Der große “aufgessen”-Prepping-Test

von | Okt 23, 2022 | Aufmacher | 1 Kommentar

Schlabbrige Teigtaschen, aus der Dose, Ravioli genannt, waren der Auftakt eines Selbstversuchs, den ich für aufgegessen.info am eigenen Leibe unternommen habe. Wie schmecken eigentlich jene Fertiggerichte aus der Dose oder aus dem Glas, die man sich zur Überbrückung eines mehrtägigen Blackouts neuerdings auf Lager legen soll, vorausgesetzt man verfügt über geeignete Räumlichkeiten? Die Stadt Rosenheim empfahl ihren Bürgern jüngst in einem Flyer, man möge sich doch bitte vorbereiten wie auf einen 14-tägigen Campingurlaub. Wohlan!

Da ich niemals Fertiggerichte esse, egal ob aus der Dose, dem Glas oder tiefgefroren, bin ich zunächst zu einer Einkaufstour aufgebrochen. Erste Station ist eine Lidl-Filiale, wo ich eine 800-Gramm-Dose „Ravioli in Bolognesesauce“ der Lidl-Eigenmarke „Combino“ erstehe, hergestellt von der massimoti SRL in Terlan im schönen Südtirol, also ein im weiteren Sinne italienisches Produkt. Oder auch nicht, denn wenn man den Firmensitz Dr.-Anton-Mayr-Weg 17 googelt landet man bei der Adresse eines normal aussehenden Wohnhauses am Rande von Terlan, wo die Weinberge beginnen. Werden dort Lidls Ravioli angerührt, zum Preis von 1,59 Euro die Dose? Vielleicht kommt das Zeug ja doch aus China.

Beim Discounter lange Schlangen vor den Kassen. Mir knöpft ein ausnehmend fröhlicher junger Mann mit obligatorischem Dutt das Geld für die Ravioli ab, die ich gut gelaunt aus dem Laden trage. Ich dachte, dass bei Lidl alle Angestellten mit elektronischen Fußfesseln herumlaufen und ständig von versteckten Kameras überwacht würden. Aber vielleicht ist das ja nur eine grüne Mär, die Wasser auf die Mühlen der Biosupermärkte lenken soll.

Bei basic, einer in München ansässigen Biosupermarktkette, herrscht gähnende Leere, als ich zwecks Testkaufs vorbeischaue. An der Kasse nur ein trendiges Ehepaar samt unerzogenem Kind, dass sich freimütig aus einem Spender für Gummibärchen bedient und als Belohnung von den Eltern noch eine Biobanane in Empfang nimmt. Ob der Einkauf dann im Porsche-Elektro-SUV verstaut wurde, entzieht sich meiner Kenntnis, weil ich mit meiner Beute, einer 400 Gramm-Dose „Ökoland Linsen-Gemüseintopf vegetarisch, mit Kräutern verfeinert“ zum Preis von 2,96 Euro schon auf dem Weg zum Edeka-Markt meines Vertrauens bin, wo eine weitere Dose in meiner Einkaufstasche landet. Ich frage eine junge Frau, was sie preppen würde, wenn es hart auf hart käme, worauf sie spontan auf eine Dose „Hühner-Nudeleintopf“ der Firma Erasco deutet, zum Preis von 1,59 Euro für das 400-Gramm-Gebinde. „Das Gute daran ist das Gute darin“, lautet der Werbeslogan von Erasco.

Zu Hause steige ich kurz in den Keller hinab, um noch ein Glas „NVA-Erbsensuppe“ heraufzuholen, hergestellt von der Feldküche Wittenberge in Wittenberge an der Elbe im Lande Brandenburg. Dazu möchte ich folgende Geschichte erzählen: Vor ein paar Monaten skandalisierte eine „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“, dass Supermärkte im Osten Lebensmittel anböten, die die SED-Diktatur verharmlosten. Darunter „Kelles NVA Erbsensuppe“, hergestellt von Kelles Suppenmanufaktur in Bismarck in der Altmark oder eine „Schulküchen-Soljanka“, auf der ein Kind mit dem roten Halstuch der Thälmannpioniere prangt, nebst dem Staatswappen der DDR. Konservendosen mit DDR-Staatswappen gehörten nicht in die Supermarktregale, Hammer und Zirkel im Ährenkranz seien das Symbol einer Diktatur, die die Nationale Volksarmee (NVA) zur Absicherung des Mauerbaus eingesetzt habe“, wetterte die Stiftung.

Obwohl selbst kein Ossi, wollte ich aus Solidarität sofort ein paar Dosen NVA-Erbsensuppe ordern, die jedoch im Onlineshop von Kelles Suppenmanufaktur schon nicht mehr erhältlich war. Glücklicherweise gelang es mir, im Internet ein ähnliches Produkt aufzutreiben  – eben jenes der Feldküche Wittenberge, ebenfalls verziert mit einem Ährenkranz, jedoch ohne Hammer und Zirkel. Ein paar Tage später war das Paket mit zwei Gläsern NVA-Erbsensuppe zu je 720 Gramm eingetroffen. Preis pro Glas: 5,29 Euro. Preislich entspricht das in etwa dem Ökoprodukt.

Wenn man sich winters zum Überleben anschickt und dick eingemummelt in Pullover und Wolldecken bei Kerzenschein seine, je nach aktueller Verfügbarkeit einer Kochstelle, kalte oder warme Tagesration löffelt, sollte man immer mit dem beginnen, was man am wenigsten mag. Denn spätestens nach einer Woche im Katastrophenmodus ist man so fertig, dass man dringend einer kulinarischen Aufmunterung bedarf.

Ich würde also mit den Dosenravioli beginnen. Das Gebinde ist dank Patentverschluss schnell und umstandslos geöffnet. Sofort steigt mir der typische Dosenravioli-Geruch in die Nase, absolut unverwechselbar. Da dümpeln also die bleichen Teigtaschen in einer glibbrig aussehenden, nur schwach rot gefärbten Tomatensauce mit mikroskopischen Stückchen Hackfleischs. Kalt machen die Ravioli sogar einen etwas besseren Eindruck als warm, weil sich das nur sparsam dosierte Tomatenaroma beim Erhitzen restlos verflüchtigt. Der Inhalt der Teigtaschen schmeckt erwartungsgemäß nach nichts, die fast schleimige Konsistenz des Nudelteiges weist keinerlei Biss auf. In der Not isst der Teufel Fliegen, heißt es. Wenn nur der Hungertod eine Alternative darstellt, kann man das essen, gewiss, aber besser kalt als warm.

Teil zwei meines Selbstversuchs: „Hühner-Nudeleintopf“ von Erasco. Von Eintopf sieht man nach dem Öffnen erst einmal nichts, nur eine dünne Brühe mit Fettschlieren obenauf und einem Geruch nach altem Suppenhuhn. Kalt genossen, verpappt einem das Fett den Mund – unangenehm. Wenn man die Einlage vom Grund der Dose ans Tageslicht löffelt, erschließen sich bleiche, sogenannte Muschelnudeln, deren Konsistenz noch strukturloser ist als die  Dosenravioli, winzige Karottenstückchen und homöopathisch dosierte Brocken Hühnerfleischs, das nach Wärmezufuhr trocken und fasrig wird. Im Notfall würde ich diesen Eintopf, der eine Suppe ist, abseien und die Einlage an den Hund verfüttern. Die Brühe selbst ist auch aufgewärmt zwar kein Genuss, aber sicher nicht gesundheitsschädlich.

Nächster Akt und Höhepunkt des kulinarischen Trauerspiels:  der vegetarische „Linsen-Gemüseeintopf“ aus dem Biomarkt. Der Anblick der braunen Pampe mit dem typischen Muffgeruch von Dosenlinsen erinnert mich an Mutters Linseneintopf, der ähnlich aussah, aber, weil frisch gekocht, deutlich besser schmeckte. Auch hier neben den großen, braunen Leguminosen nur ein paar Karottenstücke, von Kräutern keine Spur, zumindest optisch. Ob kalt oder warm, machte geschmacklich in diesem Fall keinen Unterschied. Wenn man weiß, wie delikat ein Linseneintopf sein kann mit kleinen, knackig-nussigen Puy-Linsen, zubereitet auf Basis eines kräftigen Rinderfonds, anreichert mit ebenfalls knackig gegartem Wurzelgemüse und verfeinert mit frischem Schnittlauch und würzigen Kochwürsten, der weiß, welches Desaster sich hier offenbart. Allenfalls genießbar, wenn nach einem Atomschlag nach fünf Monaten im Privatbunker die Vorräte zur Neige gehen.

Zum Abschluss meines Tests die NVA-Erbsensuppe aus der Wittenberger Feldküche. Und, oh Wunder, schon der appetitliche, würzig-deftige Geruch nach Öffnen des Glases – ich finde Gläser sympathischer als Dosen, stimmt zuversichtlich. Man riecht die Erbsen und, vor allem, Geräuchertes. Laut Zutatenliste handelt es sich bei der Fleischeinwaage um geräuchertes Kasseler sowie Bockwürste. Die Konsistenz ist mehr stückig als breiig, wobei die Gemüse – gelbe Erbsen, Möhren, Sellerie und Porree – nicht völlig verkocht, sondern beim Essen noch getrennt wahrnehmbar sind.

Kalt schmeckt die Suppe etwas grisselig, ein Eindruck, der beim Erwärmen verschwindet. Dann hat man eine sämige Erbsensuppe bzw. einen Erbseneintopf im Teller, der wie hausgemacht daherkommt. Die Fleischeinlage ließe sich vielleicht noch ergänzen und ein Schuss Essig könnte dem Gericht einen Tick mehr Frische verleihen. Ausweislich der Zutatenliste gibt es nur in den Bockwürsten die üblichen Zusatzstoffe. Daran könnte man noch arbeiten. Doch nicht nur im Vergleich zu dem bereits genossenen Dosenfraß ist die ostalgische Suppe eine Offenbarung! 

Die Feldküche hat noch viele andere traditionelle und regionale Gerichte im Angebot, wie Prignitzer Kartoffelsuppe, Prignitzer Knieperkohl mit Kasseler, Szegediner Krautgulasch, Hühnerfrikassee oder Königsberger Klopse. Haltbarkeit: zwei Jahre ab Herstellungsdatum. Da kann er kommen, der Blackout. Und wenn er nicht kommt, köpft man alle paar Wochen ein gebunkertes Glas und spart sich die Kocherei.

Dieser Beitrag wurde zuvor als Podcast auf kontrafunk.de veröffentlicht.

1 Kommentar

  1. Deinem Bericht über die Speisen aus der Feldküche Wittenberge kann ich ganz und gar zustimmen. Ich habe mich schon durchprobiert und der Knieperkohl ist etwas außergewöhnliches. Auch die anderen Gerichte aus dem Glas schmecken wie früher bei Mutter

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