Sauerkrautkrise – Wird das deutsche Nationalgericht zum regionalen Exoten?

von | Feb 23, 2024 | Aufmacher | 0 Kommentare

Auf ihre Art sind mir die Engländer durchaus sympathisch, und das nicht nur, weil sie die Beatles hervorgebracht haben, deren Songs mich von Kindheit an begleitet haben und mich noch heute in eine emotionale Hochstimmung versetzen können. Engländer haben vor allem meinen Respekt, weil sie zu ihrer schlechten Küche stehen, robusten Fußball spielen, den mutigen Schritt gegangen sind, die EU und ihre Geldversenkungsmaschinerie zu verlassen, und von ihrer politischen Elite zumindest Bildung, Stil und Patriotismus verlangen. Also genau das Gegenteil von dem, was wir Deutschen in dieser Liga präsentiert bekommen.

Weniger amüsant finde ich, dass uns die Engländer immer noch und immer wieder gerne als „Krauts“ bezeichnen. Das haben wir nun wirklich nicht verdient! Schließlich sind wir eine gestandene Bier-Nation, die dazu bemerkenswerte Weine produziert, das beste Brot der Welt backt, der Menschheit den Brühwürfel geschenkt hat, und nach deren Großstädte nicht nur international erfolgreiche Würstchen und Hackfleisch-Produkte, sondern auch gefüllte oder ungefüllte Backwaren benannt sind. Den Namen der britischen Hauptstadt tragen nur hauchdünne Markenpräservative.

Warum also „Krauts“, was hat es mit dem „kulinarischen Schimpfwort“ auf sich? Bis heute hält sich vor allem im anglophilen Sprachraum hartnäckig das Klischee, Sauerkraut sei das deutsche Nationalgericht schlechthin. Ist also Sauerkraut eine deutsche Erfindung, ein Gericht mit germanischen Wurzeln? Mitnichten. Allerdings sind die Deutschen an der Entstehung der Legende vom „Nationalgericht Sauerkraut“ nicht ganz unschuldig, wenn Ludwig Uhland in seinen Versen vom „edlen Sauerkraut als deutschem Essen“ spricht. Doch Sauerkraut kannten schon die alten Römer. Dennoch käme niemand auf die Idee, das Sauerkraut den Italienern in die Schuhe schieben zu wollen. Auch nicht den Griechen oder Chinesen, die das Säuern von Kraut als effektive Methode des Konservierens ebenfalls gekannt haben.

Auf dem deutschen Speisezettel taucht Sauerkraut erst im ausgehenden Mittelalter auf, als Mönche das aus Weißkohl gehobelte Kraut salzten, in großen Holzfässern für die Fastenzeit einstampften und abwarteten. Was nämlich jetzt in den Bottichen stattfand, war nicht nur eine natürliche und effektive Konservierung durch Milchsäurebakterien, die den Fruchtzucker im Weißkraut unter Freisetzung von Kohlensäure in Milchsäure umwandelten, sondern gab aufgrund des entstandenen Geschmacks durch die saure Gärung dem Kohl seinen Namen: Sauerkraut! Die einfache Methode, Weißkohl in Sauerkraut zu verwandeln und damit Gemüse-Vorräte für die langen Wintermonate anlegen zu können, fiel in einer von Landwirtschaft geprägten Epoche im wahrsten Sinne auf fruchtbaren Boden. Zudem erforderte der im Anbau relativ anspruchslose Weißkohl keine besonderen Kenntnisse und man konnte sich wichtigeren Dingen als der Verfeinerung einer Küchenkultur widmen.

Zum Beispiel der Seefahrt, die ansonsten in der deutschen Geschichte keine besonders rühmliche Rolle spielt und ihr maritimes Vermächtnis bis heute der Allgemeinheit in Form einer Sektsteuer aufbürdet, die einst zur Finanzierung der kaiserlichen Flotte gedacht war. Da haben die Engländer ganz andere Erfolge vorzuweisen. Doch nachdem im frühen 18. Jahrhundert entdeckt worden war, dass der Verzehr von Sauerkraut Skorbut verhindern kann, kreuzte kaum mehr ein Schiff unter deutscher Flagge ohne Sauerkrautfass an Bord die Meere. Den Briten schien das Kraut zu profan, sie setzten in ihrer Marine vorwiegend auf Zitronensaft als Prophylaxe, eine prickelnde Ergänzung zum trockenen Schiffszwieback. Was weder Deutsche noch Engländer damals wussten: Sauerkraut enthält die Vitamine A, B, C – rund 400 Gramm Sauerkraut besitzen so viel Vitamin C wie eine Kiwi, sowie Kalium, Kalzium, Eisen und jede Menge Ballaststoffe. Zusätzlich finden sich im Sauerkraut sekundäre Pflanzenstoffe, die die Blutgerinnung beeinflussen, die Verdauung fördern und vor Krebs schützen sollen.

Im Elsass feiert das Sauerkraut bis heute Triumphe, hier schmückt es als kulinarisches Aushängeschild in vielen schmackhaften Variationen die bodenständige Küche, verfeinert mit Wein oder Champagner, garniert mit Würstchen, Bauspeck, Rippchen und Kartoffeln. Typisch deutsch? Die Franzosen, inklusive und gerade wegen der Sauerkraut-Hochburg Elsass, essen – kein Scherz! – mehr Sauerkraut als die Deutschen, deren Verbrauch seit Jahren bei etwas mehr als einem Kilo pro Person stagniert. Das meiste hierzulande verzehrte Sauerkraut stammt aus Polen, echtes deutsches Sauerkraut kommt heute vorwiegend aus dem Gebiet der Fildern südlich von Stuttgart, wo 1883 auch die weltweit erste Sauerkrautfabrik entstand.

Doch aus dem vermeintlichen deutschen Nationalgericht ist längst ein regionaler Exot geworden, der nur noch dort auftaucht, wo es richtig deftig zugeht: Bei der hessischen Spezialität „Rippchen mit Kraut“ wird gepökeltes Schweinekotelett im Sauerkraut gekocht, auf der Schwäbischen Schlachtplatte darf es nicht fehlen und in der herzhaften bayerischen Landküche ist Sauerkraut, meist mit Kümmel gewürzt, ein wichtiger Bestandteil. In Franken wird das Sauerkraut mit Bratwürsten, Leberknödeln oder Fleisch serviert, eine Heilbronner Spezialität ist der mit grober Leberwurst und Kartoffelpüree geschichtete Sauerkrautauflauf. Eisbein mit Sauerkraut lieben die Berliner und das brandenburgische Umland, Klunz ist ein mitteldeutsches Gericht mit Sauerkraut und Schweineschmalz. Reicht das aus, um eine ganze Nation als „Krauts“ zu bezeichnen?

Foto: Pixabay

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