Meine Laufbahn als Journalist begann mit einem kleinen Skandal. Als knapp Zwanzigjähriger schrieb ich für das Wochenblatt „Rheingau-Echo“, eine in meiner Geburtsheimat, dem Rheingau, bis heute viel gelesene Publikation. In einer Reportage über das Erbacher Erdbeerfest ließ ich mich über die dort traditionsgemäß in großen Mengen ausgeschenkte Erdbeerbowle aus, der ich sinngemäß attestierte, sie schmecke nicht, weil sie mehr Wasser als Wein (oder Sekt) enthalte. Die unbewiesene Tatsachenbehauptung – Presserecht sollte ich erst später an der Uni belegen – zog beinahe eine Klage der betroffenen Festwirte nach sich.
Ich glaube, meinem damaligen Verleger Horst Seikel, einem couragierten Mann, gefiel der Bericht trotzdem, vielleicht auch meine aufmüpfige Art. Jedenfalls stellte er sich hinter beziehungsweise vor mich, veröffentlichte klaglos die geforderte Gegendarstellung und ließ die peinliche Angelegenheit im Sande verlaufen.
Wie Ingo verdiente ich mir – Jahrgang 1962 – in meinem Heimatort Eltville am Rhein allherbstlich etwas Geld bei der Weinlese. Der Ruf „Eddtraube raffe““ (Soviel wie: „Hebt gefälligst die heruntergefallenen Trauben auf!“) schallt mir noch heute bin den Ohren. Damals wurden alle vom Stock auf den Boden gefallenen, oft angeschimmelten Trauben aufgelesen und zu so etwas wie Wein verarbeitet – in der extrem selektiven Lesepraxis unserer Tage undenkbar. Im eigentlichen Sinn begann mich Wein allerdings erst einige Zeit später zu interessieren, als ich genug Geld verdiente, um mir irgendwann meine erste Flasche Bordeaux leisten zu können, eine Offenbarung.
Nach ebenso harten wie lehrreichen Jahren an der lokaljournalistischen Front zog ich zum Studium der Journalistik und osteuropäischen Geschichte nach München und verbrachte auch ein halbes Jahr für ein Sprachstudium in Moskau. Politisch war die Endphase von Gorbatschows Perestoika elektrisierend, verpflegungstechnisch jedoch desaströs. Anständige Lebensmittel konnte man damals eigentlich nur auf den privaten Märkten kaufen, die für die meisten Russen unerschwinglich waren. Ich erinnere mich, dort die besten Zitronen meines Lebens erstanden zu haben. Sie waren ungeheuer aromatisch und so süß, dass man sie wie Orangen essen konnte. Ihr Geheimnis: Irgendjemand hatte sie voll-, fast überreif gepflückt wahrscheinlich irgendwo im Kaukasus, und sie wahrscheinlich in der Passagierkabine einer Aeroflot-Maschine innerhalb von Stunden nach Moskau expediert. Frische zahlt sich eben aus, immer und überall.
Nach einem Volontariat bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa), für die ich in Moskau zu arbeiten begonnen hatte, wurde ich zunächst Redakteur in der Hamburger dpa-Zentrale und erlitt dort die norddeutsche Grünkohl und Pinkel-Kultur, danach landespolitischer Korrespondent unter „König“ Kurt Biedenkopf in Dresden, dessen kulinarische Landschaft kurz nach der Wende noch ganz im Zeichen realsozialistischer Genussverweigerung stand. Die Sachsen freuten sich über „Nudeln von Barilla“, die sie für eine besondere Spezialität hielten. Bei der Filial-Kette Nordsee, die als eine Art dpa-Kantine angesehen werden konnte, wurden man mit der in breitem Sächsisch immer wiederkehrenden Frage „Mus oder Salot“ konfrontiert. Ich entschied mich stets gegen Kartoffelbrei und für (Kartoffel)salot als obligatorische Beilage, weil der offenbar mit Industriemayonnaise gemacht wurde, was in diesem Fall ein Qualitätsmerkmal war. Damals lernte ich auch den berechtigterweise gerühmten Original Dresdner Stollen kennen und die Lebkuchentradition eines kleinen Städtchens namens Pulsnitz. Jedes Jahr schrieb ich über diese Spezialitäten.
Im Jahre 2000 gab ich meine Festanstellung bei der dpa auf und zog zurück nach München, schrieb jedoch weiterhin frei für die Agentur, unter anderem zwanzig Jahre lang exklusiv über die Salzburger Festspiele und andere Orte der klassischen Musik und des Musiktheaters. In diesem Zusammenhang hatte ich die Ehre, eine Biografie des leider viel zu früh gestorbenen, großen Dirigenten und Umweltschützers Enoch zu Guttenberg zu schreiben, der mich in seinem Schloss in Oberfranken mit selbst geschossenem Reh bewirtete. In Bayern und Österreich war ich endlich der norddeutschen und sächsischen Kulinarik-Diaspora entflohen und begann nach und nach, mich auch publizistisch diesem Themenbereich zu widmen. Heute schreibe ich darüber für diverse Magazine und eine große Tageszeitung sowie den Internetblog „Achse des Guten“, wo ich wöchentlich die Kolumne Cancel Cuisine unter anderem mit kritischen Seitenhieben auf die ökologische Verzichtsmentalität oder den Niedergang der Traditionsküche bestücke. Dann traf ich Ingo…
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