Noch läuft in ganz Deutschland die Weinlese, in manchen Regionen wie in Franken neigt sie sich schon dem Ende zu. Der Jahrgang 2024 war eine Herausforderung, insbesondere infolge der heftigen Spätfröste, die vor allem an der Mosel, in Franken und an Saale, Unstrut und Elbe zu Einbußen bei der Erntemenge geführt haben. 8,26 Milllionen Hektoliter Weinmost werden erwartet, 7,3 Prozent weniger als im Sechsjahresmittel. Doch an der Qualität gibts nichts zu meckern, der 2024er könnte sogar ein ganz außergewöhnlicher Jahrgang werden, denn Sonne gab es genug, auch Regen, manchmal im Überfluss.
Vorboten des neuen Jahrganges ist der Federweiße, halb vergorenem Traubensaft, der als spätsommerlich-herbstlicher Durstlöscher bekannt ist und traditionell zu Zwiebelkuchen getrunken wird. Prinzipiell kann man einen Federweißen aus jeder beliebigen Weiß- und Rotweinsorte keltern. Doch das Zauberwort lautet: Marktanteile! Je früher ein Produzent mit dem ersten Federweißen auf dem Markt ist, umso mehr Aufmerksamkeit und Absatzchancen werden im zuteil. Das ist ähnlich wie beim Frühspargel, dem wärmende Folien oder manchmal sogar eine Fußbodenheizung einen zusätzlichen Wachstumsschub geben: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Da könne sich die Ökos gerne echauffieren. So geht Marktwirtschaft!
Aus diesem Grund werden extrem früh reifende und zudem sehr ertragreiche Neuzüchtungen wie Ortega oder Solaris angebaut, die auf dem Markt für Qualitätsweine kaum eine Chance haben, weil sie niemand kennt und oft über ein aufdringlich-parfümiertes Aroma verfügen. Außerdem verlieren sie mit zunehmender Reife ihrer Säure, was für einen ausbalancierten, länger haltbaren Wein tödlich ist. Federweißer ist geschmacklich so eindimensional, dass die Traubensorte kaum ins Gewicht fällt. Trotzdem würde ich selbst lieber auf einen knackigen Riesling-Federweißen warten.
Eigentlich handelt es sich bei Federweißem um Traubenlimonade, aufgepeppt mit Alkohol. Im Verlauf seines kurzen Lebens kann der Alkoholgehalt von vier Prozent bei ganz jungem Federweißen auf mehr als zehn Prozent ansteigen. Weil die Süße eines Federweißen – in Österreich heißt er „Sturm“, in der Schweiz „Sauser“ – den Alkohol überdeckt, eignet sich das Getränk ideal zum Komasaufen bei Junggesellenabschieden. Der deutsche Name des Getränks soll sich von den weiß-grauen Hefeschlieren herleiten, die noch keine Zeit hatten, sich abzusetzen.
Wenn man den hefigen Ton toleriert, kann das eine oder andere Gläschen Federweißer durchaus auch Kennern Spaß machen. Nur zu viel sollte man schon deshalb nicht konsumieren, weil das anspruchslose Getränk im Ruf steht, die Verdauung anzuregen. Vor allem, wenn dazu noch Zwiebelkuchen serviert wird. Danach sollte man aus Rücksicht auf die Mitmenschen für eine gewisse Zeit nähere soziale Kontakte meiden.
Aber schöner ist es, zu einem Zwiebelkuchen einen ordentlichen Wein zu trinken, wobei es ziemlich egal ist, um welche Sorte es sich handelt. Von mir aus sogar ein Müller-Thurgau oder eine andere mehr oder weniger neue Neuzüchtung. Vielleicht keinen Grand Cru, das wäre ein wenig wie Perlen vor die Säue, wobei Zwiebelkuchen sehr delikat sein kann. Aber eben keine im engeren Sinne feine Speise.
Klassischerweise wird Zwiebelkuchen mit einem leichten Hefeteig zubereitet. Wer den Aufwand des mehrfachen „Gehenlassens“ scheut, kann auch einen Quark-Öl-Teig verwenden. Welche Zwiebel man nimmt, ob normale Küchenzwiebeln oder mildere Gemüsezwiebeln, ist Geschmackssache. Auf jeden Fall müssen sie zunächst in Ringe oder Würfel geschnitten werden, die mit Abstand unangenehmste Arbeit beim Backen eines Zwiebelkuchens.
Eine immer populärere Variante des Zwiebelkuchens ist der Flammkuchen, eigentlich eine feine Sache, wenn er hausgemacht ist. Doch so gut wie immer dürfte in Restaurants, Weinstuben oder Straußwirtschaften ein Fertigteig aus Kühlregal oder Tiefkühltruhe zum Einsatz kommen. Der muss dann nur noch mit Saurer Sahne, Creme fraiche oder einem billigen Ersatzprodukt der Lebensmittelindustrie bestrichen und in der Grundform mit Zwiebeln und Speck bestreut werden. Fertig ist ein Snack mit der vielleicht größten Spanne zwischen Produkteinsatz und Ertrag.
Wenn dann die Zwiebelstücke noch halbroh oder schon verbrannt sind und das romantische Holzbrett, auf dem diese Delikatesse meist kredenzt wird, ein wenig muffelt, wünscht man sich, dass diese elsässisch-deutsche Form der Pizza nie das Licht der Welt erblickt hätte. Es mag ihn ja irgendwo geben, einen wirklich gelungenen, hausgemachten Flammkuchen mit hauchdünn-knusprigem Brotteig als Unterlage und ehrlicher Auflage, direkt aus dem Holzofen. Die Suche dauert an.
Foto: Pixabay
Lieber Herr Etscheit, in Österreich heißt das Getränk Sturm und nicht Rauscher, ist aber ebenso beliebt wie in Deutschland und hat die gleiche Wirkung 😉 In den letzten Jahren gibt es ihn auch in rose und rot, wo er etwas milder schmeckt. Bei uns gibt es allerdings kein spezielles Essen dazu.
LG aus dem herbstlichen Wien…