Die Matjes-Saison hat in diesem Jahr später begonnen als sonst, weil es in den Fanggebieten des Herings in der zentralen Nordsee bis hinauf nach Schottland und in den südlichen Gewässern Norwegens kälter war als gewöhnlich. Soviel zu den Ungerechtigkeiten des Klimawandels. Jedenfalls war der offizielle Start der Saison mit der traditionellen Versteigerung des ersten Fasses mit jungem Matjes auf den 22. Juni verschoben worden, eine gute Woche später als im Vorjahr.
Die Saison für „jungen“ Matjes dauert rund zwei Monate, also noch bis etwa Mitte August. Wirklich frischer „junger“ Matjes ist in Deutschland selten zu bekommen. Wenn man ihn bei einem einschlägigen Fischhandel während der aktuellen Fangsaison via Internet bestellt, hält er, zu Hause angekommen, meist nur zwei Tage. Besser also, man ordert die Fischfilets, die als „Doppelmatjes“ von der nicht abgetrennten Schwanzflosse des Fisches zusammengehalten werden, tiefgekühlt oder kauft sie als aufgetaute TK-Ware im Fischgeschäft, wo Matjes das ganze Jahr über angeboten wird.
Die Kältebehandlung tut ihrem Geschmack wenig Abbruch, allenfalls die Konsistenz des Fleisches weist gewisse Unterschiede auf, die allerdings kaum auszumachen sind, wenn die Fischstücke in einer deftigen Sauce nach „Hausfrauenart“ schwimmen. Wobei ich mir die bange Frage stelle, ob das Wort „Hausfrau“ nicht auch längst auf dem Index steht. Und was ist mit der Hausmannskost? Männer dürfen zwar diskriminiert werden, vor allem, wenn sie alt und weiß sind, doch umfasst der Terminus Hausmannskost natürlich keine Transmenschen und andere Diversitäten. Schließlich gäbe es noch den Begriff „nach Hausmacherart“, der politisch am wenigsten anstößig erscheint. Brav zu Hause zu bleiben, ist spätestens seit Corona und Klimakrise ja wieder en vogue.
Das Wort Matjes leitet sich vom niederländischen Meisje (Mädchen) ab und bedeutet so viel wie Mädchen- oder Jungfernhering. Denn Matjes entsteht aus jungen, nicht geschlechtsreifen Heringen, die einen hohen Fettanteil von etwa 18 bis 20 Prozent haben. Nach dem Fang werden zunächst die Köpfe und Innereien mit Ausnahme der Bauchspeicheldrüse entfernt. Anschließend kommt der Fisch mit Salz, Haut und Gräten eine Woche lang zur Reifung in ein Holzfass. Ein Enzym aus der Bauchspeicheldrüse verwandelt den Fisch zusammen mit dem Salz in einen Matjes und gibt ihm seinen typischen Geschmack. Matjes ist daher im engeren Sinne kein roher, sondern ein fermentierter Fisch und somit, was die aktuelle Fermentations-Mode anbelangt, absolut up to date.
Matjes wird grundsätzlich kalt genossen. „Warme Majtes sind wie warmer Kaviar“, schreibt Wolfram Siebeck in einem seiner Kochbücher und empfiehlt die recht umstandslose Zubereitung eines Matjestartars. Dazu werden die Matjesfilets grob gewürfelt und mit feingehacktem Dill, „allerfeinst“ gehackten Zwiebeln Salz und Pfeffer vermischt und auf Pumpernickel oder Schwarzbrot serviert. Naturell ohne überflüssiges Beiwerk, wie Austern serviert, komme sein sanfter Geschmack am besten zur Geltung, meint der selige Fresspapst.
Wer mit dem Aroma von im weiteren Sinne rohen Fisch ein wenig fremdelt, badet ihn in einer würzigen Tunke – nach Hausfrauenart. Ich rühre dazu selbst eine Mayonnaise an und verlängere sie mit saurer Sahne und Jogurt, damit es keine allzu mastige Angelegenheit wird. Jetzt kommen geschnittene Cornichons und Apfelstücke dazu und, wenn es noch edler sein soll, eine Handvoll Nordseekrabben. Abschmecken kann man mit Salz, Pfeffer, Senf, Meerrettich und Zitronensaft.
Den etwas penetranten Dill finde ich als weitere Zutat ebenso entbehrlich wie rohe Zwiebelstücke. Allenfalls leicht angedünstet würde ich sie tolerieren, dann verlieren sie ihre Schärfe und Aufdringlichkeit, die dem sanften Matjes schlecht ansteht. Dazu gibt’s dunkles Brot oder Bratkartoffeln. Als Getränk bietet sich Bier an und zum Schluss ein klarer Schnaps. Matjes ist eines der wenigen Speisen, zu denen Wein definitiv nicht angesagt ist.
Foto: Pixabay
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