Warum eigentlich die ganze Aufregung über Studienabbrecher, Ewigstudenten und Fachkräftemangel? Es geht auch ohne Ausbildung, Diplom und Doktortitel von der Alma Mater. Wer in der Republik etwas vermeintlich Anständiges werden möchte, dem stehen vielfältige Möglichkeiten der Selbstfindung offen. Ein Augenblick der inneren Einkehr, und schon hat man seinen Traumberuf gefunden. Führte man zum Beispiel schon immer gerne Selbstgespräche oder neigte im Freundeskreis zum Dozieren über vinologische Urlaubserlebnisse auf abgelegenen Weingütern, dann sollte man sich das zukünftige Dasein unbedingt als Weinseminarist verdingen. Denn in Weinseminaren ist die Nische, in der sich nicht nur gestandene Trinker zusammenfinden, sondern vor allem Randgruppen ihren Wissensdurst löschen können. Kein Wunder, dass der Markt boomt und Weinseminare wie Pilze aus dem Boden schießen: Großstadt-Singles, vernachlässigte Hausfrauen, attraktive Business-Ladys, liebenswerte Homosexuelle, ahnungslose Einsteiger, wissentliche Aussteiger, selbstbewusste Fortgeschrittene und völlig Entrückte treffen sich, um andächtig dem Weinspezialisten zu lauschen, der alles weiß und – das ist das eigentlich Schlimme – auch darüber redet.
Der Weg zum Dozenten ist vielfältig, manchmal braucht der orientierungslose Mensch auch etwas Glück, um seine wahre Bestimmung zu erkennen. Zum Beispiel gewinnt man unverhofft in der heimatlichen Zeitung ein simples Preisausschreiben zum Thema Wein und folgt danach der inneren Stimme, um von nun an den Rest der Welt missionarisch mit dem gerade unter Beweis gestellten Weinwissen zu beglücken. Menschen, denen schon die Schule nachhaltigen Spaß bereitet hat, können Anwesenheitsscheine und wichtige Urkunden an der Viniversität erwerben und mit etwas Fleiß sogar vermeintliche akademische Weihen empfangen, um sich am Ende Weinakademiker nennen zu dürfen. Auch ohne Abitur. Wem dieser Bildungsweg zu aufwendig erscheint und wen selbst die Volkshochschule vor intellektuelle Hürden stellt, der adelt sich als Weinspezialist einfach selbst, druckt hübsche Visitenkarten mit einem phantasievollen Firmennamen und legt dann mit seinen Seminaren los. Der Wein macht’s möglich. Jeder findet seinen Applaus, man muss sich nur publikumwirksam darstellen. Klappern gehört zum Handwerk. Da blicken uns auf selbst gestrickten Homepages Menschen mit bierernsten Gesichtern entgegen, die Spaß und lockere Unterhaltung beim Wein verheißen. Es darf gelacht werden. Das Thema Wein scheint sich immer mehr zu einem Tummelfeld für selbsternannte Spaßmacher zu entwickeln. Wer einigermaßen unfallfrei den Korken aus einer Flasche bekommt oder zwei Wochen in einer Kneipe gejobbt hat, nennt sich heute Sommelier, wer schon mal einen Leserbrief in seiner Schülerzeitung auf die Reihe gebracht hat ist Journalist und wer rote und weiße Weine unterscheiden kann, hält Weinseminare ab. Der jeweilige ehrbare Berufsstand kann sich dagegen kaum wehren und wird mit in einem Topf geworfen. Erstaunlich, dass bei so vielen Weinspezialisten die meisten Zeitgenossen zur Billig-Flasche im Discount-Regal greifen. Natürlich auf Empfehlung eines Fachmannes.
0 Kommentare