Instagramküche – oder der schöne Schein auf dem Teller

von | Nov 9, 2022 | Aufmacher | 0 Kommentare

Ich weiß nicht, seit wann es das Minzeblatt gibt – als weltweit obligatorische Aufhübschung jedweden Desserts. Gefühlt ein halbes Jahrhundert. Ich hasse Minze, egal ob sie als Tee, Pastille, „After eight“ oder bloße Deko daherkommt. Wenn ich ihrer ansichtig werde, als optische Krönung einer Bayerischen Creme, einer Mousse au chocolat oder von sonst etwas Süßem, räume ich sie angeekelt weg. Mein Pech, das gebe ich zu. Wenn sie der Koch mal vergessen hat, jubele ich, innerlich.

Später gesellte sich zur Minze noch der Puderzucker, mit dem jeder Nachspeisenteller ebenfalls geradezu zwanghaft bestäubt wird, längst auch normale Kuchenteller im Café. Sogar auf einer Berghütte begegnete ich dem weißen Leichentuch, mit dem man mitten im Hochsommer eine modische Schieferplatte, auf welcher der von mir bestellte Topfenstrudel gereicht wurde, eingeschneit hatte. Auf 2.000 Metern Höhe! Keine Minze in diesem Fall, dabei sind feuchte Bergwiesen voll von dem Zeug. Kühe meiden es – schlaue Viecher!

Doch das schreckliche Kraut und der weiße Staub waren erst der Anfang einer Entwicklung, Speisen aller Art facebook- und instagramfähig zu machen. Ich bin immer noch der Ansicht, dass Essen zum Essen da ist und nicht zum Fotografieren. Doch vielen meiner Mitmenschen fällt im Restaurant beim Herannahen bestellter Speisen nichts anderes ein, als das Handy zu zücken und die Bilder zunächst einmal den Lieben zu Hause zu posten oder neidischen Nachbarn. 

Produkt der Mein-Haus-mein-Auto-mein-Fressen-Gesellschaft

Schaut her, was ich  mir leisten kann! Die Mein-Haus-mein-Auto-mein-Fressen-Gesellschaft kommt hier zu voller Entfaltung – und willfährige Köche leisten Beihilfe, indem sie ihre Gerichte stylen wie ein Food-Fotograf seine Bilder fürs Landliebe-Magazin. Nach der Bilderorgie ist das Essen dann kalt, aber, wie gesagt, um mehr oder weniger genussvolle Nahrungsaufnahme geht es ja nicht mehr oder nur noch nebenbei.

Nach Minze und Puderzucker kam die Beerenorgie. Kein Dessert wird heutzutage noch kredenzt ohne das ewig gleiche Sammelsurium bunter Früchte: Himbeeren, Blaubeeren, Johannisbeeren, Brombeeren, Erdbeeren. Egal ob die gerade Saison haben und schmecken oder eben nicht, frische Beeren (gesund!) müssen sein. Wenn der Patissier besonders perfide ist, jubelt er noch eine Scheibe Sternfrucht auf den Teller und eine Physalis.

Sternfrucht halte ich für ungenießbar, doch die orangerote Physalis esse ich sogar ab und zu, weil sie angenehm säuerlich schmecken kann. Um keinen Erstickungsanfall zu riskieren, sollte man die welken Blätter der Kappstachelbeere tunlichst liegenlassen, was ich auch mit Deko-Trauben mache, die nicht entkernt sind und mit Show-Johannisbeeren, deren Kerne einem immer zwischen den Zähnen steckenbleiben, bevor man sich durch den unerbetenen Beerensalat zum Eigentlichen durchgearbeitet hat, der Nachspeise selbst.

Ungebetene Dreingaben

Ungebetene Dreingaben sollen, so scheint mir, oft Opulenz und Qualität vorgaukeln, wo keine ist. Doch auch eine zusätzliche Kugel Fabrikeis macht aus einem Fabrikapfelstrudel keine Delikatesse, sondern vergrößert das Desaster. Wirklich guter Apfelstrudel ist sich selbst genug und benötigt nicht einmal eine Vanillesauce, egal ob hausgemacht oder von Dr. Oetker.

Bei Suppen zum Entrée das gleiche Spiel. Immer schwimmen noch ein paar Blättchen Kerbel obenauf oder Kresse. Oder man bekommt es mit einem überflüssigen Sahnetupfen zu tun, nebst fettigen Brotcroutons oder, im Fall der zu dieser Jahreszeit ungemein beliebten Kürbissuppe, gerösteten Kürbiskernen. Die Dreingaben machen aus einer Suppe schnell ein Hauptgericht, auf dem weitere Dekoartikel wuchern. 

Wenn grüne Verbotspolitiker mal etwas Sinnvolles machen wollten, dann sollten sie über einen generellen Bann der völlig unnötigen und deshalb unökologischen Deko-Trias Salatblatt/Petersilie/Tomatenscheibe nachdenken, die seit mindestens Kriegsende mehr oder weniger jedes Hauptgericht ziert. Wenn es sich um ein Ragout handelt oder ein Stück Gebratenes mit Sauce ist die Deko zuverlässig mit der braunen Brühe vollgesogen. Nichts sieht unappetitlicher aus und schmeckt scheußlicher als Rohkost mit lauwarmer Fleischtunke. 

Blüten – nicht unmittelbar letal, also rauf damit auf den Teller!

Zur Forelle Müllerin und Wiener Schnitzel gesellt sich meist noch ein Viertel Zitrone, oft serviert in einer merkwürdigen, winzigen Pressvorrichtung, die zuverlässig dafür sorgt, dass der Zitronensaft nicht das Fleisch, sondern die Tischnachbarn benetzt – und einen selbst natürlich. Wenn die Säure in die Augen spritzt, brennt das höllisch.

Noch ziemlich frisch ist die „Blütenküche“. Seit irgendein Foodscout herausgefunden hat, dass der Genuss gewisser Blüten wie jener der Kapuzinerkresse keine unmittelbar letale Wirkung entfaltet, sehen viele Teller aus wie ein Schrebergarten oder ein Botanikführer: Was blüht denn da? Manchmal erwarten einen auch Rosenblätter sowie Salbei- oder Lavendelblüten, letztere manchmal zusammen mit ihren harten Stengeln, die gut als Zahnstocher taugen. Provence-Feeling kommt da keines auf.

Natürlich erwarten die Blumenmädels und -jungs in der Küche, dass man die dekorativen Dreingaben brav verzehrt, sie sollen sogar einen besonderen Gaumenkitzel bieten. Ich habe davon bis dato nichts bemerkt, was nicht verwundert, weil bunte Blüten Inbegriff der Deko sind und Insekten von ihrer Pracht nur angelockt werden sollen – zum Zwecke der Bestäubung. Von Aufessen ist in der Natur keine Rede, das haben die Menschen erfunden.

Wie schön wäre es, wenn es möglich wäre, generell nur noch das zu servieren, was man bestellt hat. Und wenn man die Mahlzeit nicht mit einer großen Entrümpelungsaktion beginnen müsste.   

Foto: Pixabay

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