Im Jahre 1979 brachte die Clausthaler-Brauerei erstmals ein alkoholfreies Bier auf den Markt. „Nicht immer, aber immer öfter“, lautete der bis heute viel zitierte Werbespruch. Mittlerweile hat fast jede größere Brauerei Autofahrer freundliche Varianten im Angebot; sieben Prozent des Umsatzes entfallen insgesamt auf alkoholfreie Biersorten. Vergangenes Jahr kam sogar die ultratraditionelle Münchner Augustinerbrauerei mit einem „Alkoholfrei Hell“ heraus.
Wiederholt sich dieser Hype jetzt in der Weinwelt? Das Deutsche Weininstitut DWI, Marketingorganisation der heimischen Weinwirtschaft und mit Zwangsabgaben finanziert, macht jedenfalls schon reichlich Werbung für alkoholfreie Weine. Auch die aktuelle Deutsche Weinkönigin empfiehlt die „Null-Promille-Gewächse“ als neues Trendgetränk der Frei-von-irgendwas-Generation, der es vor allem darum geht, was in Speisen und Getränken nicht enthalten ist.
Bisher ist der Absatz alkoholfreier Weine allerdings noch überschaubar. Kaum messbare ein Prozent beträgt aktuell der Marktanteil von Weinen, denen mittels komplizierter technischer Verfahren der Alkohol entzogen wurde. Das soll sich ändern, geht es nach dem DWI und seiner Weinkönigin, die noch unter Alkoholeinfluss gewählt und gekrönt wurde.
Aufgegessen.info wollte wissen, wie diese sogenannten „alkoholfreien Weine“ tatsächlich schmecken und hat folgende Kreszenzen verkostet:
Pinot Bianco Reserve, Bergdolt-Reif & Nett, Duttweiler
Riesling Eins,Zwei,Zero, Weingut Leitz, Geisenheim
Pinot Blanc, Weingut Antony, Nierstein am Rhein
Chardonnay, Weingut Diehl, Edesheim
Gewürztraminer Breakaway, Bergdolt-Reif & Nett, Duttweiler
Riesling Reserve, Bergdolt-Reif & Nett, Duttweiler
Das Ergebnis, kurz zusammengefasst, reichte von ungenießbar bis gerade noch trinkbar. Trinkspaß brachte jedenfalls keine der getesteten Weine. Dabei erheben wir natürlich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit oder Repräsentivität. Weitere Eindrücke von unserer Verkostung werden wir in Kürze auf unserem Instagram-Account veröffentlichen.
Auffällig war bei allen Proben eine spitze, bisweilen aggressive Säure, vergleichbar mit purem Zitronensaft. Blockartig und schlecht integriert stand daneben oft eine aufdringliche Süße, die nicht selten von der Zugabe von Süßreserve herrührte, rektifiziertem Traubenmost, eine Praxis, die bei Qualitätsweinproduzenten mittlerweile verpönt ist.
Schmelz, Komplexität, Balance? Fehlanzeige! Eine gewisse Sortentypizität war allenfalls in der Nase wahrnehmbar, nicht am Gaumen. Von einem Lagencharakter, der allgemein als „Terroir“ gehandelt wird, sowie der spezifischen Handschrift eines Winzers ebenfalls keine Spur.
Und das alles, obwohl durchaus nicht die schlechtesten Grundweine für die alkoholfreien Sortimente verwendet werden, sondern in der Regel die jeweiligen Basisqualitäten. Einem „Großen Gewächs den“ Alkohol zu entziehen, auf diesen ketzerischen Gedanken ist offenbar noch kein Winzer gekommen.
Dabei hat sich die Technik der Entalkoholisierung in den letzten Jahren deutlich verbessert. Gängigste Methode ist heute die Vakuumverdampfung. Dabei wird der Wein unter vermindertem Druck möglichst schonend erhitzt, sodass der Alkohol verdampft. Weil sich zusammen mit dem Ethanol aber auch viele Aromastoffe verflüchtigen, greift man auf die Technik der „Aromarückgewinnung“ zurück. Dabei entzieht man dem herausdestillierten Alkohol mittels spezieller Harze die darin enthaltenen Aromen, um sie dem Wein später wieder hinzuzufügen.
Leider verflüchtigt sich bei dieser Prozedur der spezifische Charakter eines Weines fast vollständig. Mit dem Alkohol als wichtigem Geschmacksträger verliert ein Wein sein Gerüst, seine Seele. Weil nun die Säure im verbliebenen Rest ohne Gegengewicht ist, wird die entstandene Lücke im Zweifelsfall mit Süßreserve gefüllt. Ein harmonisches Ganzes entsteht dabei nicht.
Eigentlich erstaunlich: Während einerseits immer mehr Winzer auf jegliche technische Eingriffe bei der Vinifizierung verzichten und sich der „Naturweinbewegung“ verschrieben haben, setzt man andererseits auf komplexe Hightech-Verfahren, um für den Rebensaft neue Konsumentengruppen zu erschließen, die bisher Limonade und Mineralwasser bevorzugt haben. Vielleicht sollte man einfach darauf verzichten, alkoholfreien Wein als „Wein“ zu bezeichnen. Nichts spricht dagegen, solch neuartigen Getränke herzustellen, zu verkaufen und zu konsumieren. Wein ohne Alkohol jedoch ist kein Wein, allenfalls ein schwer definierbares Erfrischungsgetränk. Von der Zunge und Gedanken lösenden berauschenden Wirkung eines guten Tropfens einmal ganz abgesehen.
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brrrr, danke für den aufschlussreichen Artikel! Normalerweise probieren wir gerne alles selber aus, was neu auf den Markt kommt, um uns eine eigene Meinung zu bilden, aber ich glaube, in diesem Fall können wir gut und gerne darauf verzichten…;-)
Der Artikel deckt sich mit unseren Erfahrungen im „Dry January“: ein Dutzend verschiedener, laut Web-Recherche zur „Elite“ zählender alkoholfreier Weiße bestellt und in jeweils optimalen Gläsern degustiert … fazit? Alle hatten allenfalls im Bouquet eine blasse Ahnung ihrer Rebsorte, schmeckten ansonsten mehr oder weniger nach Traubenmost mit ätzendem Widerspruch von künstlicher Süße und adstringierender Säure … ohne Körper, ohne Komplexität, ohne Facetten, ohne Nachhall. Nach diesem zweiten Versuch binnen 3 Jahren sind wir fürs erste geheilt … da schmeckt selbst jede Schorle um ein Vielfaches besser! Künftig bleiben wir GLEICH bei guten Obstsäften … ;–)))
Vor kurzem habe ich einen alkoholfreien Wein des Collegiums Wirtemberg probiert und kann Ihre Ausführungen nur bestätigen. Für mich sind diese Weine keine Alternative. Duft, Aroma, Geschmack erinnern mich an alles Mögliche, nur nicht an Wein. Ich bleibe daher bei den regulären hervorragenden Weinen des Collegiums und erfreue mich an diesen!