Chez Vatel – Besuch in einem etwas anderen Restaurant in Lyon

von | Dez. 6, 2024 | Aufmacher | 0 Kommentare

Der gebürtige Schweizer François Vatel, sein deutscher Name lautete Fritz-Karl Watel, war einer der berühmtesten Köche und gastronomischen Impresarios in der so überaus verfressenen Geschichte Frankreichs. Er war Leibkoch und Maître de plaisir des hochmögenden Prinzen von Condé. Als der Prinz, einer der Anführer der adeligen Opposition („Fronde“) gegen König Ludwig XIV, nach Spanien emigrieren musste, beglückte er fortan Nicolas Fouquet, den damals reichsten Mann Frankreichs und Ludwigs Finanzminister, mit seinen, heute würde man sagen, kulinarischen Events.

Am 17. August 1661 war Vatel für die Ausrichtung eines Festmahles zu Ehren des Königs auf Fouquets prächtigem Schloss Vaux-le Vicomte auserkoren worden. Das geriet zu einem so durchschlagenden Erfolg, dass der nach absolutistischer Herrschaft strebenden Monarch nun auch seinen Minister verstieß, der in seinen Augen zu mächtig wurde und es an Ehrerbietung fehlen ließ. Fouquet schmachtete bis zu seinem Lebensende in Festungshaft, wo ihm immerhin noch ein Diener zur Verfügung stand.

Vatel indes trat wieder in die Dienste des 1659 amnestierten Prinzen von Condé, wo er sich anlässlich der Vorbereitungen für ein neuerliches Festmahl zu Ehren des „Sonnenkönigs“ im Jahre 1671 ins Messer stürzte, weil angeblich eine Fischlieferung zu spät eintraf. Vielleicht etwas voreilig, möchte man in der Rückschau sagen, denn eigentlich spielte das Essen bei solcherlei royalen Megaevents nur eine Rolle unter vielen und dürfte zudem meist kalt gewesen sein.

Doch Vatel lebt weiter. Ihm verdanken wir zum Beispiel eine bis heute als Kaffekränzchen-Topping allseits beliebte Dessertcrème aus Schlagsahne, Zucker und Vanille, benannt nach dem Ort des Festmahles des Prinzen von Condé von 1671, Schloss Chantilly, fünfzig Kilometer nordöstlich von Paris. Die elegante Bezeichnung „Crème Chantilly“ für etwas so simples wie süße Schlagsahne spricht abermals von einer alteingesessenen Genusskultur. In Deutschland denkt man bei Schlagsahne eher an Vanillezucker von Dr. Oetker und Sahnesteif. Das ist nun wirklich ein Grund sich in den elektrischen Sahnequirl zu stürzen.

Der langen Vorrede kurzer Sinn: In Frankreich gibt es auch eine bekannte Hotelfachschule, die Vatels illustren Namen trägt. In mehreren französischen Städten unterhält das Institut so etwas wie Übungsrestaurants, wo sich die jungen Elevinnen und Eleven in situ am Gast abarbeiten können. Der wird mit Menus zu niedrigen Preise belohnt, ein „Menu Grand Vatel“ etwa gibt es für 52.- Euro, ein „Menu Mère Lyonnaises“ kostet 46 .-Euro. Die Preise für Rotweine in Normalflaschen überschreiten nur einmal die Sechzig-Euro-Schwelle, da handelt es sich aber auch schon um einen Côte Rôtie.

Um es gleich zu sagen: Die Küche im Vatel-Restaurant im von Saone und Rhone umflossenen Zentrum der Stadt war nicht sonderlich der Rede wert. Die Vorspeise – Lyoner Würste auf Linsenpüree – war langweilig, der Hirsch als Hauptgang zu trocken, das dazu gereichte Kartoffelpüree mit unorthodoxer Zitronennote interessant, das Gratin dauphinois schön knofelig.

Qualitativ stach das auf vier fahrbaren Chariots präsentierte Dessertangebot, die wagenburgartig um den Gast herum postiert wurden, besonders hervor. Zwischen lecker und extrem lecker, zwiwschen gut gemacht und perfekt besteht jedoch ein Unterschied, wenn etwa der Karamell einer mit Karamellfäden umsponnenen Saint-Honoré-Torte, einem Klassiker der französischen Patisserie, hartnäckig zwischen den Zähnen klebt. Da muss etwas nicht mit der Kochtemperatur des Zuckers gestimmt haben.

Warum man Vatel trotzdem einen Besuch abstatten sollte, ist die ungemein entspannte, beschwingte Atmosphäre. Hier geht es nicht darum, sich über die vielen kleinen und größeren Fauxpas der Studenten lustig zu machen: wie sie sich gegenseitig auf die Füße treten, wie der Weinkellner, der von Wein nichts versteht, mit dem automatischen Weinspender kämpft, wie zwei junge Damen mit dem schweren Käsewagen zwischen den Tischen herummanövrieren und nicht nur am Tisch des Autors anecken, wie ein junger Mann mit vielleicht etwas zu großer Geste  eine Crêpe Suzette flambiert. Und wie der Maître d’hotel mit bemerkenswerter Gelassenheit darum bemüht ist, das Chaos nicht ausufern zu lassen.

Schadenfreude wäre hier absolut fehl am Platze. Vielmehr geht es darum zu verstehen, wie ungemein schwer das zu erreichen ist, was der Gast in gehobenen Restaurants schätzt und wofür er, neben der Küche, viel Geld zu zahlen bereit ist: ein Service, der immer zur Stelle, aber zugleich nicht anwesend ist. Ein solch geräuschloses Präzisionsuhrwerk in Gang zu halten, erfordert das, was die jungen Leute bei Vatel gerade zu lernen im Begriff sind. Perfekter Service ist Schwerarbeit und hohe Kunst gleichermaßen, die neben Hingabe an den Beruf jahrelange Ausbildung und Erfahrung erfordert. Eingedenk dessen wird man vielleicht beim nächsten Restaurantbesuch nicht schon nach fünf Minuten „Bedienung“ brüllen.

Vatel ist auch ein sozialer Ort, weil hier ganz augenscheinlich für die meisten Gäste ein Besuch bei Paul Bocuse vor den Toren Lyons oder Georges Blanc im nahen Vonnas außerhalb jeder Möglichkeit stünde. Und man sollte auch gleich mit dem Vorurteil aufräumen, dass den sogenannten einfachen Leuten nicht der Sinn nach Gourmetküche, nach Kultur, steht. Und mit den Tischmanieren hapert es mittlerweile auf breiter Front auch bei denjenigen, die den Begriff der „Esskultur“ mit zuweilen arroganter Geste für sich in Anspruch nehmen. Zu Vatels Zeiten gab es bei großen Galamenüs neben Theaterdarbietungen auch ein Feuerwerk. Einen Abglanz davon kann man auch bei Vatel erhaschen, wenn es gilt, wie in Frankreich oft üblich, einen Geburtstag mit einem schönen Essen im Restaurant zu feiern. Dann marschiert die gesamte, jugendliche Crew mit „Joyeux anniversaire“ unter lautem Klatschen und einem mit einer Kerze oder Wunderkerze garnierten Geburtstagstörtchen in den Saal ein. Beim ersten Mal hätte man fast mitgeklatscht, beim vierten Mal war es dann allerdings genug.

Foto: Pixabay

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