Nicht nur zur Weihnachtszeit: Maroni

von | Jan 6, 2023 | Altbewährt | 1 Kommentar

Die Weihnachtszeit ist schon wieder zu Ende, zwar nicht liturgisch, aber zumindest kulinarisch. Und mit ihr endet für viele Menschen auch die Maronizeit. Dabei ist die offenbar unverrückbare Tradition, Weihnachtsgänse mit einer derben Mischung aus sauren Äpfeln und Esskastanien zu füllen, eine der am wenigsten delikaten Methoden, so etwas Delikates wie Maroni zuzubereiten. Folgerichtig ist die Füllung oft das einzige, was von einem opulenten Gansessen übrig bleibt.

Sehr beliebt sind Maroni hierzulande auch als obligatorische Beilage zu Wildgerichten, nebst Rotkohl und Preiselbeerkompott. Doch damit sind die Möglichkeiten, die in rohem Zustand ungenießbaren Esskastanien in schmackhafte Speisen zu verwandeln, lange nicht erschöpft. Sie eignen sich genauso gut für feine Suppen und Desserts oder, ganz einfach, als Sättigungsbeilage zu Fleischgerichten anstelle von Kartoffeln.

Zu Mehl vermahlen, kann man aus Kastanien auch Brot und Kuchen backen – wie einen toskanischen Castagnaccio – oder Pasta herstellen. Dabei ist ein gewisser Anteil „normalen“ Getreidemehls zumindest beim Brotbacken unerlässlich ist. In Italien, wo die Wärme liebende Pflanze prächtig gedeiht, ist Kastanienmehl ein fester Bestandteil der „cucina povera“, der Arme-Leute-Küche. Die erfährt heute in veredelter Form eine Wiedergeburt und begeistert ob ihrer Einfachheit und Konzentration auf den puren Geschmack vor allem gut situierte Städter.

Auch wenn sie nördlich des Alpenbogens als „Wintergemüse“ gelten, kann man Maroni natürlich das ganze Jahr hindurch essen, wenn man auf bereits geschälte und vorgekochte Ware aus dem Glas oder der Vakuumpackung zurückgreift, was eine Menge Arbeit erspart. Ich würde Maroni aus dem Glas bevorzugen, weil sie nicht so zerdrückt sind wie aus dem luftleeren Plastikbeutel.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Botanisch handelt es sich bei den Früchten des Edelkastanienbaumes nicht um „Gemüse“. Maroni sind Nüsse! Im Gegensatz zu Hasel- und Walnüssen haben sie deutlich weniger Fett, dafür mehr als vierzig Prozent Stärke und bis zu fünf Prozent Zucker. Infolge ihrer sättigenden Eigenschaften galten sie vor Einführung der Kartoffel als „Brot der Armen“. Ein großer Kastanienbaum mit 150 bis 200 Kilogramm Früchten könne, so sagte man im einst bitter armen Südtirol, eine ganze Familie ernähren.

Die Esskastanie ist ein sehr schöner und wuchsstarker Baum mit großen, lanzettartigen Blättern, die im Herbst in leuchtendem Gelb, Rot und Orange erglühen. Dann öffnen sich auch die stacheligen Fruchtbecher und lassen ihre dunkelbraun glänzenden Früchte, meist drei an der Zahl, zu Boden fallen. Zuweilen kann man die halb geöffneten, hellgrünen Stachelbälle beim Blumenhändler kaufen, als Dekoware. Dabei sollte man nicht auf die Idee kommen, sie mit bloßen Händen allzu fest anzufassen.

Wildwachsend war die Edelkastanien ursprünglich wohl im Kaukasus beheimatet und wurde spätestens von den alten Griechen im ganzen Mittelmeerraum kultiviert. Die Römer sollen sie als Proviant für ihre Soldaten geschätzt haben: In deren Tornistern schafften sie den Sprung über die Alpen, nach Frankreich, aber auch nach Deutschland und Österreich.

Edelkastanien sind zwar etwas empfindlich gegen Spätfröste, doch weil sie erst im Juni blühen, würden sie selbst im höheren Norden überleben. Um regelmäßig reife Früchte hervorzubringen, wird jedoch eine gewisse Jahresmenge an Wärme benötigt. Deshalb sind bisher Weinbauregionen wie die Pfalz oder Baden ihre bevorzugten Standorte. Das könnte sich jedoch im Zuge der Klimaerwärmung ändern. Förster jedenfalls setzen große Stücke auf die mediterrane Spezies, die auch auf trockenen Böden gedeiht. Sie könnte vielleicht andere Baumarten ersetzen, die mit dem veränderten Klima nicht mehr klar kommen.

Die älteste Edelkastanie der Welt findet sich übrigens im heißen Sizilien, östlich des Ätnas. Erstmals erwähnt wurde der „Kastanienbaum der hundert Pferde“ im Jahre 1636. Im 18. Jahrhundert wurde er zum beliebten Reiseziel europäischer Adeliger auf Kavalierstour. Heute kommt der Baum auf eine Höhe von 22 Metern und hat an der Stammbasis einen Umfang von 50 Metern, wobei darüber gestritten wird, ob es sich wirklich um einen einzigen Baum handelt oder, wie bei sehr alten Linden, um mehrere Teilstämme, die zusammengewachsen sind. Auf jeden Fall demonstriert dieser Baum, wie robust und langlebig Edelkastanien sein können. 

Bevor es wieder um Kulinarik gehen wird, noch dies: Mit den bei uns weit verbreitetet Rosskastanien haben Esskastanien nichts zu tun. Während die Esskastanie eng mit Buchen und Eichen verwandt ist, gehört die Rosskastanie wie die Ahorne zu den Seifenbaumgewächsen. Die Rinde mancher Vertreter dieser großen, vor allem in den Tropen beheimateten Pflanzenfamilie wurden und werden zur Herstellung von Seife verwendet – daher der Name.

Die einfachste Art, Maroni zu genießen, ist es, sie als Wegzehrung an einem der in fast allen größeren Städten verbreiteten Marionistände zu kaufen. In Deutschland werden sie meist auf mit Gas beheizten Blechen geröstet. Das ist, wie es sich in Deutschland gehört, sicher und sauber. Besser schmecken sie, wenn sie auf einem halb offenem Holzfeuer braten. In Österreich gibt es noch diese uralte Art der Zubereitung auf Straßen und Plätzen. Sie verweist auf die Tradition der aus dem Gebiet des heutigen Slowenien kommenden Maronibrater. Die meisten stammten aus Gotschee, einer deutschen Sprachinsel im damaligen Herzogtum Krain. Sie besaßen seit Beginn des 17. Jahrhunderts ein Wanderhändler-Privileg für Maroni.

Mehr als 300 Gotscheer Maronibrater soll es um 1900 in Wien gegeben haben. Mit dem Ruf „Brennhaße Kästen“ – in Südtirol heißen Kastanien auch heute noch „Keschten“ – warben sie neben ihren primitiven, mit Holz geheizten Röstöfen um genusswillige Kunden. Verpackt wurden die hei0en Brocken in „Stanitzl“ genannte, papierne Spitztüten. Maronibrater wurden zu populären Figuren insbesondere des Wiener Straßenlebens und fanden sogar Eingang in die Literatur.

Wer die Arbeit nicht scheut, kann frische Kastanien auch bei sich zu Hause im Backofen rösten. Dafür muss man ihre zähe Schale an der gewölbten Seite mit einem scharfen Messer anritzen, was manchmal blutige Finger zur Folge hat. Dann brät man sie auf einem Backblech etwa eine halbe Stunde, wobei man die Luft im Ofen mittels einer Schale Wasser anfeuchten sollte, damit die Maroni nicht austrocknen. Alternativ kann man die Maroni schälen und in Wasser gar kochen, allerdings  muss man vor Verzehr oder Weiterverarbeitung noch die braune, Gerbstoff reiche Haut entfernen.

Möchte man Maroni als Beilage essen, sollte Zucker mit Butter und vielleicht noch ein wenig Fleisch- oder Gemüsefonds karamellisieren lassen und die Kastanien darin „glacieren“. Man kann auf diese Weise zubereitete Maroni nicht nur zu Wild reichen, sondern auch zu einem Kalbsbraten oder einem schönen, durchwachsenen Schweineschnitzel. Dazu vielleicht noch etwas frisches Stangenbrot, wie bei den Franzosen, wo die Küche der Auvergne, des Limousin und der Ardèche viele Kastanienrezepte kennt. Darunter eine Kastaniensuppe: Kastanien mit Wurzelgemüsen und Gewürzen in Wasser gar kochen, das Gemüse pürieren und mit Eigelb und Sahne aufmixen. Ein Schuss weißen Portweins veredelt diese Suppe mit Suchtfaktor zu einer recht feinen Speise fernab der Arme-Leute-Küche.

In der Schweiz gibt es noch ein Kastaniendessert, das seinesgleichen sucht, allerdings extrem gehaltvoll ist. Es heißt „Vermicelles“, was so viel bedeutet wie „Würmchen“ und aussieht wie bräunliches Spaghetti-Eis. Es handelt sich um süßes Maronipüree, das mit Kirschwasser und Vanille aromatisiert und zusammen mit Schlagrahm auf einem Meringue-  auf deutsch Baiserboden serviert wird. In der Schweiz ist diese Süßspeise so beliebt, dass man Maronipüree vorgefertigt in jedem Supermarkt bekommt, oft in wurstähnlichen Hüllen, die man nur noch in eine passende Vermicelles-Presse stecken muss. Man sollte die Kastanien-Wurst nur nicht mit in ähnlicher Weise abgepacktem Fensterkitt verwechseln, AUCH wenn die Masse 666ausgehärtet über ähnliche Klebeeigenschaften verfügen sollte.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei “Kontrafunk Radio – Der Stimme der Vernunft”. Einem Hörer verdanke ich noch folgenden Hinweis:

“Was ich an dem sehr informativen Beitrag von Herrn Etscheit richtig vermisst habe: der Kastanienhonig. In Deutschland kommt immer aus dem Pfälzer Wald oder der Ortenau. In der Schweiz aus dem Tessin. Österreich bezieht ihn womöglich aus Südtirol, hat aber vielleicht auch eigene Anbaugebiete im Süden des Landes.”

Herzlichen Dank dafür!

Foto: Pixabay

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für den interessanten Beitrag!
    Die erwähnten Vermicelles gibt es in auch Frankreich, zumindest in Elsass, unter dem Name „torche aux marrons“. Sie sind weit verbreitet, aber ob torche aux marrons in Elsass genauso bekannt ist wie vermicelles in der Schweiz kann ich nicht sagen.

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