Alles Kürbis

von | Nov 6, 2022 | Aufmacher | 0 Kommentare

Gerade sieht man sie wieder an den Straßenrändern, große Haufen von Kürbissen aller Formen, Farben und Schattierungen, die geschäftstüchtige Landwirte oder Händler abwerfen oder auf hölzerne Stellagen schichten, wo man sich gegen einen kleinen Obolus selbst bedienen kann.

Der Kürbis-Hype hat das Land seit einigen Jahren fest im Griff. Kaum ein Restaurant, das im Herbst und Winter nicht wenigstens ein Kürbisgericht auf der Speisekarte führt, meist die beliebte Kürbissuppe. Natürlich gibt es Kürbiskochbücher zuhauf und im Fernsehen erklären Experten, Köche und Hobbyzüchter, was man mit den gelben, roten oder grünen Kugeln alles anstellen kann.

Kürbis wurde vom spießigen Allerweltsgemüse, das ehrgeizige Kleingärtner züchteten, um es mit einem Monsterexemplar ins Guinness-Buch der Rekorde zu schaffen, zum trendigen Symbol neuer Einfachheit in der Küche und Wiederentdeckung der Wintergemüse, die auch ohne Kühlung längere Zeit haltbar und damit – klimafreundlich – sind. Selbst bei Zimmertemperatur kann man Butternut- oder Hokkaido-Kürbisse locker mehrere Monate aufbewahren, ohne dass sie Schaden leiden. Angeschnitten sollte man sie allerdings im Kühlschrank aufbewahren und innerhalb weniger Tage verarbeiten, weil sie sonst wahlweise matschig oder trocken werden.

Ursprünglich stammt der Kürbis aus Mittel- und Südamerika und wurde von den spanischen und portugiesischen Entdeckern nach Europa gebracht, wo die genügsame Pflanze schnell eine neue Heimat fand, oft auf einem Misthaufen, was seinem Ruf nicht gerade zuträglich war. Es gibt hunderte von Sorten, von denen aber hierzulande eigentlich nur drei in der Kulinarik eine wahrnehmbare Rolle spielen: Butternut-, Hokkaido und Muscatkürbis.

Der größte dieses Trios ist der Muscatkürbis. Er wiegt zwischen fünf und dreißig Kilogramm und wird in dicken Scheiben verkauft. Seine harte Schale ist tief eingekerbt und, je nach Reifegrad, dunkelgrün bis orange. Wie der Muscatkürbis gehört auch der Butternut zu den Moschuskürbissen. Er hat jedoch eine ganze andere, längliche Form, wiegt maximal zwei Kilogramm und verfügt über eine glatte, hellorange Schale. Ebenso „handlich“ wie der Butternut ist der Hokkaido mit seiner intensiven, orangeroten Schale. Er wiegt zwischen 0,5 und 1,5 Kilogramm.

Die besonders hübsch anzusehenden, oft bizarr geformten Minikürbisse sind meist ungenießbar und können sogar giftig sein. Sie dienen vor allem als Dekoware. Viele Menschen drappieren sie sorgfältig mit in China zusammen gestoppelten Strohgebinden und anderen Baumarkt-Mitbringseln im Garten oder am Eingang ihres Eigenheims, so wie es in Wohlfühlmagazinen wie „Landlust“ vorgeführt wird. Für Halloween gibt es speziell gezüchtete Halloween-Kürbisse, die aber noch fader schmecken als ihre auch nicht gerade zu den Aromabomben zählenden genießbaren Verwandten.  

Für mich sind die geschmacklichen Unterschiede der einzelnen Kürbis-Varietäten nur schwer auszumachen, vor allem, wenn man das Fleisch nach Entfernung der schlabbrigen Innereien und der harten Schale pikant zubereitet hat. Bei einer asiatisch angehauchten Kürbissuppe mit Ingwer, Curry und Zitronengras schmeckt man den Kürbis selbst, abgesehen von seiner Süße, kaum noch heraus. Auch das gerne über die Suppe geträufelte steierische Kürbiskernöl hat ein so starkes Aroma, das es mehr oder weniger alles überdeckt.

Zusammen mit dem obligatorischen Klacks Schlagsahne und gerösteten Kürbiskernen oder Brotcroutons obenauf kann man nach spätestens zwei Tellern einer solche Suppe nicht mehr papp sagen. Das ist eine Mahlzeit für einen Trupp ausgehungerter Erntehelfer nach achtsündiger Feldarbeit. Modernen Computerarbeitern sei eine Hühnerconsommé empfohlen. 

Allgemein gilt der Muskatkürbis als der aromatischste. Leider ist seine Schale so hart, dass man sie nur mit dem Beil oder der Kreissäge bearbeiten kann. Sollte man so unvorsichtig sein, dazu ein Küchenmesser zu benutzen, kann es vorkommen, dass der eine oder andere Finger als Fleischeinlage in der Suppe landet. Übrigens sollte man auch Kinder davon abhalten, einem Halloween-Kürbis im Alleingang mit dem Schnitzmesser zu Leibe zu rücken, wenn man keinen Notarzteinsatz riskieren will.

Mit dem Muscatkürbis eng verwandt ist der glatte, längliche Butternut-Kürbis, der leichter zu verarbeiten ist und sich wegen seiner „buttrigen“ Konsistenz gut pürieren lässt. Der Hokkaido wiederum ist schon wegen seiner handlichen Form und Haushalts üblichen Größe einer der beliebtesten Kochkürbisse. Er soll nach Esskastanien schmecken, was ich nicht wirklich bestätigen kann. Für mich schmeckt er eben nach – Kürbis. Die relativ dünne Schale des Hokkaido wird beim Kochen und Backen weich; er muss also nicht unbedingt geschält werden.

Ernährungspsysiologisch, also den Nährwert betreffend, sind Kürbisse Nullnummern. Sie bestehen zu durchschnittlich 90 Prozent aus Wasser, dazu kommen ein paar Fasern und Vitamine, darunter etliche Carotinoide, sogenannte sekundäre Pflanzenstoffe, die antioxidativ und damit Krebs verhütend wirken sollen. Trotzdem wird aus Kürbis kein Wellnessgemüse. Streng genommen rauscht er durch die Eingeweide hindurch ohne größere Spuren zu hinterlassen. Körper bewusste Menschen wird freuen, dass er kalorienarm ist.

Der bescheidene Nutzen von Kürbissen in Bezug auf ihre oft imposante Größe und die Tatsache, dass Kürbisse einjährige, also schnell vergängliche Pflanzen sind, hat dazu geführt, dass dem Gemüse in der Kunstgeschichte eher negative Bedeutungen zugemessen wurden. So diente der Kürbis als Allegorie des „kurzen Glücks“ und wird als reich mit Schmuck verzierte Frau beschrieben, die ein Szepter in der Hand hält, während sich um ihren Arm die Blätter einer Kürbispflanze emporwinden.

Andererseits gilt er aber auch als Symbol der Auferstehung und des Heils. Dies wird auf die biblische Geschichte zurückgeführt, in der es heißt, dass Gott über Jonas eine Kürbispflanze wachsen ließ, die ihm Schatten spenden sollte. Pilgern und Wanderern dienten ausgehöhlte und getrocknete Kürbisse lange Zeit als Gefäße für Wasser, Wein oder Salz.

In der Küche hat der Kürbis dagegen seit geraumer Zeit einen Ruf wie Donnerhall. Die Bandbreite der Kürbisrezepte ist riesig, angefangen von Kürbissuppe und Kürbisrisotto über Kürbiseintopf und eingelegten Kürbis über im Ofen mit etwas Ölivenöl gedörrten Kürbis als Beilage bis zu komplexeren Gerichten wie einer Kürbislassagne, bei der pürierter Kürbis die Tomatensauce ersetzt. Man kann aber auch rohe  oder leicht angebratene Kürbisscheiben nebst körnigem Ricotta, am besten ricotta di bufala, zwischen die Nudelblätter schichten nebst Streifen von Kochschinken oder gewürfelter Mortadella. Damit alles nicht zu trocken wird, sollte man auf die einzelnen Lagen mehr Bechamelsauce als gewöhnlich löffeln, bevor man das Ganze großzügig mit geriebenem Parmesan bestreut. Wenn diese Komposition auf den Tisch kommt, sind vor allem Kinder kaum zu bändigen. Für mich macht Kürbis mit Pasta ganz allgemein die beste Figur.

Absolute Krönung sind mit Kürbis gefüllte Tortelli, Tortelli di zucca. Ganz klassisch-minimalistisch mit Buttersauce und frisch geriebenem Parmigiano Reggiano werden sie bei den Sorelle Picchi in Parma kredenzt. Nach vorne zur Straße gibt es ein historisches Delikatessengeschäft, wo man neben Parmaschinken und vielen Käsesorten auch frisch bereitete Pasta in allen Variationen kaufen kann, hinten befindet sich die Trattoria. Hierzulande sind Tortelli di zucca fast unbekannt, warum weiß ich nicht. Wenn es einen Kürbishimmel gäbe, er fände sich bei den Sorelle Picchi in Parma.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf kontrafunk.radio

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