Auch der Guide Michelin, die „rote Fressbibel“ ist nicht über jeden Zweifel erhaben. Und man muss sich zudem der Tatsache bewusst sein, dass die geheimnisumrankten Inspektoren des Gourmetführers durchaus mit unterschiedlichen Maßstäben messen, je nachdem, in welchem Land sie unterwegs sind. Was die Bewertungen etwa in Frankreich und Deutschland anbelangt, sind die Unterschiede signifikant. Der berühmte elsässische Luxus-Fresstempel „Auberge de l’Ill“ etwa wird vom Guide Michelin, aus schwer nachvollziehbaren Gründen, mit nur zwei Sterne bedacht. Doch liegen, was Ambiente, Service, die stupende Weinkarte und natürlich die Küche anbelangt, Welten zwischen dem weltbekannten, traditionsreichen Haus und einem x-beliebigen deutschen Zweisterne-Restaurant.
Das zuvor gesagte gilt nicht nur für die illustre Sterne-Kategorie, sondern auch für die sogenannten „Bib“-Gourmands, die für Lokalitäten stehen, die nach Einschätzung der Tester mit einem ausgesprochen guten Preis-Leistungsverhältnis aufwarten können. In diesem Jahr wurden in Deutschland insgesamt 14 neue Bibs vergeben, darunter das auf Süßwasser- und Meeresgetier spezialisierte Restaurant „Zum Fischer am See“ in Prien am oberbayerischen Chiemsee.
Das Haus liegt nur einen Steinwurf entfernt vom „bayerischen Meer“ mit den Inseln Frauen- und Herrenchiemsee, die berechtigterweise Scharen von Touristen anziehen, weil es hier wirklich sehr schön ist – Bilderbuchbayern. Von diesem Ambiente profitiert auch der „Fischer am See“ mit einem schönen Biergarten, den man bei warmem Wetter unbedingt aufsuchen sollte, will man sich nicht dem penetranten Toilettenmief aussetzen, der im Gastraum auf den Appetit schlägt. Die Einrichtung in hellem Holz ist austauschbar; an der gläsernen Eingangstür prangen allerlei Auszeichnungen namenloser Restaurantführer. Nur die neue, rote Michelin-Plakette sticht hervor.
Zwischen Hauptgang und Dessert verließ ich kurz unseren Tisch, um mir in der Toilette die Hände zu waschen und mich noch einmal zu vergewissern, dass wir im richtigen Lokal reserviert hatten, dem mit einem Bib-Gourmand nämlich. Denn was uns zuvor serviert worden war, entsprach bestenfalls durchschnittlichem, deutschen Gasthausstandard, keinesfalls hätte es Michelin-Ehren gerechtfertigt.
Allein die zu einer „Maischolle in Speckstippe“ kredenzten „Petersilienkartoffeln“ waren für ein Etablissement dieser Kategorie indiskutabel. Sie schmeckten so muffig wie vorgekochte und wieder aufgewärmte Kartoffeln eben schmecken. Zusammen mit dem aufdringlichen Toilettendunst eine Zumutung. Die gleichen Kartoffeln begleiteten auch ein Chiemsee-Hechtfilet, diesmal in Form fettiger Bratkartoffeln. Der Hecht war schlecht entgrätet, was bei den heimtückischen Gräten dieses Teichbewohners fatale Auswirkungen haben kann – deshalb macht man aus Hechtfleisch ja meistens Hechtklöschen. Die Pommes Frites zum Kinderteller, einem Wiener Schnitzel, waren viel zu dick geschnitten und mehlig. Dem Steppke schmeckte es trotzdem – Kinder sind tolerant.
Auch bei den anderen Gerichten – gebackenes Schollenfilet, „Garnelenpfanderl“, Rehnüsschen – kam keine echte Begeisterung auf – wenig inspiriertes Mittelmaß, noch dazu lieblos angerichtet. Die Speisekarte ist für ein Restaurant, das etwas auf sich hält, viel zu umfangreich. Neben den zahlreichen Fischgerichten gab es Spargelgerichte, eine Fleischabteilung, eine kleine, vegetarische Auswahl und die Kinderteller. Trotz Chiemseenähe ist das Angebot an Wassertieren beim „Fischer am See“, der selbst keiner ist, ausgesprochen international: Jakobsmuscheln, Lachs, Fritto misto, King Prawns. Zur „Maischolle Büsumer Art“ werden regelwidrig Eismeerkrabben serviert. Die eigentlich üblichen Nordseekrabben sind derzeit wohl zu teuer. Ein kleiner Lichtblick sind die Desserts mit einer sehr ordentlichen Crème brûlée. Doch warum – wir sind in Bayern – keine zarten Apfelküchlein oder eine Bayerische Creme?
Rund um den Chiemsee kann man durchaus besser essen, auch ohne Blick in den Guide Michelin, etwa bei der Fischerei Minholz in Bernau am Südufer des Sees oder der Chiemseefischerei Stephan am Ortsausgang von Prien Richtung Frasdorf mit einem großen Angebot an Räucherfisch prêt-à-porter, darunter hausgeräucherter und -gebeizter Lachs, schönen Fischsalaten und einem sehr respektablen Bistro mit täglich wechselnden Angeboten. Samstag gibt’s traditionsgemäß Steckerlfisch vom Holzkohlengrill. Ganz ohne biblische Ehren.
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Tatsächlich hatte ich den “Fischer am See” vor ein paar Jahren besucht. Der Biergarten ist wirklich hervorragend. Das Essen so lala. Also eigentlich keine Wiederholung wert. Guter Bericht, er beschreibt ziemlich genau meine Empfindungen.