Warum Deutschland eine Reservierungskultur braucht

von | Dez. 13, 2024 | Aufmacher | 1 Kommentar

Die Lieferung von Essen nach Hause hat in Deutschland Konjunktur, 2023 setzten die Restaurants damit rund 6,1 Milliarden Euro um. Die professionellen Lieferdienste im Segment „Platform Delivery“ brachten es dagegen nur auf 452 Millionen Euro. Bequeme Sache, Anruf genügt. Doch führt der Hunger direkt ins Restaurant, rühren die meisten Deutschen das Telefon nicht an. Einen Tisch zu einem bestimmten Tag und einer bestimmen Uhrzeit zu reservieren, ist für viele Zeitgenossen so unvorstellbar, wie die Frage nach dem Weg, wenn das Navi seinen Dienst verweigert. Deutsche Gäste lieben das Überfallartige, die Heimsuchung ohne Ankündigung, die freudige Botschaft „Hurra, wir sind jetzt da“.

In der Kebab-Hölle oder beim Italiener um die Ecke funktioniert das noch in aller Regel. Ganz anderes in der Spitzengastronomie und auch in immer mehr gediegenen Wirtshäusern. Dort ist das unverhoffte plötzliche Auftauchen von Gästen, sogenanntes „walk in“, so beliebt wie der sonntägliche Besuch von Tante Erna, wenn die Kinder aus dem Hause sind und eigentlich sturmfreie Bude wäre. Die meist nicht sehr großen, mit den Insignien kulinarischer Bedeutung dekorierten und oft mit nicht mehr als 30 Plätzen ausgestatteten gastronomischen Kuschelecken möchten gerne wissen, wer wann kommt und wenn ja, wie viele.

Das ist für die Planung des Wareneinsatzes enorm wichtig, denn in der Spitzengastronomie ticken die Uhren anders. Hier stehen hochprofessionelle Spezialisten am Herd, die nicht mal schnell noch etwas vom dem aufgetauten Zeug, was eh weg muß, durch die Fritteuse schleudern, oder den Formschicken auf der Pizza einfach weglassen und die Kreation den staunenden Gästen als „Beste wo gibt“ verkaufen.

Was in Gourmet-Restaurants auf die Teller kommt, ist in aller Regel tagesfrisch eingekauft, von ausgezeichneter Qualität und im besten Fall „à la minute“ zubereitet. Drei wirtschaftliche Faktoren, die das Angebot, aber vor allem die Restaurant-Preise beeinflussen. Und ein Spiel, das jeden Tag aufs Neue an seine Grenzen stößt. Alles beginnt ganz harmlos. Der Gast reserviert schriftlich oder telefonisch einen Tisch im Restaurant, bestätigt Tag und Uhrzeit. Der Gastronom kauft entsprechend der annoncierten Personenzahl die Ware ein. Doch am vereinbarten Termin kommen die Gäste einfach nicht, sind telefonisch nicht erreichbar. Wenn ausnahmsweise doch jemand ans Telefon geht, erfährt man von der plötzlichen schweren Krankheit der Katze, der Autopanne und damit einhergehender Immobilität, oder dass die Oma schon wieder gestorben ist und einem deswegen, verständlicherweise, nicht der Kopf nach kulinarischer Zerstreuung steht.

„No-show“ heißt der dazu passende Begriff, der jedem Gastronomen die Zornesräte ins Gesicht treibt. Es ist ein bisschen wie bestellt und nicht abgeholt. Dazu kommt, dass anderen Gästen eventuell abgesagt wurde, weil ausreichend Reservierungen vorlagen. Am Ende bleibt der Gastronom auf den Kosten der „no-show“ sitzen, auch wenn er formaljuristisch Schadensersatz gegenüber dem nicht erscheinenden und nicht absagenden Gast einfordern könnte. Denn rein rechtlich gesehen ist eine Reservierung eine Vertragsanbahnung, zu deren Erfüllung die Parteien zur gegenseitigen Rücksichtnahme verpflichtet sind, und entsprechend Rechte, aber auch Pflichten haben. Soll sich Justitia darum kümmern, wird das ein schwieriger und langwieriger Prozess.

Um dem vorzubeugen weisen einige Gastronomen seit Jahren bei der Reservierung auf eine „no-show“-Gebühr hin, die sie bei Nichterscheinen von der angegebenen Kreditkarte abbuchen. Ein Procedere, dass immer wieder Wellen schlägt. Dabei ist es ein fairer Deal, der zumindest das wirtschaftliche Risiko des Gastronomen etwas abmildert, weil er sich durch die Reservierung, die einer Bestellung gleichkommt, auf die annoncierten Einnahmen verlassen, und mit ihnen planen kann. Warum immer noch Gäste vor allem in der Gourmet-Liga nicht bereit sind, entweder ihre Reservierung rechtzeitig abzusagen, oder als Konsequenz des lautlosen Nichterscheinens eine angemessene „no-show“-Gebühr zu zahlen, hat etwas mit Anstand, Charakter, Stil und Kultur zu tun.

Foto: Pixabay

1 Kommentar

  1. Ich stimme Ihnen völlig zu, dass es ein absolutes no-go ist, Reservierungen aller Art – und nicht nur im Restaurant, sondern auch terminvereinbarungen beim arzt etc. – gegebenenfalls nicht abzusagen. Das gehört sich einfach nicht. Allerdings ist es in unserer Kultur ausser im Falle von sog. haubenlokalen oder großen Familienfeiern bzw. firmenfeiern etc. nie üblich gewesen zu reservieren, und ich finde, das sollte auch so bleiben, dass man mal spontan essen gehen kann, ohne unbedingt dafür den „schachtelwirt“ vulgo McDonald’s ansteuern zu müssen. wenn ein wirt es als überfall ansieht, wenn „unangekündigte“ Gäste reinkommen, hat er eindeutig den beruf verfehlt!
    Weil Sie in diesem Zusammenhang Pizzerien erwähnen, wo man nicht reservieren muss: Die nicht nur meines Erachtens beste pizzeria Wiens, die unter dem Namen Adriano seit mehr als 50 Jahren in einem der miesesten Bezirke Wiens residiert, ist an jedem wochentag zu jeder tages- und abendzeit so bummvoll, dass man ohne Reservierung keine Chance auf einen freien Tisch hat… Hier reserviert man also als Gast aus reinem Eigennutz, nicht um dem Gastronomen bei der einkausplanung behilflich zu sein! Ansonsten sollte es eigentlich so bleiben, wie es ist, man muss nicht jeden Unsinn aus anderen Kulturen übernehmen. Auch das Tisch zuweisen akzeptiere ich zwar im anglikanischen Raum, aber bei uns möchte ich das wirklich nicht haben.

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