Fetisch Saisonalität – Betrachtungen zum Beginn der Spargelsaison

von | März 28, 2025 | Aufmacher | 0 Kommentare

Der März ist noch nicht vorbei, da werden in manchen Gemüsegeschäften schon die ersten Spargel angeboten, aus Deutschland versteht sich. Immer ausgefeiltere Anbautechniken bis hin zur Beheizung der Felder – natürlich mit „Bioenergie“ – erlauben es den Landwirten, die Wärme liebenden Stangen fast schon im ausgehenden Winter auf den Markt zu werfen und Importen aus Chile und anderen außereuropäischen Ländern Paroli zu bieten.

Natürlich spricht nichts dagegen, jetzt schon zuzugreifen, auch wenn die Preise hoch sind. Doch sinnvoller ist es, noch ein wenig zu warten, bis die ersten heimischen Spargel aus Freilandanbau in den Auslagen der Händler erscheinen, mittlerweile auch in der immer beliebteren grünen Variante – wobei Freilandanbau heute in aller Regel auf Folienkultur hinausläuft.

Die Plastikmeere, die sich in den Spargelanbaugebieten ausgebreitet haben, sehen zwar scheußlich aus, doch am Geschmack ändern sie nichts. Moderne Anbautechnik machen die Landwirte nur etwas unabhängiger vom Wetter. Wenn es sonnig und warm ist, sorgen die weißen, reflektierenden Folienbahnen für ein wenig Abkühlung, sodass die Sprossen nicht allzu schnell schießen und es zu einem Überangebot kommt. Wenn es kälter wird, kann die schwarze Seite der Bahnen nach oben gekehrt werden, um die Kulturen zu wärmen und das Wachstum nicht zum Stillstand kommen zu lassen. Die Versorgung wird so gleichmäßiger, auch die Preise schwanken nicht mehr so stark.

Die Spargelsaison dauert ungefähr bis zum Johannistag, der dieses Jahr auf den 24. Juni fällt. Bis dahin hängt einem Spargel oft schon „zum Halse heraus“ und man ist froh, dass die nächste „Spargelzeit“ wieder auf sich warten lässt. Spargel ist ein klassisches Saisongemüse und „Saisonalität“ fast zum Fetisch geworden, weil man aus ökologischen Gründen (Klimaschutz!) idealerweise immer nur das essen soll, was gerade in der „freien Natur“ wächst und gedeiht. Das ist gewiss ein schöner Gedanke, nur in Zeiten internationalen Warenaustauschs und modernster Konservierungstechniken genauso irrelevant wie die bunten Saisonkalender für Obst und Gemüse, die man sich in die Wohnküche hängen kann.

Heute hat immer alles Saison, was im Prinzip ein ungeheurer, zivilisatorischer  Fortschritt ist. Denn auch überzeugte Wähler der grünen Verzichts- und Verbotspartei würden sich wohl kaum damit zufrieden geben, wenn es, wie in vorindustriellen Zeiten, den ganzen, langen Winter hindurch nur Kartoffel, Kohl und Rüben gäbe, und am Ende des Winters, wenn die Lager erschöpft sind, oft gar nichts Frisches mehr auf den Teller käme. Diese Zeiten sind vorbei und das ist gut so.

Trotzdem gibt es einen Grund, sich weiterhin am Prinzip der Saisonalität zu orientieren – nicht sklavisch und kompromisslos, sondern aus freien Stücken. Dieser Grund ist der Geschmack. Frisch gestochene Spargel schmecken nun einmal besser als eingeflogene Stangen, die meist trocken und holzig sind. Und Erdbeeren munden bekannterweise im Juni und Juli am besten, wenn sie in der Sonne auf dem Feld viel Zucker und Aromen getankt haben. Auch wenn die Züchtung geschmacksintensiverer Sorten, die im Winter als Treibhausware angeboten werden, Fortschritte gemacht hat – an reife Freilanderdbeeren kommen sie nicht heran.

Ähnliches gilt für andere Beeren – Himbeeren, Brombeeren, Johannisbeeren –  auch für manche Zitrusfrüchte, die im Winter am intensivsten schmecken wie die berühmten Blutorangen aus Sizilien. Und wer wollte behaupten, dass Äpfel und Birnen im Herbst frisch vom Baum weitaus aromatischer sind als solche, die Monate lang im Kühlhaus gelagert wurden. Jetzt im ausgehenden Winter sollte man Kernobst vom vergangenen Jahr links liegen lassen und lieber zu einer Ananas greifen. Es muss noch nicht einmal eine teure Flugananas sein. Wenn man etwas Glück hat, kann auch eine Ananas, die die Reise nach Europa im klimatisierten Schiffscontainer absolviert hat, sehr gut schmecken.

Für Saisonalität spricht auch ein gefühlsmäßiger Aspekt, weil es einfach schön ist, wenn man endlich wieder einmal richtig Lust verspürt auf Erdbeeren oder Spargel, die man vielleicht ein ganzes Jahr über nicht mehr genossen hat. Wenn man sich im Juni auf junge Erbsen und Bohnen, im Spätsommer auf den ersten Zwetschgendatschi freut, das Steinpilzragout im Herbst und im Winter auf Sauerkraut und Rotkohl. Immer alles haben zu können, ist zwar ein beruhigendes Gefühl, aber es tötet auch die Lust auf Neues. Und wenn es nur „neue“ Kartoffeln sind.

Foto: Pixabay

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