Adieu, Haute Cuisine?

von | Okt 27, 2022 | Aufmacher | 0 Kommentare

Die Unkenrufe, dass die Gourmet-Gastronomie, respektive die so oft gescholtenen Sterne-Restaurants keine Zukunft haben, klingen mir noch in den Ohren. Sie kamen nicht nur aus der berüchtigten Neidecke, sondern auch aus der Branche selbst. Und das nicht erst seit Corona, dem zunehmenden Mitarbeitermangel, der Energiekrise, dem Krieg in der Ukraine und der Tatsache, dass aktuell Politiker am Ruder sind, die in der „Haute Cuisine“ einen Anschlag auf den sozialen Frieden, das Tierwohl und die aus ihrer Sicht einzig gesunde vegetarische und vegane Ernährung sehen. Vehement habe ich mich dagegen ausgesprochen, immer und überall.

Doch nach meinen letzten Besuchen in der sogenannten Spitzengastronomie bin ich mir nicht mehr sicher, ob diese Art der Bewirtung überleben wird. Oder überleben soll. Dabei geht es nicht mal um die Preise, die in den Gourmet-Tempeln für Speis und Trank aufgerufen werden. Geld ist oft noch ausreichend vorhanden, die Klientel für Restaurants oberhalb des Durchschnitts immer noch so groß, um der ohnehin relativ kleinen Branche das Überleben zu sichern. Es sind andere Gründe, die für ein langsames Verschwinden der Gourmet-Gastronomie sprechen. Sicher nicht für alle, das wäre vermessen. Aber für einen Teil, der den Schuss nicht gehört hat, dafür aber beratungsresistent ist. Denn wer es in den Bewertungen der seriösen Restaurant-Guides ganz nach oben geschafft hat, muss nicht mehr auf andere hören. Jede Kritik ist dann Blasphemie.

Doch wer genau hinschaut wird erkennen, warum in Küche und Gastraum gleichermaßen der Nachwuchs fehlt. Das eine bedingt das andere. Freitagabend in einer deutschen Kleinstadt, nur wenige Kilometer von einer geschäftigen Metropole entfernt. Es ist kurz nach 20 Uhr. Im hochdekorierten Restaurant sitzen, verteilt an drei Tischen, sechs Menschen. Mehr werden heute nicht mehr kommen, rund 20 hätten in dem durchgestylten Ambiente Platz. Schick ist das Interieur, von einem ausgewiesenen Könner modern designt, wenngleich die Atmosphäre etwas Museales ausstrahlt.

Anschauen ja, aber nicht anfassen. Kein wirklicher Ort für Emotionen, eher für unterkühlte Eleganz, in der Flüstertöne angesagt sind. Keine Spur, dass hier ausgiebig gegessen und getrunken werden soll. Wird es das? Ausgiebig gegessen und getrunken? Mit allen Sinnen? Hier wird eher verkostet, in kleinen und kleinsten Häppchen. Dafür in bester Qualität und einfallsreichen Kreationen des ambitionierten Küchenchefs, aromatisch verzwickte Konstruktionen und nach allen Regeln der Architekturkunst zusammengestellte Arrangements voller exotischer Zutaten.

Obendrein mit Pinzetten wie von Uhrmachern bis ins kleinste Detail wunderschön auf Porzellan drapiert, das weit weg ist von einfachen Tellern oder Platten. Man greift zu für den normalen Gebrauch völlig ungeeignetem Geschirr, kreiert von Künstlern, die das Profane aufgelöst und vom Alltagsgebrauch erlöst haben, dabei die ordinäre Praktikabilität Form und Design opfern. Fleisch schneiden in tiefen Schalen, aus denen der gemeine Mensch sonst nur Müsli oder Brotsuppe isst. Saucen auf flachen Schalen, arrangiert als Strich, Modern Art im Quadrat. Hauptsache Design. Ein Erlebnis, zweifelsohne. Aber es fehlt etwas! Etwas, was den natürlichen Reflex von Essen und Trinken kommuniziert, nicht ins Abstrakte versetzt und dabei Essen deformiert und abstrahiert. Wir wollen doch einfach nur gut und besser essen, dabei Freude statt Ehrfurcht empfinden. Bei allem Respekt vor den Köchen, deren Leistung wir natürlich zu würdigen wissen. Aber wir würden es auch großartig finden und entsprechend honorieren, wenn es die primäre Qualität des Produktes ohne Streuverlust und ohne Deformierung durch die Qualität der Zubereitung schaffen würde, dazu eine oder zwei passende Beilagen serviert werden würden, und, als Krönung und Geschmacksbrücke zwischen den Komponenten, natürlich eine Sauce aus dem Kochbuch des himmlischen Geschmacks auf den Teller kommt. Als Sauce wohlgemerkt! Nicht als Strich oder Punkt, am liebsten á part im Kännchen! Dagegen steht die viel zitierte Kreativität, die sich fürs nichts zu schade ist. Oft genug werden Produkte auf dem Schafott von Innovation und zwanghafter Kreativität hingerichtet.

Zweifelsohne gibt es in der modernen Küche wichtige Schrittmacher und Vordenker, die mit ihren Ideen, aber auch mit ihrem Mut, die eingefahrenen Wege zu verlassen um Neues auszuprobieren, dem Handwerk guttun und es immer wieder bereichern. Aber müssen das gleich alle in der Oberliga machen? Ist das der Einstieg in die hohe Kochkunst, der einzige Weg zu den Sternen? Soll Geschmack von sehr gut bis exzellent nur am Einsatz sogenannter Luxusprodukte und am vermeintlichen Schwierigkeitsgrad der Zubereitung gemessen werden? Einfach ist Kochen nie, am Ende zählt für den Gast nur, was aus einem Produkt gemacht wurde. Der perfekte Schokoladenpudding, das Schnitzel zum Niederknien, der saftige Schweinsbraten und die unvergesslichen hausgemachten Spätzle sind mittlerweile in der Gastronomie genauso selten wie das geniale Kartoffelpüree von Drei-Sterne-Koch Joël Robuchon? Kann das niemand mehr? Es ist höchste Zeit, dass das Althergebrachte und Bodenständige, die traditionelle Küche und das damit verbundene Kulturbildende Geschmacksbild nicht auf der Strecke bleiben. Denn das Wahre, Schöne und Gute liegt oft auch im Bewährten!

Doch die Küche ist nicht allein Stein des Anstoßes. Über den Service müssen wir auch reden. Nett anzuschauen. Im Gesicht. Denn der Rest der jungen Dame steckt in einem dunklen Outfit, dass man unweigerlich mit Tristesse und Trauer assoziiert. Gekrönt von einer einfachen schwarzen Krawatte mit schlecht gebundenem Knoten. Die schwarze Brigade, die wie ein Trauerzug durch das Restaurant zieht und dabei Genuss und Wohlfühlambiente verbreiten soll. Eine aberwitzige Idee! Genauso wie die antrainierte, vermeintlich freundliche, aber letztendlich unverbindliche Sprache, die uns, gelinde gesagt, tierisch auf die Nerven geht. Und natürlich noch einige Etagen tiefer. Jeder Satz unsererseits wird einem „sehr, sehr gerne“ erwidert. Dazu das einstudierte Aufsagen der einzelnen Zutaten zu den Gerichten, ohne die kaum ein Gast wüsste, was tatsächlich gerade auf dem Teller liegt. Oft wird länger annonciert als letztendlich gegessen, verkehrte Gourmet-Welt? Ohne das Wort „schön“ kommt dabei der junge Service keinen Satz aus. Alles ist schön: die schöne Vinaigrette, die schöne Dorade, die schöne Beurre blanc, das schöne Maronen-Püree, das aus schönen Maronen gezaubert wurde. Wie schön!

Und dann der Sommelier. Statt schön ist bei ihm alles frisch. Die frische Frische, die sich am Gaumen sehr frisch und nachhaltig erfrischend erweist, wenn man in den hinteren Gaumen hineinschmeckt, wo die Frische am frischesten ist. Ein großartiger Wein. Und so frisch. Es turnt ab, liebe Sommeliers, und macht uns am Ende zu Wassertrinkern, um von eurem Gequatsche verschont zu bleiben. Kommt das alles zusammen, was keine Seltenheit ist, kann das vierstündige Menü zur kulinarischen Folter werden und entsprechend das Restaurant mit Sicherheit niemals zum Stammlokal. Schade eigentlich.

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