Die Innereienküche hat es, im Gegensatz zu Frankreich, immer noch schwer in Deutschland. Und das angesichts in diesem Fall berechtigter Forderungen aus der Öko- und Tierschützerszene, dass man tunlichst die Verwertung ganzer Tiere im Blick haben solle. Also nicht nur die Gustostückerl wie Filet und Keule, sondern auch das, was auf den ersten Blick oder Bissen nicht so attraktiv erscheint – von der Nase bis zum Schwanz. Und dass Fett nichts ist, das man zwanghaft wegschneiden muss, sondern ein wichtiger Geschmacksträger.
Am ehesten lassen sich die Deutschen noch Kalbsleber gefallen, in Mehl gewälzt und gebraten und serviert mit Kartoffelbrei und gedünsteten Apfelscheiben. Oder Fegato alla veneziana, mit gerösteten Zwiebeln und Polenta – kennt man aus dem Italienurlaub. Leider verbinden viele Menschen mit Leber zweifelhafte Kindheitserinnerungen. Nachvollziehbar insofern, als in weniger wohlhabenden und kulinarisch avancierten Zeiten als den heutigen oft Rinder- oder Schweineleber in die Pfanne kam, deren Geschmack in der Tat etwas streng erscheint – vor allem wenn die Scheiben zu lange gebraten werden und sich ihre Konsistenz in die alten Leders verwandelt hat.
Bei Nieren scheiden sich die Geister schon deshalb, weil, igitt, einmal Urin durch sie hindurchgeflossen ist. Bei Kalbsnieren, vor allem wenn man sie vorschriftsmäßig gewässert hat, ist ein Uringeschmack allerdings kaum wahrnehmbar. Auch Nierchen müssen äußerst schonend zubereitet und noch leicht rosa serviert werden. Wenn sie nur ein wenig über den Punkt gegart wurden, hat man es augenblicklich mit Hartgummi zu tun. Da kann auch die schönste, flambierte Dijonsenf-Sauce nichts mehr ausrichten.
Der Genuss von Hirn und Herz scheint noch stärker mit einem Tabu behaftet zu sein. Und von den in großen Mengen Kutteln verschlingenden Franzosen berichtet man zu Hause bestenfalls mit Verwunderung. Kutteln, auch Kaldaunen, nennt man in Streifen geschnittenem Pansen von Wiederkäuern. Sie sehen ein bisschen aus wie fantasievoll geformte Nudeln und können auf vielerlei Weise zubereitet werden. Als Tripes à la nicoise mit Tomaten, Oliven, Knoblauch, Weißwein, Portwein und mediterranen Gewürzen oder mit Morcheln in einer mit Vin jaune, einer Art Sherry aus dem französischen Jura, oder und (echtem) Sherry aromatisierten Sahnesauce.
Kalbsbries wiederum ist hierzulande weitgehend unbekannt, dabei gehört diese nur bei Kälbern anzutreffende Drüse, die sich bei älteren Tieren zurückbildet, zu den größten Delikatessen überhaupt. Entweder paniert und gebacken oder in einer Portweinsauce angerichtet. Wer diese Köstlichkeit verschmäht, dem ist aus kulinarischer Sicht nicht zu helfen. Wenn ich so etwas mal auf der Speisekarte eines deutschen Gasthauses entdecke, breche ich in spontanen Jubel aus.
Zumindest in Süddeutschland und in Österreich hat Lunge ein regionales Refugium gefunden. In Bayern spricht man von (saurem) Lüngerl, in Österreich von Beuschel. Besonders schön anzusehen ist diese graue, breiige Mahlzeit, zu der oft ein Semmel- oder Serviettenknödel serviert wird, zwar nicht, aber wer sich einmal an den recht derben Geschmack gewöhnt hat, wird Lüngerl zu schätzen wissen. In Bayern wurde Lunge, wie andere Innereien auch, oft als Voressen vor der eigentlichen Hauptmahlzeit aufgetischt.
Bei einem echten Altwiener Salonbeuschel gesellt sich zur Lunge noch Herz, zubereitet in einer sauren, fast schon exotischen Soße mit Sardellenfilets, Kapern, Gewürzgurken, Zwiebeln, Knoblauch, Senf, Essig, Zitronensaft und Kräutern, verfeinert mit Sauerrahm. Angeblich labten sich an dieser vergleichsweise einfachen und billigen Speise in der Zwischenkriegszeit die Wiener Salon- oder Kaffeehausliteraten, daher wohl der Name. Die Zubereitung ist nicht unaufwändig, selbst wenn man beim Metzger schon vorgegarte Lungenstreifen ergattert hat.
Sauer macht nicht nur lustig, sondern regt auch zum Trinken an. Deswegen gilt ein saures Lungenhaschee oder Salonbeuschel auch als ideales „Katerfrühstück“ nach durchzechter Nacht. Denn beim Abbau des Alkohols in der Leber werden dem Körper Wasser und Elektrolyte entzogen, was durch vermehrte Flüssigkeitszufuhr kompensiert werden sollte, will man nicht den ganzen Tag mit Kopfschmerzen herumlaufen, „verkatert“ eben.
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gehe absolut konform mit Ihnen, es gibt sooo viele wirklich schmackhafte und – gerade in Zeiten wie diesen – preiswerte Gerichte mit Innereien Leider ist es, wie z.B. in der Brigittenau, einem wiener gemeindebezirk, äußerst schwierig, an frische Innereien ranzukommen, da es keinen einzigen (!) inländischen fleischhauer mehr gibt. Ab und zu kriege ich beim Türken kutteln oder Nieren, wobei mir das “halal” gegen den Strich geht, aber von bries kann ich z.b. nur mehr träumen. Schade!
Bei uns gibt’s die Kuttel’n in süsssauerer Mehlschwitze mit Abernmauke (Kartoffelstampf).Oberlausitz/ Sachsen