Hühner aus der Bresse, einer Landschaft zwischen Saone und Jura in Ostfrankreich, gelten als die besten der Welt. Sie haben einen unvergleichlichen Eigengeschmack, die Essenz des Geflügels sozusagen. Vor ein paar Jahren hatte ich Gelegenheit, ein solches Tier serviert zu bekommen, zubereitet nach einem traditionellen Rezept. Dazu wurde der Topf, in dem das Huhn mit Gemüsen schmorte, mit einem Teigmantel dicht verschlossen. Als der Kellner die Teigkruste aufbrach und den Deckel lupfte, entstieg dem Topf ein unvergleichlich intensiver Duft. Serviert wurde das Gericht in zwei Gängen, einmal die besten Teile, Brust und Keulen, mit der herrlichen Sauce und Gemüsen, anschließend der noch einmal kurz angebratene Rest des an der Karkasse hängenden Fleisches als eine Art Salat.
So etwas bekommt man nicht alle Tage und auch nicht überall. In diesem Fall fand ich das Gericht vor ein paar Jahren auf der Karte eines mit einem Michelin-Stern geschmückten Schlossrestaurants im Jura, nicht weit entfernt von dem sympathischen Weinort Arbois. Es handelt sich um das Chateau de Germiney in Port-Lesney am Ufer der Loue, einem im Juragebirge entspringenden, munter und frisch dahinfließenden Flüsschen, an dessen Ufer sich im Sommer die Badegäste tummeln. Ein Idyll.
In der Hoffnung, das Wunderhuhn im Topf noch einmal genießen zu können, reservierte ich vor ein paar Tagen erneut im Chateau. Unterdessen steht ein anderer Chef am Herd und aus einem Stern sind zwei geworden, was ich mit einem gewissen Bedauern zur Kenntnis nahm, weil mit steigender Zahl der Sterne fast immer die Bodenhaftung verloren geht und der Stil der Küche internationaler und damit austauschbar wird – von den Schwindel erregenden Preisen ganz abgesehen.
Das Restaurant im Chateau Germiney heißt jetzt Maison Jeunet, der Chefkoch ist ein gewisser Steven Naessens, aus Belgien stammend, was angesichts der allbekannten Verfressenheit der Belgier kein Schaden sein muss. Mit zwei Sternen handelt es sich um eines der besten Restaurants ganz Frankreichs auf Augenhöhe mit legendären Adressen wie Bocuse in Lyon oder Haeberlins „Auberge de l’Ill im Elsass.
Immer noch traumhaft schön: die Terrasse des Hotels mit Blick auf den Park und die Ausläufer des Jura, von rechts schallt ein Froschkonzert, von links meldet sich zu späterer Stunde ein Kauz oder eine Eule. Das Publikum ebenso nobel wie unbefangen, oft (betuchte) Menschen auf Durchreise an die Côte d`Azur – wie ein deutsches Ehepaar das nahe St. Tropez ein Boot besitzt und dort von Bucht zu Bucht schippern will zusammen mit einem Terrier, der nach Auskunft der Besitzer diese Art humaner Freizeitgestaltung verabscheut. Er vermisse die Wiese, sagt man mir.
Dass in einem Luxushotel Hunde Zutritt haben ist eher ungewöhnlich, besonders ungewöhnlich ist es, wenn man sie auch ins Zweisterne-Restaurant mitnehmen darf. Eigentlich sympathisch, besonders wenn man selbst zu den Hundeliebhabern zählt. Und es funktionierte auch ganz gut, solange nur ein einziges Tier anwesend war. Als sich später ein zweiter Vierbeiner dazu gesellte und zudem der mit Herrchen und Frauchen auf der Terrasse verbliebene Terrier auf die Artgenossen im Restaurant aufmerksam wurde, war es vorbei mit der animalen Contenance.
Unterdessen hatte am Nebentisch eine Gruppe von, ja, Motorradfahrern Platz genommen, die so aussahen, als seien sie draußen gerade von ihren Maschinen abgestiegen, um mal schnell ein Bierchen zu zischen. Kurze Hosen, T-Shirts mit Harley-Davidsen-Aufdruck, Körperschmuck aller Art, lange Ketten aus den Hosentaschen. Dass ein solcher Auftritt heute keineswegs mehr auf den sozialen Status schließen lässt, kann die Tatsache erklären, dass eine ordentliche Harley locker mit einem hohen fünfstelligen Betrag zu Buche schlägt. Da fallen gewisse Extras wie ein Besuch im Zweisterneschuppen nicht mehr ins Gewicht. Allerdings hatte der Kontrast zu dem ausnehmend elegant gekleideten Servierpersonal, das die wilden (oder wild wirken wollenden ) Kerle dienstfertig umschwirrte, etwas Groteskes an sich.
Recht passend zu der Bikergang hingegen wieder die Tischkultur des Restaurants, wenn man das so nennen kann. Die Tischdecken wurden auch hier längst abgeschafft, ein unnötiger Kostenfaktor in krisenhaften Zeiten, mag man sich denken. Man diniert also an blitzeblanken Tischen wie im oberbayerischen Wirtshaus und von oder aus keramischen Skulpturen, denn auch spießige, klinisch weiße Porzellanteller sind dem kreativen Zeitgeist zum Opfer gefallen. Im Maison Jeunet wurden sie, wie auch die gestisch bemalte Speisekarte, von einem in der Region ansässigen Kunstschaffenden kreiert, der mit dem Küchenchef befreundet sei. Beide verstünden sich als Künstler, der eine am Herd, der andere an der Töpferscheibe, erläuterte eine der Servierdamen auf Anfrage.
Leider verstehen viele Künstler nichts oder wenig vom praktischen Leben, etwa von der Frage, wo man während eines längeren Essens Messer, Gabel und Löffel ablegen kann. Am Tellerrand geht nicht mehr, weil viele Gerichte, auch im Maison Jeunet, aus hohen Schüsseln serviert werden oder die Ränder der „Teller“ so unregelmäßig geformt sind, dass das Besteck immer wieder abrutscht. Auch für das Personal sind die schweren Keramikgebilde ein arger Tort. Die armen Leute mussten schuften wie sonst nur Bierkellnerinnen beim Münchner Oktoberfest.
Während sich also der nackte Tisch schon nach wenigen Minuten in ein Schlachtfeld verwandelte, weil die unförmigen Gefäße und Unterlagen ein zivilisiertes Speisen unmöglich machten, entfaltet sich um einen herum der diskrete Charme des Casual Fine Dining. Die Motorradmänner reichten laut lachend und gestikulierend Handyfotos herum und in der entgegengesetzten Ecke liebkoste sich ein Paar bis hart an die Grenze des Zungenkusses. Alle paar Minuten kurzes, aber heftiges Hundegebell.
Ach ja, das Essen. Eigentlich nicht der Rede wert. Das Geflügel im Topf gab es natürlich nicht mehr, nur noch eine in zwei Gängen servierte Bressehuhn-Reminiszenz an einst, wobei die Fleischportionen so klein dimensioniert waren, dass man in den schönen, vollen Geschmack des Tieres nicht wirklich genießen konnte. Das Rohmaterial stammte aus dem Hof einer in der Gourmetszene gehypten, quer eingestiegenen Züchterin, die ihre respektvoll aufgezogenen Viecher wahrscheinlich abends mit ins Bett zu nehmen pflegt.
Dazu einmal ein hoch konzentrierter Jus, wie er mittlerweile in jeder beliebigen Kochshow rauf und runter reduziert wird und zum Zweiten eine arg suppig und dünn geratene mit Vin Jaune aromatisierten Morchelrahmsauce. Dankenswerterweise zwar à volonté in der kreativen Keramikaraffe serviert, wobei man von dem großzügigen Angebot keinen Gebrauch machte, weil die Sauce keinerlei Pfiff hatte.
Abgeschafft natürlich auch der schöne Käsewagen von einst. Als Käsegang wurden stattdessen Variationen eines Jura-Bergkäses „in verschiedenen Texturen“ aufgetragen, ein nach nichts schmeckender Schaum, ein leider zu lang gebackener Käsechip, an den Rest erinnere ich mich nicht mehr. Zum Predessert gab es irgendwas vom Mangold – leider ist die Unsitte, Gemüse als Nachtisch zu servieren, auch an diesen schönen Ort vorgedrungen. Als Hauptdessert ein aufgepepptes Rhabarberkompott nebst Mousse und Sorbet. Alles sehr leicht, weil die meisten Herrschaften ja am anderen Morgen weit fahren müssen. Aber eben auch völlig nichtssagend. So schmecken heute zwei Sterne.
Am besten von allem mundete der Wein, ein nicht oxidativ ausgebauter, würziger Savagnin, preislich erschwinglich, das ist das Schöne daran, wenn man inmitten einer Weinregion zum Essen einkehrt. Mit dem stattlichen Rest der Flasche verfügte ich mich wieder auf die Terrasse. Das Froschkonzert war verstummt, dafür vernahm man die klagenden Rufe des schon eingangs erwähnten Eulenvogels. Das Ehepaar mit Ziel Südfrankreich hatte dankenswerterweise nach dem Tier im Internet gefahndet. Angeblich sollte es sich um eine Zwergohreule handeln. Immerhin etwas Naturkunde gelernt.
Foto: Pixabay
Danke für den köstlichen Bericht … auch wir haben dieses Schloss von seinen Anfängen an begleitet und sehen mittlerweile entschieden davon ab.
Nur eins noch – bitte die Schreibweise korrigieren:
Es handelt sich um Château de Germigney.
Herzliche Grüßevomkaiserstuhl!