Neulich an der Abendkasse einer restlos ausverkauften Weinveranstaltung: Wissen sie nicht wer ich bin? Der sakrale, aber bestimmte Unterton des Fragestellers, der urplötzlich vor mir auftauchte, fuhr wie ein Blitz in meine Gedanken und rief jenes ungläubige Staunen hervor, das Menschen ins Gesicht geschrieben steht, die glauben, gerade eine Erscheinung zu haben. War er das wirklich? War das der sehnlich erwartete Messias, der Heilsbringer, der die Krise nutzte, um sich seinem gebeutelten Volk zu zeigen? Kam er diesmal nicht als nacktes unschuldiges Baby in einem Stall im krisengeschüttelten Nahen Osten zur Welt, sondern in Gestalt eines Mannes kurz vor der Midlife Crisis, gewandet in einem schlecht sitzenden Sakko, darunter ein schwarzes Hemd, geschmückt mit einer billigen Krawatte aus Polyester, die offensichtlich unzählige Altkleidersammlung des Roten Kreuzes überlebt hat? Hatte der gütige Gott diesmal so tief in die Kiste der Geschmacklosigkeit gegriffen und eine ausschweifende Weinparty in Düsseldorf für seinen Auftritt auserkoren?
An seinen Händen konnte ich keine Wunden erkennen, aber als er mir wortlos seinen Presseausweis über den Tisch schob war mir klar, dass es sich um eine gottgleiche Persönlichkeit handeln musste. Ein Weinjournalist! Einer jener Spezies, die als Hohepriester durch die Keller der Welt ziehen und mit ernsten Mienen die ahnungslosen Winzer in die Geheimnisse der Weinkunst einweihen. Woher sie das Wissen nehmen, bleibt in den meisten Fällen ihr Geheimnis, mehr oder weniger geschickt kaschiert hinter bedeutungsvollen Weinbeschreibungen und einem staatstragenden Habitus, der selbst den gestandenen Landmann in Ehrfurcht erstarren lässt. Im offen zur Schau getragenen Selbstverständnis mancher Weinjournalisten ist selbst die Ehrbezeichnung „Weinpapst“ eine naive Untertreibung, die weltliche Macht des römischen Pontifex wirkt gegen Wichtigtuerei und Gehabe einiger „Weingötter“ geradezu harmlos und manche selbst ernannte Bibel der vinologischen Irrtümer eines Jahres wird zum Buch der Bücher stilisiert.
Gelernt haben die wenigsten den Beruf des Journalisten, sind dagegen ihrer vermeintlichen Berufung gefolgt und versuchen nun ihre Trinkgewohnheiten in verständliche Worte zu fassen, publiziert in mehr oder weniger bedeutenden Gazetten oder auf einer eigenen Internetseite. Auch mein Gegenüber in dem schlecht sitzenden Sakko, von dem ich bis dato nichts gehört hatte, nannte eines jener Heftchen, für das er regelmäßig schreiben würde. Für ihn war das die Rechtfertigung, sich nunmehr kostenlosen Eintritt in die ohnehin restlos ausverkaufte Veranstaltung zu verschaffen, denn er schien das Gefühl zu haben, dass die rund 1000 zahlenden Gäste auf ihn warten würden. Daran gab es für ihn gar keinen Zweifel und ich ahnte, dass er mit dieser Masche bisher Erfolg gehabt haben musste. Eine gehörige Portion Dreistigkeit und der Presseausweis scheinen zu genügen, um die Weinwelt als Selbstbedienungsladen zu erfahren. Heute Abend hat das nicht funktioniert und es gab keine kostenlose Teilnahme an der Party. Da half auch keine Drohung, man könne demnächst über den ungeheuren Affront einen Bericht lesen. Wie hieß das Heftchen noch gleich?
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Weinwisser?
Diskretion ist Ehrensache.