anlegen zu können, fiel in einer von Landwirtschaft geprägten Epoche im wahrsten Sinne auf fruchtbaren Boden. Zudem erforderte der im Anbau relativ anspruchslose Weißkohl keine besonderen Kenntnisse und man konnte sich wichtigeren Dingen als der Verfeinerung einer Küchenkultur widmen. Zum Beispiel der Seefahrt, die ansonsten in der deutschen Geschichte keine besonders rühmliche Rolle spielt und ihr maritimes Vermächtnis bis heute der Allgemeinheit in Form einer Sektsteuer aufbürdet, die einst zur Finanzierung der kaiserlichen Flotte gedacht war. Da haben die Engländer ganz andere Erfolge vorzuweisen, aber, und das ist ein Treppenwitz der Geschichte, sie segelten entgegen den deutschen Schiffen, ohne Sauerkraut über die Meere. Nachdem im frühen 18. Jahrhundert entdeckt worden war, dass der Verzehr von Sauerkraut Skorbut verhindern kann, kreuzte kaum mehr ein Schiff unter deutscher Flagge ohne Sauerkrautfass an Bord die Meere. Den Briten schien das Kraut zu profan, sie setzten in ihrer Marine vorwiegend auf Zitronensaft als Prophylaxe, eine prickelnde Ergänzung zum trockenen Schiffszwieback. Was weder Deutsche noch Engländer damals wussten: Sauerkraut enthält die Vitamine A, B, C – rund 400 Gramm Sauerkraut besitzen so viel Vitamin C wie eine Kiwi, sowie Kalium, Kalzium, Eisen und jede Menge Ballaststoffe. Zusätzlich finden sich im Sauerkraut sekundäre Pflanzenstoffe, die die Blutgerinnung beeinflussen, die Verdauung fördern und vor Krebs schützen sollen. Eigentlich ein gesundes Geschenk der Natur, für das die Menschheit dankbar sein sollte. Sollte man meinen. Aber immer wieder taucht das Sauerkraut in Verbindung mit dem bedrohlich wirkenden Deutschen auf, das nicht selten blähende und bissig säuerlich schmeckende Kraut gilt als Synonym vermeintlich deutscher Charaktereigenschaften. Auch die Franzosen, allen voran Jules Verne, taten dem Sauerkraut unrecht.

In seinem Roman „Die 500 Millionen der Begum“, der 1879 in Paris erschien, baut der machtgierige deutsche Professor Schultze nicht nur eine Waffenschmiede für Geschütze und Kanonen nach Krupp’schen Muster auf, sondern hegt eine besondere Vorliebe für Sauerkraut! Zu dieser Zeit war das Elsass noch eine Provinz des Deutschen Kaiserreiches und noch kein Departement der französischen Republik. Denn im Elsass feiert es bis heute Triumphe, hier schmückt das Sauerkraut als kulinarisches Aushängeschild in vielen schmackhaften Variationen die bodenständige Küche, verfeinert mit Wein oder Champagner, garniert mit Würstchen, Bauspeck, Rippchen und Kartoffeln. Typisch deutsch? Die Franzosen, inklusive und gerade wegen der Sauerkraut-Hochburg Elsass, essen mehr Sauerkraut als die Deutschen, deren Verbrauch seit Jahren bei rund 1,2 Kilogramm pro Person stagniert. Das meiste davon stammt aus Polen, echtes deutsches Sauerkraut kommt heute vorwiegend aus dem Gebiet der Fildern südlich von Stuttgart, wo 1883 auch die weltweit erste Sauerkrautfabrik entstand. Doch aus dem vermeintlichen deutschen Nationalgericht ist längst ein regionaler Exot geworden, der nur dort auftaucht, wo es richtig deftig zugeht: Bei der hessischen Spezialität „Rippchen mit Kraut“ wird gepökeltes Schweinekotelett im Sauerkraut gekocht, auf der Schwäbischen Schlachtplatte darf es nicht fehlen und in der herzhaften bayerischen Landküche ist Sauerkraut, meist mit Kümmel gewürzt, ein wichtiger Bestandteil. In Franken wird das Sauerkraut mit BratwürstenLeberknödeln oder Fleisch serviert, eine Heilbronner Spezialität ist der mit grober Leberwurst und Kartoffelpüree geschichtete Sauerkrautauflauf. Eisbein mit Sauerkraut lieben die Berliner und das brandenburgische Umland, Klunz ist ein mitteldeutschesGericht mit Sauerkraut und Schweineschmalz. Reicht das aus, um eine ganze Nation als „Krauts“ zu bezeichnen? 

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