Die meisten Weingüter in Bordeaux produzieren neben ihren jeweiligen Flaggschiff-Cuvées einen Zweit-, gelegentlich sogar einen Drittwein. Diese Abfüllungen, vertrieben unter eigenen Namen, stammen meist von weniger alten Weinstöcken oder von Trauben, die sich nach Ansicht der Weinmacher nicht für das Spitzenprodukt eignen. In schwierigen Weinjahren wird zuweilen die gesamte Ernte dem Zweitetikett zugeschlagen, um den Qualitätsanspruch des jeweiligen Grand Vin nicht zu verwässern. Zweitweine versprechen großen Trinkgenuss mit einem meist akzeptablen Preis-Leistungsverhältnis.
Das Zweitwein-Prinzip gibt es nicht nur in der Welt feiner Weine, sondern auch in feinen Restaurants. Viele etwa mit einem Michelin-Stern oder bis zu zwei, maximal drei Hauben im Gault & Millau geschmückte Adressen, insbesondere auf dem Land, bieten neben einer Gourmet-Speisekarte noch separate Speisekarten mit Klassikern der Wirtshausküche. Meist von den gleichen Köchen in der gleichen Küche unter Verwendung hochwertiger Produkte nach der gleichen Qualitätsphilosophie zubereitet, doch ohne allzu viel Chichi und nervenden Kreativitätsterror.
Manche solcher Restaurants trennen strikt zwischen „Gourmet“- und Wirtshausküche, auch räumlich, wobei sich das Zweitrestaurant zuweilen in einem anderen Gebäude befindet. In anderen Häusern kann man an jedem Tisch alles bestellen, was man möchte und auch Gerichte der Sterne- bzw. Haubenküche mit solchen der Wirtshausabteilung mischen, frei nach Gusto.
Letzteres ist etwa beim fabelhaften Huberwirt in Pleiskirchen in Ostbayern nahe Altötting möglich, dekoriert mit einem Stern im Guide Michelin. Hier gibt es sogar ein eigens konzipiertes Menü, das „Genussmomente“, so nennt der Wirt seine Gourmetkarte und die traditionelle „Wirtshauskuchl“ kombiniert. Da findet sich dann vieles von dem, was das Herz eines Traditionalisten höherschlagen lässt: Grammerlknödel, Geschmorte Rinderbackerl, Kalbslüngerl oder gebackener Kalbskopf, eine Rarität hierzulande.
Beim ebenfalls mit einem Stern ausgezeichneten Gasthaus Hummel in der Oberpfalz kann man die Wirtshausküche im „Alten Saal“ genießen, während sich Sterneadepten in die stylische Gourmetstube verfügen müssen. Die Wirtshauskarte listet neben saisonalen Gerichten wie „Wildschweinbraten mit Reiberknödel“ auf oder „Lammhüfte in der Kräuterkruste“ allerlei unvergängliche Klassiker auf wie Schweineschnitzel „Wiener Art“, Rahmschnitzel mit hausgemachten Eierspätzle oder einen Zwiebelrostbraten.
Auch Erich Schwingshackl, dereinst Küchenchef bei Heinz Winkler in Aschau, serviert in seinem Restaurant „Schwingshackl Esskultur“ in Bad Tölz neben einem Überraschungsmenü aus der Gourmetabteilung allerlei Spezialitäten der bayerischen und Tiroler „Heimatküche“, darunter solche aus seiner Südtiroler Heimat, Schlutzkrapfen beispielsweise. Noch ein Vorteil der „Zweitkarten“: Oft wird die Gourmetküche aus logistischen Gründen nur drinnen serviert, während man Wirtshausschmankerl auch draußen im Biergarten genießen kann.
Zweitlokale oder Zweit-Speisekarten in Sterne- oder Haubenrestaurants sind eine echte Alternative für bodenständige Feinschmecker, die der Extravaganzen der zum Mainstream gewordenen euro-asiatischen Crossover-Küche zunehmend überdrüssig sind und sich nach dem zurücksehnen, was wirklich schmeckt. Dazu kann man ohne schlechtes Gewissen statt überteuerter Weine in kühles Bier zischen. Und die Rechnung wird einem nachträglich auch nicht auf den Magen schlagen.
Foto: pixabay
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