Musterschüler sind in der Regel nicht sonderlich beliebt, wer wüsste das besser als wir Deutschen. Fleiß, Korrektheit, Toleranz und Großmut verwechseln viele unserer Nachbarn mit krankhafter Arbeitswut, Rechthaberei, Spießbürgertum und engstirniger Borniertheit. Und natürlich gelten wir schon aus historischen Gründen als, nun ja, besitzergreifend und einnehmend. Dabei garantieren gerade diese Tugenden den deutschen Werktätigen den Platz an der Sonne, der ihnen im wohl verdienten und tarifvertraglich garantierten Urlaub zusteht.
Auch am Pool in fremden Ländern muss die bewährte Hausordnung deutscher Freibäder analoge Anwendung finden, um im lotterhaften und disziplinlosen Ausland halbwegs die Ordnung aufrecht zu halten. Es gilt – politisch korrekt den Umständen angepasst – die an vielen Strandabschnitten erprobte Devise: wo ein deutsches Handtuch erst einmal liegt, kommt kein anderes mehr hin. Denn während deutsche Badegäste in aller Herrgottsfrühe ihre Pool-Position sichern, lümmeln sich andere Nationen noch in den Betten herum oder vertun wertvolle Zeit am Frühstücksbüffet. „Morgenstund’ hat Gold im Mund“, wer zu spät kommt, der darf eben nicht in der ersten Reihe liegen. Im Prinzip ist die deutsche Welt gerecht. Aber der Gerechte muss leiden, so steht es schon in der Bibel und so nehmen wir es klaglos hin, dass uns die Welt fast einstimmig die Fähigkeit zur unbeschwerten Lebenslust und damit auch zum Genuss abspricht. Ein Missverständnis und leicht widerlegbares Vorurteil.
Fehlt uns etwa die Lebenslust, nur weil die deutsche Küche die Nahrungsaufnahme auf den Punkt bringt? Ohne aufwendig inszenierte Schnörkel und überflüssigen Schnickschnack? Bei allfälliger Kritik an deutscher Lebens(un)lust schwingt immer eine gehörige Portion Neid mit, die uns trotz verordneter EU-Völkerverständigung aus dem befreundeten Ausland entgegenschlägt. Der Neid auf deutsche Tugenden, deutschen Fleiß und vor allem auf deutsche Wertarbeit hat Tradition und scheint niemals zu ruhen. Immer wieder sind wir dieser gierigen Meute ausgesetzt, die einfach ignoriert, dass die größten kulinarischen Errungenschaften des modern life aus dem Land der Dichter und Denker kommen.
Denken wir nur an den bis heute ungebrochenen Siegeszug der Tütensuppen und Brühwürfel, nicht zu vergessen die international omnipräsenten Frankfurter Würstchen. Auch die erfolgreichste Restaurantkette der Welt hat ihr Hackfleisch-Flaggschiff auf den Namen einer hanseatischen Großstadt getauft. Da staunen selbst die Sterne verwöhnten Franzosen. Nach ihrer Hauptstadt sind lediglich schlüpfrige Hilfsinstrumente zur Empfängnisverhütung benannt – und das auch nur im ordinären Volksmund. Dagegen stehen Frankfurter und Hamburger für den Triumph des deutschen Fleischerhandwerks, Schulter an Schulter mit amerikanischem Pioniergeist und Geschäftssinn. Ein Erfolgsmodell, das längst als Visitenkarte des internationalen Geschmacks gilt: Der erste Schritt zur ernst zu nehmenden Großstadt, zur internationalen Metropole, der Weg in die kulinarische Zivilisation führt ohne Umwege über die Lizenz eines Fast-Food-Restaurants. Keine ehrgeizige Nation, kein aufstrebendes Volk sollte auf dem Weg nach oben wichtige Business-Zeit mit unnötigem Essen vertun. Time is money. Und Geld regiert die Welt, deswegen kann man es nicht essen.
Schauen wir dagegen voller Mitleid nach Frankreich und Italien, die Länder angeblicher kulinarischer Höhenflüge. Fahren dort etwa Autos, die vor den strengen Augen deutscher TÜV-Prüfer bestehen könnten? Oder gibt es einwandfrei funktionierende Mischbatterie in den ohnehin oft schmuddeligen Hotels? Kann sich der ahnungslose Geschäftsreisende in diesen Ländern auf ein lückenloses Mobilfunknetz verlassen, um mit den leitenden Angestellten ständig in Telefonkontakt zu bleiben? Überall Fehlanzeige.
Und warum ist das so? Weil französische und italienische Ingenieure und Konstrukteure wertvolle Arbeitszeit in Restaurants vertun. Keiner dieser Ignoranten beherzigt den alten, weisen Spruch aus Deutschlands Lehrinstituten: voller Bauch studiert nicht gern. Dabei kann essen durchaus in den Rhythmus einer aufstrebenden Nation eingebunden werden. Gibt es etwas Schöneres als auf der Straße ein heißes Würstchen mit Senf hastig im Gehen zu verschlingen? Man spart den lästigen Restaurant-Stopp mit all seinen zeitraubenden Unannehmlichkeiten und kann sich während des genussvollen Reinbeißens in die fetttriefende Wurst zielstrebig neuen, wirklich wichtigen Aufgaben nähern.
Doch die ideale Symbiose zwischen der immer wieder bemängelten deutschen Antihaltung zur Dienstleistung und einer unproblematischen Nahrungsaufnahme ist das Drive-in. Essen auf Rädern, Schlingern und Fahren gleichzeitig. Je nach Getriebeart des Fahrzeuges – empfehlenswert für Drive-in-Besuche sind Automatikgetriebe – sollte man die Hauptspeise in die rechte Hand nehmen. Den Pappbecher mit dem Kaltgetränk inklusive Strohhalm wird dabei sanft zwischen die Oberschenkel gepresst und kommt nur bei extremem Durst zu vorsichtigem Einsatz. Vermeiden Sie während der ersten drei Bissen kurvenreiche Strecken, da nur eine Hand zum Lenken zur Verfügung steht. Als Nachtisch nimmt man Pommes zu sich, die bei allzu forscher Fahrweise auf dem Beifahrersitz verstreut werden und damit auch leicht bei Nachtfahrten zu ertasten sind. Die in den meisten Fällen gleich mitgelieferte Tüte kann auch in Fällen des plötzlichen Erbrechens nützliche Dienste leisten.
Bedauernswert dagegen die armen Franzosen, die stundenlang auf ihr Essen warten müssen und während dieser Zeit mit trockenem Weißbrot und versalzener Butter vertröstet werden. In den schlimmsten Fällen wird der unglückliche Gast mit einem „Amuse Geule“ über die Unzulänglichkeiten der Küche vertröstet. Was immer das heißen mag, es verheißt meist nichts Gutes und ersetzt natürlich keine ausreichende und warme Mahlzeit, weswegen eigentlich das Lokal aufgesucht wurde. Denn wenn eine Küche für solche Minispeisen genügend Zeit hat, anstatt etwas Ordentliches auf den Tisch zu bringen, dann kann es ja nicht so weit her sein mit der „Haute Cuisine“.
Da sollten sich die französischen Sterneköche mal in den Gastuben der deutschen Provinzen umschauen und sich bei den Schnitzelkönigen eine Scheibe abschneiden. Das ist auch ohne weiteres möglich, denn hier hängen nicht nur die Schnitzel über den Tellerrand. Von den Beilagenportionen könnte ein Gourmetrestaurant drei Wochen doppelte Portionen austeilen. Die gastronomische Renaissance der Speisung der Armen. Hier ist der deutsche Genießer in seinem Element, und das zu einem Preis, für den der Franzose nicht einmal eine Vorspeise anrühren würde, weil der Verdacht nahe liegt, dass es sich hierbei um die geschickte Aufarbeitung verdorbener Lebensmittel handeln könnte. Aber was soll man von einem Volk erwarten, das Käse nur in Stücken mit der Messerspitze als Nachspeise verzehrt? Und ein Volk, das so schlechtes Bier braut, dass es zwangsläufig eine Nation von Weintrinkern werden musste. Armes Frankreich.
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Die deutsche Küche ist auch geprägt durch Zeiten, in denen die Bevölkerung kein Geld oder keine Nahrungsmittel zur Verfügung hatte. Dazu die verordnete Sparsamkeit des 3. Reiches. Das hat auch mit zur verbreiteten Haltung der Deutschen “Hauptsache billig und viel” geführt.