Obazda

von | Aug 29, 2022 | Altbewährt | 0 Kommentare

Der Münchner Viktualienmarkt ist eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der bayerischen Landeshauptstadt. „Viktualien“ bedeutet nichts anderes als „Nahrungs-„ beziehungsweise „Lebensmittel“. Es handelt sich bei diesem Lebensmittelmarkt aber nicht um einen Wochenmarkt, sondern eine ständige Einrichtung – mit festen Ständen. Ein wenig erinnert der Viktualienmarkt an eine italienische Markthalle, nur unter freiem Himmel, wobei der Platz im Schatten der Peters- und Allerheiligenkirche in der kalten Jahreszeit einer unordentlichen Zeltstadt gleicht, weil die Händler ihre nach außen meist offenen Stände mit Plastikplanen umgeben, um sich und ihre Produkte vor der Kälte zu schützen. Besonders einladend sieht das nicht aus, ein bisschen wie ein Slum.

Die Preise auf dem Viktualienmarkt gelten als so hoch, dass sich fast nur noch Touristen dort mit Essbarem eindecken, in Miniportionen. Natürlich stöhnen die Händler, wenn wieder einmal ein sächselnder Besucher eine hauchdünne Scheibe Bergkäse zu kaufen wünscht, als natürlich streng vakuumiertes Mitbringsel für die Lieben daheim. Die verdrossenen Mienen der Standlbesitzer hellen sich erst auf, wenn jemand wie meine Wenigkeit gleich mal ein 500-Gramm-Stück Parmigiano Reggiano auf Vorrat ersteht, wobei ich mittlerweile preiswertere Quellen habe. 

Es gibt nur wenige Produkte, die ich mir auf dem Viktualienmarkt noch gönne. Dazu zählen frische Pilze an den beiden gut sortierten Pilz- und Beerenständen, sowie – Obazda. Am Stand des Tölzer Käsladens, einem renommierten Affineur aus dem bekannten Kurort am Oberlauf der Isar, gibt es nach meinem Geschmack den besten. Allerdings nur, wenn man Glück hat, und die Touristen einem nicht die letzte Packung vor der Nase weggeschnappt haben. Obazda, den kennt jeder – und die stückige Käsepaste eignet sich gut als Snack für zwischendurch. Auf dem versifften Bordstein oder einer ebenso schmutzigen Treppe sitzend, kann man den Aufstrich bequem mit einer Brezel zum Munde führen, ohne einen, auf gut bayerisch Sauverhau anzurichten. Wenn man eine schnelle Mahlzeit in der Gosse nicht schon selbst für einen solchen hält.

Ein „Batz“ zum schweren Autounfall

Der unvergleichliche Gerhard Polt hat in einem seiner Sketche geschildert, wie er beim Schnapperwirt, einem real existierenden, besonders verkehrsgünstig gelegenen Gasthaus am Tegernsee, Polts Wohnort, beim Genuss einer schönen Maß Bier einen schweren Autounfall miterleben musste. „Die ganze Familie, ein Batz“, kommentierte der sensationslustige Voyeur das schreckliche Unglück. Ein „Batz“ ist demnach in bayerischer Mundart so etwas wie ein zusammengerührtes Gemisch festerer Konsistenz. Der Obazda oder Obatzda beziehungsweise in hochdeutscher Angleichung Obazter ist demnach etwas „Angemachtes“, in der Originalversion bestehend aus Resten kräftig schmeckender Weichkäse wie Camembert oder Brie, die mit weicher Butter verlängert und mit Zwiebeln, Kümmel und Paprikapulver gewürzt werden. Rohe Zwiebeln sind eigentlich fast immer ein kulinarisches No go, in diesem Fall jedoch unerlässlich, um den, je nach Reifegrad, allzu krassen Geschmack der Käsereste geschmacklich auszutarieren.

Etwas leichtere, mit Frischkäse fabrizierte Varianten des Obazdn wie der rheinhessische Spundekäs oder das Frankfurt-Sachsenhäuser „Schneegestöber“ können es meines Erachtens nicht mit der deftigen Delikatesse eines echten bayerischen Obazdn aufnehmen, der zugleich eine ökologisch sinnvolle Form der Resteverwertung darstellt, wobei heute Obazda natürlich auch industriell hergestellt wird, um die großen Gastgärten zu versorgen. An diesen Orten bierseliger Geselligkeit unter freiem Himmel begnüge ich mich, was die Aufnahme fester Nahrung anbelangt, meist mit einer großen Biergartenbrezel, bei der man, wenn sie noch warm aus dem Aufbackofen kommt, wenig falsch machen kann, kulinarisch gesehen. Einen ganz eigenen Geschmack hat der in Österreich, Böhmen und auf dem Balkan verbreitete Liptauer, der mit Topfen (Quark), aber auch gesalzenem Frischkäse aus Schafmilch zubereitet werden kann und, versetzt mit Gurken, Kapern und Sardellen nebst Zwiebeln, Paprika und Kümmel, noch einmal erheblich pikanter daherkommt.

Lizenzgebühr für Gastwirte

Seit dem 16. Juli 2015 sind die Bezeichnungen „Obazda“/„Obatzter“ im Register der geschützten Ursprungsbezeichnungen und der geschützten geografischen Angaben der Europäischen Kommission eingetragen. Nach der amtlichen Definition muss der Anteil an Camembert und/oder Brie in dem Erzeugnis mindestens 40 Prozent betragen, der Anteil an Käse insgesamt Minimum 50 Prozent. O-Ton der betreffenden Verordnung: „Bei der Herstellung werden Camembert und/oder Brie bis zu der gewünschten Stückigkeit zerkleinert und dann mit den übrigen Zutaten zu einer homogenen und streichfähigen Masse vermischt, die eine hellorange Farbe hat. Obazda/Obatzter enthält erkennbare Stücke von Käse. Geruch und Geschmack sind würzig-aromatisch. Er wird traditionsgemäß kalt verzehrt, in der Regel als Brotaufstrich.“

Da haben sich die Brüsseler Bürokraten wieder einmal große Mühe gegeben. So große Mühe, dass Gastwirte, welche die bis dato eher unspektakuläre Spezialität unter dem eingetragenen Namen anbieten wollen, eine Lizenzgebühr zahlen müssen. Man darf davon ausgehen, dass die meisten Wirte diese Auflage schlichtweg ignorieren oder ihren Obazdn einfach als „ogmachten Kas“ verkaufen. Immerhin konnte der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband erwirken, dass im Rahmen einer Bündelung der Lizenzanträge die Kosten auf 50 bis 70 Euro brutto pro teilnehmendem Betrieb gesenkt werden können. Wenn Katharina Eisenreich, von 1920 bis 1958 Wirtin des berühmten Bräustüberls in Weihenstephan und angebliche Erfinderin des Obazdn, seinerzeit schon mit den EU-Sesselfurzern Bekanntschaft hätte machen müssen, hätte sich ihr Käsebatz wohl nie zum Klassiker der bayerischen Brotzeit- und Biergartenkultur entwickelt. 

Hier das Originalrezept aus dem Weihenstephaner Bräustüberl. Auf die PR-gerechte Zugabe von Weihenstephaner Weißbier lässt sich meines Erachtens verzichten.    

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