Im Jahr 2018, das ist die letzte mir erreichbare Zahl, erschienen in Deutschland 1740 (in Worten: eintausendsiebenhundertvierzig) neue Kochbücher. Seither sind es vielleicht sogar noch ein paar mehr geworden, weil die Coronakrise das häusliche Kochen angeblich wieder beflügelt haben soll. Nicht bei all diesen Druckwerken handelte es sich um echte Kochbücher, doch unbestritten zählen die oft opulent bebilderten und flott geschriebenen Rezeptsammlungen zu den beliebtesten Angeboten des Buchhandels überhaupt.
Ich selbst habe in meinem Bücherregal zwei große Abteilungen für alles Gastronomische reserviert, inklusive Wein. Und ständig kommt etwas hinzu, denn Kochbücher zählen auch zu den beliebtesten Geschenken. Wenn man nicht gerade einen umweltbewussten Veganer mit einem Folianten über die Fleischzubereitung nach der schwer angesagten, wegen des hohen Abfallaufkommens leider sehr unökologischen Sous vide-Methode beglücken möchte, kann man mit einem Kochbuch als attraktive Gabe zu allerlei festlichen Anlässen wenig falsch machen.
Ein paarmal wird man erfahrungsgemäß darin herumblättern, doch dann stehen sie schwer und anklagend im Regal. Denn zum Kochen benutze ich die oft recht voluminösen Schmöker- der „Goldene Plachuta“, ein Geschenk notabene, kommt auf gute zwei Kilogramm – eher selten. Eigentlich dienen mir die meisten Kochbücher, ich hoffe meine Leser mit diesem Geständnis nicht allzu sehr zu enttäuschen, nur als Recherchehilfe für meine Kolumne und als Lektüre fürs stille Örtchen.
Wenn sie dann noch auf Französisch geschrieben sind wie eines meiner Lieblingskochbücher „La vraie cuisine francaise“ von Michel Olivier, dem einstigen Chefkoch des berühmten „Grand Vefour“ in Paris, haben sie zudem noch einen hübschen Lerneffekt. Und die Rezepte und frechen gastronomischen Reportagen von Wolfram Siebeck sind ja eigentlich Literatur. Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Siebecks völlig unprätentiös aufgemachtes Kochbuch „Alle meine Rezepte“ ist das einzige, von dem ich wirklich profitiert habe und immer wieder profitiere. Antiquarisch kann man es noch kaufen, zu stolzen Preisen.
Schöne, verlockende Titel tragen sie alle: „Das große Buch vom Käse“, „Das große Buch der Desserts“, „Die echte italienische Küche“, „Kaiserliche Mehlspeisen“, „Bayerische Hausmannskost“ oder „Bocuse – Die neue Küche“. Doch am Ende landet (fast) immer wieder das ewig Gleiche auf dem Esstisch, selbst wenn man Tiefkühl- und Fertigkost (Pizza!) meidet. Es gibt wohl nichts Beständigeres als einen bürgerlich-häuslichen Speiseplan. Er ist an Kontinuität nicht zu übertreffen. Wie die berühmte „Kantinensoss“ von Helmut Dietls „Monaco Franze“: „Man kriegt jeden Tag dasselbe, aber die Soss bleibt immer gleich. Die pappt die Tage und die Wochen zusammen und eh man sich umschaut, ist ein Jahr vorbei.“
Man macht eben das, was schnell und zuverlässig ein einigermaßen akzeptables Ergebnis liefert, eben was man „drauf“ hat, selbst wenn man überhaupt keine Lust verspürt, nach einem anstrengenden Arbeitstag noch einmal den Kochherd anzuschmeißen. Und mittags für Kinder zu kochen, die im Grunde genommen nur Pommes, Schnitzel und Pizza mögen, ist eine Aufgabe, um die ich meine selige Mutter posthum nicht beneide.
Ambitionierter und innovativer gekocht wird vielleicht am Wochenende, wobei man auch hier keinesfalls auf den Gedanken verfallen sollte, Gäste mit allzu neuen Kreationen zu beglücken, denn die Wahrscheinlichkeit eines spektakulären Reinfalls ist nicht gering zu veranschlagen. Ich erinnere mich noch gut an einen Freund, der sich zum Silvesteressen erstmals an einer „Charlotte au citron“ versuchte, einem technisch höchst anspruchsvollen Rezept der französischen Grande cuisine. Das Ergebnis überzeugte zwar im Geschmack, der allerdings von einer extrem gewöhnungsbedürftigen Konsistenz überlagert wurde.
Jeder kennt und fürchtet die notorische Frage „Was kochen wir heute“, die in den seltensten Fällen nach einem Blick in eines von hundert Kochbüchern beantwortet wird. Man wird nach einem Stoßseufzer („Keine Ahnung“) etwas genervt einen Vorschlag in den Ring werfen, worauf die Replik „Ach, das hatten wir doch erst letzte Woche“ nicht lange auf sich warten lässt. Am Ende eines kurzen Brainstormings wird man sich salomonisch schließlich auf das einigen, was man vorletzte Woche schon hatte.
Wer das alles als gehobenes Fastfood bezeichnen möchte, kann dies ruhig tun, ich würde es nicht als ehrenrührig empfinden. Aber Alltagsküche ist nun einmal Alltagsküche, und ich finde, sie muss, allen schönen Kochbüchern mit ihren gestylten Fotos zum Trotz, auch nicht mit der Hochküche im Restaurant konkurrieren. Das ist einfach eine andere Liga. Außerdem gibt es ohne Alltag keinen Sonntag (der nicht unbedingt ein Sonntag sein muss), an dem man sich nach alter Tradition gerne etwas Besonderes gönnt.
Foto: Pixabay
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