Wie die Guillotine die moderne Restaurantkultur schuf – eine kleine Kulturgeschichte

von | Juni 14, 2024 | Aufmacher | 0 Kommentare

„Hunger ist der beste Koch“. Diese Binsenweisheit hat ihre Gültigkeit auf vielfältige Weise immer wieder unter Beweis gestellt und ist bis heute das sichere Fundament, auf dem die Entwicklung des Menschen und seiner Essgewohnheiten steht. Denn damit ist nicht nur der Hunger als unangenehmes Gefühl in der Magengegend gemeint. Vielmehr war es zu allen Zeiten der Hunger nach neuen Gerichten, neuen Geschmacksrichtungen und neuen Zubereitungsmethoden, der Küchengeschichte geschrieben hat.

Geschmackliche Neugier verbunden mit dem Mut zum Experiment: Der Koch war und ist in dieser Kombination immer auch Forscher und Trendsetter, prägendes Element einer nationalen Esskulturentwicklung. Denn „der Mensch ist was er isst“. Auch daran besteht kein Zweifel.

Mit dem Kochen – der ersten kreativen Tätigkeit des Menschen – bekommt das Angebot der Natur eine neue Dimension. Jetzt werden zum ersten mal Nahrungsmittel zusammengeführt, vermischt und zu neuen Produkten verarbeitet. Aus der reinen, lebenswichtigen Nahrungsaufnahme wird mittels der Kreativität der Köche auch eine kulinarische Leidenschaft, wird Essen zunehmend als Lust und Genuss empfunden, aus denen sich der Geschmack herausbilden kann. Speisen, die sich durch eine problemlose Zubereitung, Vervielfältigung und entsprechende Haltbarkeit bewährt hatten, werden für lange Jahrhunderte zu unverzichtbaren Grundnahrungsmitteln: Brot, Reis und sogar die Spaghetti beginnen ihren sättigenden Siegeszug. Die Kartoffel kommt erst nach der Entdeckung Amerikas Ende des 15. Jahrhunderts auf den europäischen Speiseplan.

Je näher sich die Länder und Welten kommen, desto größer wird der Hunger nach Geschmacksvielfalt. Kreuzzüge, Kriege und Eroberungen, aber auch Völkerwanderungen, Neuentdeckungen und Kolonialisierung bringen neue Kochgewohnheiten in alle Herren Länder, der schwunghafte Handel mit Gewürzen und Kräutern ermöglicht eine grundlegende Verfeinerung der bis dato meist sehr rustikalen Küchenstile. War das Essen im Mittelalter durch die großzügige Verwendung von Gewürzen, sehr süßem oder saurem Geschmack bestimmt, ändert sich in der Renaissance der Geschmack. Vor allem der Adel bevorzugt nun Speisen von raffinierterer Zubereitung, die weniger stark gewürzt sind. Die mittelalterlichen Gelage gehören der Vergangenheit an, nun bestimmen Tischsitten und Esskultur die festlichen Bankette. Auf der einen Seite Überfluss, ist die Sorge um das tägliche Brot für das Volk ein zentrales und existentielles Thema. Noch bis in die Neuzeit gibt es in den meisten europäischen Ländern nur eine Hauptmahlzeit am Tag, meist wurde am Abend – nach der Arbeit – mehr oder weniger ausgiebig gegessen. Das Essen der Mehrheit der Bevölkerung richtet sich ausschließlich nach dem regionalen Angebot an Fleisch, Fisch, vor allem aber an Gemüse und heimischem Obst.

Mit der aufkommenden Industrialisierung und dem Wachsen der Städte wächst der Bedarf an haltbaren Lebensmitteln. Erfindungen wie der berühmte Suppenwürfel und die Tütensuppe bilden den Auftakt zur modernen Lebensmitteltechnik, deren vorläufiger Höhepunkt tiefgefrorene Lebensmittel und „convenience food“ sind. Erst im 20. Jahrhundert werden ganze Küchenstile exportiert, auf den jeweils national gewohnten Geschmack getrimmt und dem Publikumsgeschmack entsprechend angepasst.

Die hohe Schule der Restaurantkultur dagegen beginnt ihren Siegeszug schon nach der Französischen Revolution. Die Guillotine ermöglichte die schnelle Entwicklung einer der schönsten Institutionen, als die arbeitslos gewordenen Köche des Adels ihre Kochkünste der Allgemeinheit – gegen Entgelt – zur Verfügung stellten. Heute kann man auf der ganzen Welt gut und schlecht essen, je nach Geschmack. Vielfach werden regionale Küchenstile und regionale Produkte durch eine Internationalisierung der Essgewohnheiten verdrängt, nur wenige Küchenstile haben sich trotz dieser Geschmacks-Vermischung ihre Authentizität bewahrt.

Foto: Pixabay

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