Immer besser: “Schaumwein” aus deutschen Landen

von | Jun 16, 2023 | Aufmacher, Ausgetrunken | 0 Kommentare

Der Name ist sachlich deutsch, die offizielle Bezeichnung für prickelnde Getränke verweigert in seiner banalen Phonetik jedwede Idee, dass es sich bei „Schaumwein“ um ein Genussgetränk handeln könnte. Dabei ist Sekt fast zwei Jahrhunderten ein beliebter Begleiter für feierliche Anlässe, vom freudigen Familienereignis bis zur Schiffstaufe. Seine Erfolgsgeschichte beginnt eigentlich in der Champagne, deren Weine bis heute Maßstäbe setzen. Mittlerweile hat deutscher “Schaumwein” vielleicht nicht gleichgezogen. Doch zu verachten ist das Blubbergetränk aus deutschen Landen keineswegs.

Dass ein gewisser Matheus Müller von 1841 bis 1843 Mitglied der Nassauischen Deputiertenkammer war, ist im Laufe der Zeit aus dem Gedächtnis seiner Heimatstadt verschwunden. Bekannt geworden, und bis heute geblieben, ist der 1773 in Eltville am Rhein geborene Müller als Sektfabrikant, der aus seinem 1811 gegründete Weinhandelshaus eine erfolgreiche Sektkellerei machte, die ihren „Eltviller Moussierenden“ unter dem Label „MM“ vermarktete. Seinen größten Coup landete das Eltviller Sekthaus im Herbst 1935, als es dem erstaunten Publikum das „MMchen“ vorstellte. Die Viertelflasche im Taschenformat, die für zwei Gläser reicht und auch als Piccolo bekannt ist, erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit. „MM“ kennt jeder, der „Sekt mit dem gewissen Extra“, der seit rund 20 Jahren unter der Regie der Sektkellerei Rotkäppchen-Mumm produziert wird, hat in Deutschland einen Bekanntheitsgrad, den selbst prominente Politiker nicht erreichen.

Doch Matheus Müller war nicht der erste Deutsche, der mit Sekt sein Geld verdiente. Dieses Privileg gebührt Georg Christian Kessler aus Heilbronn, der wie viele seiner Landsleute in die Champagne zog, um dem Geheimnis des moussierenden Weines auf die Spur zu kommen. Dass sich die deutschen Winzer dabei auch leidenschaftlich um die auffallend zahlreichen jungen Witwen der Champagner-Familien kümmerten, ist bis heute an den deutschklingenden Namen einiger Häuser abzulesen. Liebe geht eben auch flüssig durch den Magen. Rund 20 Jahre arbeitete Kessler bei der Witwe Clicquot, bevor er am 1. Juli 1826 in Esslingen die erste deutsche Sektkellerei gründete.

Damit beginnt die Erfolgsgeschichte eines Getränkes, das den Genießer in prickelnden Momenten glauben lässt, dahinter stünde die göttliche Vorsehung mit dem Wunsch, den Menschen genussvolle Augenblicke, Freude, Esprit und Leidenschaft zu schenken, um der unvollkommenen Schöpfung ein kleines Trostpflaster aufzudrücken. Es wäre zumindest der Versuch einer göttlichen Wiedergutmachung, wenn wir Sekt als eine Assemblage aus unterschiedlichen Ideen, Einflüssen und natürlichen Gegebenheiten verstehen würden, gespickt mit dem Können der Winzer und Kellermeister, und ausgestattet mit dem unzerstörbaren Image eines Lebenselixiers, das für Augenblicke Bilder einer schönen, festlich dekorierten und vor allem unbeschwerten Welt in die Köpfe zaubert.

Möglichkeiten zum Rendezvous mit Sekt gibt es reichlich. Wer gerne Wein trinkt, ist schon auf dem halben Weg in die Welt der schäumenden Variante. Kaum ein deutscher Winzer der keinen Sekt im Portfolio hat, hergestellt aus eigenen Trauben, oder produziert von ausgewiesenen Sektspezialisten wie Volker Raumland in Flörsheim-Dalsheim, Norbert Bardong in Geisenheim, dem Sektgut Barth in Hattenheim, den beiden Häusern Solter und Ohlig in Rüdesheim oder dem Wein- und Sektgut F.B. Schönleber in Oestrich-Winkel.

Ob deutscher Sekt dabei dem Champagner das Wasser reichen kann, ist für viele die Gretchenfrage. Aber der Vergleich hinkt. Denn während Champagner ausschließlich aus den in einem streng abgegrenzten Anbaugebiet gewachsenen Rebsorten Pinot Noir, Pinot Meunier und Chardonnay in Flaschengärung produziert werden muss, ist die Sektproduktion weniger streng. Erlaubt sind, neben allen in Deutschland zugelassenen Rebsorten, auch industrielle Produktionsmethoden wie die die einfachste und günstigste Herstellungsvariante im großen Tank. Nur darf auf deutschen Sekt-Etiketten nicht „Méthode Champenoise“ stehen, darüber wacht eine ganze Schar von Champagnerfunktionären mit Argusaugen und bringt jeden Verstoß zur Anzeige. Auf deutschen Sektflaschen ist im besten Falle die klassische Flaschengärung vermerkt, was die gleiche Produktionsmethode bezeichnet.

Dennoch prickeln und schäumen die beiden Getränke in der Gunst der Verbraucher immer wieder um die Wette. Der Concours begann im Jahre 1867 auf der Weltausstellung in Paris, als erstmals ein deutscher Sekt mit einer Goldmedaille ausgezeichnet, und damit zum offiziellen Konkurrenten des Champagners gekürt wurde. Die Cuvée mit dem Namen „Rheingold“ kam aus dem Keller der „Rheingauer Schaumweinfabrik“, die Johann Jacob Söhnlein nur drei Jahre zuvor in Schierstein gegründet hatte. Und während die Champagnerwelt Kopf stand, rückte Kaiser Wilhelm I. seine Pickelhaube zurecht und befahl, dass nunmehr bei offiziellen Schiffstaufen nur noch „Rheingold“ an die Bordwand zu schmettern sei. Kein Champagner, jawoll! Sekt, dessen Namen erst 1925 amtlich wurde, war jetzt das Modegetränk des Kaiserreichs und floss in Strömen durch die Kehlen des aufstrebenden Bürgertums.

Das brachte Wilhelm Zwo im Jahre 1902 auf die glorreiche Idee eine Sektsteuer einzuführen. Die hat bis heute Bestand und wird auch auf importierte Flaschen erhoben. Aktuell kommen pro 0,75-Liter-Flasche 1,02 Euro in den Staatssäckel, was dem Fiskus im Jahre 2019 rund 384 Millionen Euro einbrachte. Zu Wilhelms Zeiten konnte man dafür noch Schiffe bauen, heute muss man froh sein, wenn es für die Restaurierung eines Segelschulschiffes reicht. Das Geld aus seiner Sektsteuer steckte der Monarch in den Ausbau der kaiserlichen Flotte, um die königliche Verwandtschaft in England zu beeindrucken. Doch die Briten zeigten sich von Willis Idee „not amused“ und bestanden nachdrücklich auf ihre Vorherrschaft zur See. Mit deutschem Sekt konnten sie sich schon eher anfreunden und bestellten fleißig bei den Kellereien, die zu Kaisers Zeiten ihren ersten Boom erlebten.

Neben Matheus Müller in Eltville siedelten sich einige der bekanntesten Sektkellereien am Rhein an. Im Jahre 1843 brachte Deinhard in Koblenz seinen ersten Sekt in die Flaschen, gegründet wurde das Unternehmen knapp 50 Jahre zuvor von Johann Friedrich Deinhard inmitten der Altstadt als Weinhandelsgeschäft. Einige Kilometer flussaufwärts war es Christian Adalbert Kupferberg, der am 4. Juli 1850 in Mainz seine „Fabrication moussierender Weine“ aus der Taufe hob. Seitdem thront das Stammhaus auf einer Anhöhe über der Mainzer Innenstadt, ein sichtbares Monument für die Sekttradition der alten Weinstadt. Im Dreikaiserjahr 1888 erweitern die Söhne des Firmengründers das mittelalterliche Gewölbe unter der Kellerei, und lassen auf sieben unterirdischen Etagen den tiefsten Sektkeller der Welt bauen, der insgesamt 60 Räume umfasst.

Den Mainzer Weinhändler Adam Henkell, der in Frankreich Einblicke in die Kunst der Champagnerherstellung erhalten hatte, zog es dagegen nach Wiesbaden, wo er seit den 1850er Jahre seine Sekte produzierte. „Henkell Trocken“ wird sein erster Markensekt und verschafft dem Unternehmen den Durchbruch in Deutschland und im Ausland. Das repräsentative Stammhaus in Biebrich mit dem glanzvollen Marmorsaal ist ein steingewordenes Zeugnis der Erfolgsgeschichte der Familie Henkell und ihrer Sekte; über das Kapitel eines gewissen Joachim von Ribbentrop, der bei Henkell einheiratete, über sein eigenes Handelshaus dessen Produkte vertrieb, und später als Hitlers Außenminister Unheil stiftete, spricht man weniger gerne.

Unter dem Henkell-Dach ist seit 1987 auch die Traditionskellerei Söhnlein beheimatet, die im Jahre 1964 den „Söhnlein Brillant“ auf den Markt brachte und davon im gleichen Jahr eine Millionen Flaschen verkaufte. Zehn Jahre später waren es bereits mehr als 100 Millionen Flaschen. Die Marke „Fürst von Metternich“, deren reinsortigen Sekte aus Riesling, Chardonnay oder Spätburgunder produziert werden, hatten die Söhnleins schon vor mehr als hundert Jahren auf den Weg gebracht.

Auf den Weg gemacht hat sich auch die kleine Sektmanufaktur Schloss Vaux. Im Jahre 1868 in Berlin gegründet, zog es das Unternehmen zunächst auf Château Vaux an der Mosel, unweit vom damals deutschen Metz gelegen. Hier entstehen die ersten Sekte aus eigenen Trauben, doch nach dem Ersten Weltkrieg musste das deutsche Sekthaus sein Domizil verlassen, das nun wieder auf französischem Boden lag. Als neuen Firmensitz wählte man die Sektstadt Eltville im Rheingau aus, zog in einen profanen Backsteinbau an der Kiedricher Straße, verwandelte das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft und pflegt dort erfolgreich mit handwerklicher Produktion das Image einer kleinen feinen Sektmanufaktur.

Seit 2014 bewirtschaftet Schloss Vaux eigene Weinberge im Rheingau, um direkten Einfluss auf die Traubenqualität zu bekommen. Ein Konzept das aufgeht, die Sektmanufaktur ergänzt mit ihren ausgesuchten Gewächsen perfekt das attraktive Angebot an prickelnden und schäumenden Weinen, die von den traditionsreichen Unternehmen im Rhein-Main-Gebiet produziert werden. Hier schlägt das Herz der deutschen Sektindustrie die mit jeder Flasche beweist, dass die 1867 in Paris verliehene Goldmedaille ihren Glanz bis heute nicht verloren hat.

Foto: Pixabay

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