Wie leer sind die Meere?

von | Feb 4, 2023 | Aufmacher | 0 Kommentare

Karpfen ist so etwas wie der deutsche Michel unter den Speisefischen. Teilnahmslos dümpelt er in seinem von Menschen geschaffenen Teich-Habitat, genießt die Gefangenschaft und ernährt sich ökologisch korrekt vor allem vegetarisch – von Pflanzen, Algen sowie ein paar Bodentieren. Wenn seine Zeit gekommen ist und das Wasser im Teich abgelassen wird, lässt er sich wehrlos aufsammeln. Auf dem Teller ist er zwar keine Delikatesse, macht aber doch eine recht ordentliche Figur, ob gekocht als „Karpfen blau“ oder herzhaft paniert als gebackener Karpfen. Manche mögen ihn nicht, weil er ziemlich viel schwabbeliges Fett auf den Rippen hat.

Bei Umwelt- und Tierschützern genießt Karpfen dagegen einen Ruf wie Donnerhall. Die wackeren Ökokrieger von Greenpeace lehnen den Verzehr insbesondere wild gefangener Speisefische ab und lassen nur wenige Ausnahmen gelten. Die Weltmeere seien ausgeplündert, überfischt, manche Fischarten stünden kurz vor dem Aussterben. Besserung sei nicht in Sicht.

„Uneingeschränkt empfehlenswert ist aus Greenpeace-Sicht nur der Verzehr von Karpfen“, heißt es auf der Webseite der Organisation. Thunfisch, Hering und Kabeljau respektive Dorsch sollte hingegen nur aus bestimmten Gebieten stammen und mit ganz bestimmten, umweltverträglichen Methoden gefangen worden sein, heißt es weiter – Supermarktprodukte erfüllten diese Standards häufig nicht. Ganz verzichten solle man auf Aal, Seezunge, der aus Hai zubereiteten Schillerlocke, Krebsscheren und Nordseekrabben. 

Ins gleiche Horn stößt der Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND). Aktuell seien 34 Prozent der weltweiten Fischbestände überfischt. Weitere 60 Prozent würden bis an die biologischen Grenzen ausgebeutet und stünden „kurz vor einer Überfischung“. „Reduzieren Sie ihren Fischkonsum und testen Sie pflanzliche Alternativprodukte. Fisch auf dem Teller muss eine Delikatesse sein“, appelliert der BUND an die Konsumenten.  

Tatsache ist: Der Hunger der mittlerweile auf gut acht Milliarden Individuen angewachsenen Menschheit auf Fisch und andere Meeresprodukte ist enorm. Und er wächst weiter. Seit Anfang der Sechzigerjahre ist der durchschnittliche Fischkonsum eines Menschen von neun auf gut zwanzig Kilogramm pro Jahr gestiegen. Um diesen Hunger zu stillen, fahren die Fangschiffe immer weiter hinaus, fischen länger und tiefer und nutzen immer bessere Ortungstechniken, denen die Tiere kaum noch entkommen können.

Fisch müsse wieder zur Delikatesse werden, fordert der BUND. Doch eines darf man dabei nicht vergessen: Für Millionen, wenn nicht Milliarden von Menschen vor allem in weniger entwickelten Ländern stellen Fisch und Meeresfrüchte inklusive Algen immer noch die wichtigste, billigste und infolge des Proteinreichtums dieser Lebensmittel auch gesündeste Nahrungsgrundlage dar.

Doch wie schlecht steht es wirklich um die einst als unerschöpflich geltenden Fischgründe der Ozeane?  Verlässliche Zahlen für den Zustand der Weltfischbestände werden regelmäßig von der Welternährungsorganisation FAO erhoben und veröffentlicht. Nach dem 2022 erschienenen, neuesten Bericht der FAO befinden sich 35,4 Prozent der etwa 450 marinen Fischbestände bzw. Fischereien, über die ausreichende Informationen vorliegen, im roten Bereich. Sie sind kollabiert, überfischt oder erholen sich gerade. Sie werden derzeit nicht nachhaltig genutzt. Weitere 57,3 Prozent sind maximal, aber nachhaltig genutzt, und nur 7,2 Prozent haben noch Entwicklungsmöglichkeiten, sie gelten als „unternutzt“.

Einer der beliebtesten Mythen im Zusammenhang mit der Nutzung von Meeresfisch ist der von den leergefischten Meeren“, urteilt das Johann Heinrich von Thünen-Institut in Braunschweig, eine Bundesbehörde im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Umweltverbände schlügen häufig den „maximal genutzten Bereich“ dem roten, also übernutzten Bereich zu, und formulierten dann zum Beispiel, dass „über 90 Prozent der marinen Bestände bis ans Limit genutzt oder bereits kollabiert“ seien.

Diese Formulierung suggeriere, so das Thünen-Institut, dass bis zur Grenze genutzte Bestände in naher Zukunft kollabieren würden. Dies jedoch sei eine Fehlinterpretation. Selbst die FAO habe klargestellt: Die Kategorie „maximal genutzt“ dürfe nicht mit „überfischt“ vereint werden, denn maximale Nutzung bedeute optimale Nutzung. In ihrem aktuellen Report weist die FAO explizit darauf hin, dass im Jahre 2019 82,5 Prozent der Anlandungen der von der FAO überwachten Fischereien auf nachhaltig genutzte Bestände entfallen.

Tatsächlich ist, entsprechend internationaler Abkommen, die „maximale Nutzung“ die Zielvorstellung des Fischereimanagements. Zwei Drittel der marinen Bestände finden sich also derzeit im grünen Bereich und der Anteil der optimal genutzten Bestände ist laut Thünen-Institut über viele Jahre stabil geblieben. Fazit des Instituts: „Der Zustand der marinen Ressourcen ist viel besser, als die meisten Menschen glauben, auch wenn wir vom Ziel einer nachhaltigen Nutzung aller Meeresfischbestände noch immer weit entfernt sind.“

Entwarnung? Ja und nein. Klar ist, dass die Kassandrarufe der Umweltorganisationen weit übertrieben sind und wohl vor allem auch dem Zweck dienen, den Strom an Spenden nicht versiegen zu lassen. Je dramatischer der ökologische Zustand des Planeten geschildert wird, desto eher sind die Bürger, so das Kalkül, bereit, denen unter die Arme zu greifen, die Rettung verheißen. Andererseits ist der Druck auf die Fischgründe groß und er wird bei einer mehr oder weniger ungebremst wachsenden Weltbevölkerung noch zunehmen.

Um in den Bemühungen um ein besseres Fischereimanagement nicht nachzulassen, kann die persönliche Kaufentscheidung durchaus eine Rolle spielen. Orientierung versprechen die ständig aktualisierten Fischratgeber der Umweltverbände. Den wohl detailliertesten kann man auf der Webeseite des WWF, des World Wide Fund for Nature finden. Hier sind die 73 gängigsten Speisefisch- und Krusten- bzw. Schalentierarten aufgeführt und mit einer Art Ampel versehen. Ein grüner Punkt bedeutet „gute Wahl“, ein gelber „zweite Wahl“ und ein roter „lieber nicht“.

Nur ein einziger grüner Punkt – „gute Wahl“ – findet sich beim WWF allein bei der Auster, dem Afrikanischen Wels und dem Karpfen. Wels und Karpfen kommen hierzulande ausschließlich aus Aquakultur, während Austern in großem Stil in den Gezeitenzonen des Atlantiks, etwa an der französischen Küste, gezüchtet werden. Mit einzelnen roten Punkten – „lieber nicht“ – kennzeichnet der WWF Hai, Rochen, Aal, Granatbarsch, Wittling und Blauflossenthun.

Alle anderen Fischarten haben oft bis zu drei Punkte, grün, gelb, rot. Hier steckt der Teufel im Detail. Nehmen wir beispielsweise die in Bayern gerne als Steckerlfisch in Biergärten servierte Makrele. Nur der Makrelenbestand im Nordostatlantik sie gesund, heißt es in der entsprechenden Erläuterung – grüner Punkt. Für das Mittelmeer und den östlichen Mittelatlantik gebe es zu wenig Daten, die Bestände schienen aber überfischt zu sein – roter Punkt. Für den Nordwestatlantik – USA und Kanada – lägen keine aktuellen Bestandbewertungen vor – zwei gelbe Punkte.

Man kann sich all diese Angaben zwar aufs Handy herunterladen. Doch besonders alltagstauglich ist dieser Ratgeber nich, denn kaum ein Fischhändler wird im Zweifelsfall immer eine befriedigende Antwort geben können. Und nur die allerweinigsten Konsumenten dürften sich die Mühe machen, im Supermarkt die aufgedruckten Herkunftsangaben zu studieren und mit den Informationen im Fischratgeber abzugleichen. Zudem bleibt immer eine Unsicherheitsspanne, weil die Datenlage für die zahllosen weltweiten Fischereien doch oft recht dünn ist, von Problemen wie der illegalen Fischerei einmal ganz abgesehen.

Hier kommt das blaue Siegel des Marine Stewardship Council (MSC) in Spiel. Es prangt mittlerweile auf zahlreichen Packungen auch in den Kühlregalen der Supermärkte und Discounter. „Produkte, die aus Fischereien stammen, die den Anforderungen des MSC genügen, können aus unserer Sicht konsumiert werden“, schreibt das Thünen-Institut auf Nachfrage. Das MSC-Siegel sei zwar kein “Goldstandard” für höchste Ansprüche, doch es trage dazu bei, die Auswirkungen der Fischereien auf die Meeresumwelt und die jeweiligen Bestände so gering wie möglich zu halten.

Von Hardcore-Ökos wie den Leuten von Greenpeace mit ihrer penetranten Umerziehungsagenda wird der MSC oft als zu lax kritisiert, als Greenwashing. Doch wir sollten uns von ihnen nicht den Appetit verderben lassen. Vor allem nicht in der bald beginnenden vorösterlichen Fastenzeit, wenn Fisch in allen Variationen wieder in aller Munde ist.

Foto: Pixabay

Dieser Beitrag wurde zuerst im Gastro-Magazin Leib & Speise bei Kontrafunk-Radio gesendet.

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