Die Plörre namens “Sommerwein”

von | Aug 30, 2022 | Ausgetrunken | 0 Kommentare

Hellbraune Sandalen mit rutschfester Gummisohle, graue Söckchen, kurze Hosen und das Hawaiihemd vom Wühltisch: Die Sommersaison ist endlich eröffnet. Heiße Zeiten beginnen, vielen Zeitgenossen wird es jetzt schon warm ums Herz. Die vermeintlich schönsten Tage des Jahres entpuppen sich immer mehr als Wochen, in denen ungeniert der gesellschaftlichen Verlotterung gefrönt werden darf. Halbnackt beim morgendlichen Bäckerbesuch, mit freiem Oberkörper mal schnell die Zeitung am Kiosk holen. Vorbei die Zeiten der schamhaften Verhüllung von unübersehbaren Problemzonen, die sich eine überfressene Wohlstandsgesellschaft zwischen Stier-Nacken und Fußkettchen leistet. Wabbelnde Fettmassen, scheinbar unschuldig weiß wie italienischer Lardo, werden dem erstaunten Publikum zur Schau getragen. Dicker kann es kaum noch kommen, das Niveau hängt tiefer als die unterste Latte beim letzten Mambowettbewerb im Club-Urlaub auf Malle. Auch in der Gastronomie hat man sich längst dieser Niveaulosigkeit angepasst. Sommerwein heißt das Zauberwort, unter dessen phonetischen Deckmantel sämtliche Plörre aus den Kellern der europäischen Gemeinschaft und angrenzender Rebflächen vertickt wird. Rette sich wer kann. Oder sollen wir alle ertrinken? Was um alles in der Welt ist denn ein Sommerwein? Während in jeder Provinz-Gazette über Harmonie von Wein und Speisen philosophiert wird, sich ganze Generationen von Schlaumeiern über die optimale, ideale und perfekte Zusammenführung der einzelnen Aromen-Nuancen mit der Typizität der Rebsorte Gedanken machen, wird das Wissen im Sommer in banalen Billigweinchen ersäuft. Schmeckt aber lecker: diese tiefsinnige Analytik reicht meist schon aus, um aus belangloser Tankware durchaus empfehlenswerte Tropfen zu machen. Fast ein zweites Wunder von Kana (Er kostete das Wasser, das zu Wein geworden war, Joh 2,1-12). Apropos kosten: Außerdem soll es ja auch nix kosten, schließlich ist Sommer. Wer mehr zahlt ist blöd oder ungeil. Logisch, kapiert jeder. Und das passende Buch – Die besten Weine vom Wühltisch – gibt es auch schon. Empfohlen von führenden Weinexperten, die müssen es ja wissen. Also dann, nix wie rein in den Sommer, solange noch was da ist. Gut gekühlt genießen und einfach mal das hochgestochene Weingelabber der „Alles-über-Wein-Wisser“ vergessen. Die vinologische Sau fliegen lassen ohne darüber nachzudenken, welcher Wein warum und mit welcher Temperatur am besten zum auf krebserregender Holzkohle gegrillten Rindswürstchen passt. Mit oder ohne Senf? Kommt darauf an, wie lange der Senf vorher dekantiert wurde. Also dann: schönen Urlaub, schönen Sommer und Prost Mahlzeit.

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