Speisekartenlyrik

von | Mai 26, 2023 | Aufmacher | 3 Kommentare

In der Mitte der 1980er Jahre gesendeten Münchner Kultserie „Kir Royal“ ziehen Regisseur Helmut Dietl und sein Drehbuchautor Patrick Süskind auch die Gastroszene durch den Kakao. Leibhaftig mit von der Partie ist „Jahrhundertkoch“ Eckart Witzigmann, in dessen ebenfalls legendärem Sternerestaurant „Aubergine“ Klatschreporter Baby Schimmerlos einen blasierten Münchner Polizeipräsidenten dazu überredet, eine gegen ihn gerichtete Strafanzeige fallen zu lassen.

Und überall beten arrogante Kellner die gleichen Speisenfolgen der damals auch in deutschen Feinschmeckerkreisen ungemein erfolgreichen (und leider gründlich missverstandenen) „Nouvelle Cuisine“ herunter: „Als Vorspeise empfehle ich ein frisches Carpaccio vom Lachs in Kaviarrand mit weißen Trüffeln. Dann hätten wir einen sehr schönen französischen Seewolf, einen Loup, pochiert in Champagner, anschließend Wachteln im eigenen Nest gefüllt mit Gänseleber, ensuite Käse, Dessert Likör, Patisserie.“ Als Dessert gibt es bei den damals (und zum Teil noch heute) angesagten Münchner Adressen stets und zum Missfallen von Babys vom „Nouvelle Cuisine-Scheiß“ genervter Freundin Mona „frische Walderdbeeren, Tiramisu, Mousse au chocolat“.

Blasierte Kellner gibt es immer noch, zusätzlich treten in der gehobenen Gastronomie, vorzugsweise in mit „Sternen“ oder „Hauben“ dekorierten Restaurants, heute die Küchenchefs selbst an den Tisch, um stolz ihre tätowierten Unterarme zu präsentieren. Der Stil der Speisekarten indes hat sich radikal geändert. Statt „Dreierlei“ vom irgendwas oder einem wie auch immer beschaffenen „Duett“ oder „Dialog“ und den zu Molekularküchenzeiten offerierten „Sphären“ und „Texturen“ werden heute nur noch die jeweiligen Zutaten aufgeführt.

Speisekarten gleichen unterdessen einer Einkaufsliste und zugleich einer Wundertüte. Als Vorspeise begegnet man beispielsweise „Tatar. Tomate. Belper Knolle. Brioche“, gefolgt von einer Suppe namens „Erdnuss. Yuzu. Garnele. Zucchiniblüte“, als Hauptgang wird „Reh. Sellerie. Enoki. Ponzu. Mangold.“ aufgetischt und als süßer Rausschmeißer „Kokosnuss. Passionsfrucht. Curry.“ Manchmal werden die einzelnen Posten mit Punkten, manchmal mit Schrägstrichen abgetrennt. Ganze Sätze wie die hochkomplexe Wortfolge „Seezunge mit Tomaten und Safransauce“ oder „Heimisches Kalbsfilet & Kalbsbackerl mit Selleriecreme und Frühlingsgemüse“ sind schwer aus der Mode gekommen. Es herrscht der Staccato-Stil der Whatsapp-Kommunikation bzw. jener „Klemmbrett-Minimalismus“, von dem zutreffend die Süddeutsche Zeitung sprach.

Was einen am Ende wirklich auf dem Teller erwartet, bleibt der oft überbordenden Kreativität von Chefköchen überlassen. Streng genommen gibt es nur noch Überraschungsmenüs, eine Einrichtung, die Kindergeburtstagen vorbehalten sein sollte. Wer heute wissen möchte, was einen auf dem Teller erwartet, muss sich so lange gedulden, bis aufgetragen wird. Dann stochert der Kellner mit dem hoffentlich makellos gewaschenen Zeigefinger oder dem umgedrehten kleinen Finger auf diese oder jene Komponente und wartet mit Erläuterungen zur jeweiligen Zubereitungsart auf.

Wenn er mit seiner Litanei durch ist, hat man schon wieder vergessen, um was es sich bei dem ersten Saucentupfer, Schaum, Gel, fermentiertem Irgendwas oder zur Unkenntlichkeit dekonstruierten Fleischstück gehandelt hat. Am besten, man lässt als Gedächtnisstütze unauffällig den Handyrecorder mitlaufen, um sich selbst zu erinnern oder den Lieben daheim berichten zu können, was man eigentlich gegessen hat. Besonders nachhaltig ist das nicht.

Ein Sternewirt aus Franken bringt es sogar fertig, seine Speisekarte mit Wirtshausklassikern ebenfalls im Telegrammstil zu formulieren: Bauernente/Kloß/Blaukraut“ heißt es da oder „Schäufele/Kloß/Salat. Spätestens beim „Wiener Schnitzel/Pommes/Salat“ wird es dann skurril. Niemand muss sich zu gestelzter Speisekartenlyrik verrenken wie einst die Matadore der „Nouvelle Cuisine“. Doch was hindert die Köche eigentlich daran, noch verständliche Sätze zu formulieren nach dem Muster „Wiener Schnitzel mit Pommes und Salat“. Manchmal scheint es, als wäre es heute leichter, einen Michelin-Stern zu erringen als erfolgreich die Mittlere Reife abzulegen.

Foto: Pixabay

3 Kommentare

  1. “was hindert die Köche eigentlich daran, noch verständliche Sätze zu formulieren”… Nun, die Antwort ist ganz einfach. Bildung! Dazu gehört eine schulische Bildung mit einer Grundkompetenz beim Lesen und Schreiben. Dazu gehört aber auch eine umfassende Bildung, zu der wiederum Ästhetik und Genussfähigkeit gehören. Alles Fähigkeiten, die gute Köche vor vielen Jahren nach einer ganz ordinären Volksschule beherrschten. Nicht einmal Mittlere Reife war nötig. Um ehrlich zu sein: Ich persönlich betrete derartige Gastrountermehmen schon lange nicht mehr, weil ich einem kochenden Menschen ohne diese oben genannten Grundkompetenzen auch keine wirkliche Genussfähigkeit zutrauen, egal was für ein Brimborium er mit seiner Pinzette entfaltet. Von den von Ihnen sehr genau beobachteten Äußerlichkeiten des/der Kochenden einmal abgesehen mag ich gern gepflegte, saubere Menschen hinter dem Herd, weil sie ja viele von den Dingen, die ich essen soll, schon mal in der Hand hatten.

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    • Ich stimme Ihnen völlig zu, dieser neue speisekartenstil war für mich von Anfang an befremdlich, da sehr unpersönlich. Ob es an mangelnder Bildung mangelt, bin ich mir nicht sicher, eher hat irgendjemand einmal damit angefangen und alle anderen machen es, Lemminge gleich, nach. Man muss ja modern sein und dazugehören, nicht wahr?

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  2. Mit Lyrik hatte ich mich schon zu Schulzeiten eher schwergetan. Aber es gibt sie noch, die Old School, z.B. im Restaurant Spielweg/ Münstertal: Die Speisekarte ist perfekte Inspiration, deren online-Lektüre mich auf den nächsten Genuss einstimmt…Und dann die Krönung in Form der Tagesempfehlung, z.B. ein Rinderfilet Rossini! Summa summarum sind jedes Mal absolute sensorische Highlights geboten, plus Entdecken von Neuem.

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