Alles im Leben ist relativ: Auch die Vorfreude auf das bevorstehende Weihnachtsfest und den Jahreswechsel. Könnte man Gänse, Enten und Puten nach ihrer Meinung zu den Feiertagen befragen, die Antworten wären erschütternd. Während die Vorbereitungen der kalorienreichen Festtage in den meisten bundesdeutschen Haushalten noch in ersten Planungen stecken, schlagen für das Federvieh schon Anfang November die letzten Stunden. Spätestens ab Martini am 11. November ist die Gans aus dem Speisezettel der heimischen Gastronomie und dem Angebot der Metzger und Supermärkte nicht mehr wegzudenken.
Denn mit dem Tag des heiligen Martins beginnen nach dem christlichen Kalender nicht nur die Vorbereitungen auf das Weihnachtsfest, es geht vor allem den Gänsen an den Kragen. Die sollen der Legende nach den heiligen Martin durch lautes Schnattern verraten haben, als er sich vor seinen römischen Verfolgern in einem Gänsestall versteckte. Martin wurde heiliggesprochen, die Gänse zur Erinnerung an ihren Verrat an Martini geschlachtet und als letztes großes Essen vor Weihnachten auf den Tisch gebracht. Eine kulinarische Vergeltung, die seit Jahrhunderten Tradition hat. Nach der Martinsgans wurde drei Wochen lang gefastet, bevor die gregorianische Kalenderreform die vierwöchige Adventszeit einführte und die Abstinenz der Gaumenfreuden um eine Woche verlängerte. Längst sind die guten Fastenvorsätze der Adventszeit vergessen, aber der Frevel des verräterischen Federviehs ist es nicht.
Die Gänse, die das Martinsgans-Essen überlebt haben, kommen am 24. Dezember als Weihnachtsgans auf den Tisch. Mal gefüllt, mal ohne Füllung, aber fast ausschließlich im Ofen gegart. Klassisch serviert mit Rotkraut, Maronen, gebratenem Marzipanapfel und Kartoffelklößen? Ein Wein hat es zu dieser üppigen Aromenansammlung nicht leicht, schon gar nicht, wenn es ein Weißer sein soll. Wer zur Gans unbedingt einen Weißwein trinken möchte, sollte einen sehr gehaltvollen und körperreichen Wein wählen. Gewürztraminer oder Tokay Pinot gris aus dem Elsass, ein Chablis oder ein reifer Chardonnay aus Übersee haben die besten Chancen, dem meist fetten Gänsebraten Paroli zu bieten.
In der Regel empfiehlt sich aber ein vollmundiger, würziger Rotwein. Dabei kann es durchaus ein Spätburgunder aus Baden oder ein St. Laurent aus dem Burgenland sein. Wer seiner Festtagsgans den französischen Touch des „savoir vivre“ geben möchte, liegt mit burgundischen Kreszenzen aus Vosne-Romanée, Vougeot oder Pommard genau richtig. Natürlich machen auch die Weine aus dem Bordelais eine gute Figur zur Gans, ebenso die italienischen Klassiker wie Barolo, Barbaresco, Chianti Classico Riserva und Vino da Tavola aus der Toskana. Pinotage aus Südafrika, Merlot aus Chile oder Kalifornien und Cabernet Sauvignon aus Australien zählen längst zu den etablierten Gans-Begleitern.
Noch vor einigen Jahren war die weihnachtliche Bescherung ohne Gänsebraten für eine ganze Nation so unvorstellbar wie der Verzicht auf den Kerzen- und Lametta geschmückten Tannenbaum. Wer aber hat heute noch Lametta am Christbaum? Oder Kerzen? In Zeiten des Stromspar- und Ökowahns sind höchstens noch echte Bienenwachskerzen zugelassen, wenn diese nicht aus „Qualzucht“-Imkerei stammen. Dagegen ist die Weihnachtsgans immer noch Synonym für den kulinarischen Höhenflug, dem sich fast jede deutsche Hausfrau und jeder Hausmann einmal im Jahr verpflichtet fühlt, egal was am Ende auf den Tisch kommt. Während unsere romanischen Nachbarn in Italien und Frankreich ihre Genusssucht über das ganze Jahr verteilt ausleben, konzentriert sich das kulinarische dolce vita in deutschen Landen, auch dank der einschneidenden Kürzungen im Spesenbereich, auf die Feiertage zwischen dem 24. und 31. Dezember. Da hat man natürlich Nachholbedarf. Zu keiner Zeit des Jahres werden so viele Nahrungs- und Genussmittel verkauft, wie kurz vor Weihnachten und Sylvester. Essen und Trinken als Höhepunkte der Festtage, Weihnachtsgans und Co. als Helden der festlichen Tafelrunden.
Dabei ist längst nicht mehr alles Gans was als Weihnachtsgans bezeichnet wird. Nach Ende der im wahrsten Sinne des Wortes fetten Jahren der Republik schaute man immer öfter auf die Figur und hielt nach Gans-Alternativen Ausschau. Während die Pute, wahlweise mit würzigem Hackfleisch oder Früchten gefüllt, als fettlosere Variante zur eigentlichen Weihnachtsgans auf den Teller wandert, macht sich die Ente quasi scheibchenweise an die Festtage heran. Die rosa gebratene Entenbrust mit der krossen Haut ist bis heute die beliebteste Zubereitungsmethode und fast schon ein „Weihnachtsgans-Ersatz-Klassiker“.
Dagegen hat sich der Karpfen in deutschen Festtags-Küchen niemals wirklich durchgesetzt. Überhaupt scheint Fisch zu Weihnachten eher die Ausnahme zu sein, was sicherlich maßgeblich an dem überschaubaren Angebot liegt. Eigentlich unverständlich, denn das gesunde Nahrungsmittel aus Flüssen und Meeren lässt nicht nur in den Zubereitungsarten alle Möglichkeiten für den ambitionierten Hobbykoch offen, sondern kommt auch der seit Jahren propagierten leichten Küche entgegen.
Im kulinarischen Zusammenspiel Fisch und Wein gibt es ideale Kombinationen mit leichten Rieslingweinen aus dem Rheingau oder eleganten Grau- und Weißburgundern aus den badischen Weinbergen am Kaiserstuhl. Junge, feinfruchtige Kabinett-Weine von der Mosel zählen ebenfalls zu den bevorzugten Flüssigkeiten, die dem Fisch noch einmal geschmackvoll und angenehm leicht zum Schwimmen bringen. Ohne spürbare und sichtbare Nachwirkungen auf der Waage. Dennoch, in Sachen Fisch ist Deutschland Provinz. Wer nicht gerade die Einkaufsmöglichkeiten einer Großstadt oder einer nahen Fischzucht hat, muss sich auf fischlose Feiertage einrichten. Also doch zurück zur Weihnachtsgans? Gans sicher!
Foto: Pixabay
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