Es heißt, man soll keine schlafenden Hündinnen und Hunde wecken, aber es ist doch bemerkenswert, dass jetzt wieder in den Kuchentheken öffentlich zugänglicher Bäckereien in Reih und Glied ganze Heerscharen alter weißer Männer ausliegen – Weckmänner.
Gebacken aus einem hellem Hefeteig, oft verziert mit einer weißen Tonpfeife, die als Phallussymbol gedeutet werden kann. In manchen Gegenden heißen die zu Sankt Martin beziehungsweise Nikolaus produzierten Gebildbrote frecherweise sogar „Stutenkerle“. Sexismus pur.
Eigentlich müsste dieser latente Skandal umgehend Cem Özdemir, unseren vegetarischen Landwirtschaftsminister, dazu veranlassen, eine Verordnung auf den Weg zu bringen, nach der Bäckereien und Konditoreien künftig verpflichtet werden, neben Weckmännern auch Weckfrauen sowie Hefefiguren aller anderen Geschlechter anzubieten. Und wenn Cem schon mal in Fahrt käme, könnte er sich auch gleich des WeihnachtsMANNes annehmen. Zumindest verbirgt sich unter der bunten Alufolie weihnachtlicher Schokoladenhohlfiguren meist eine braune oder gar schwarze Oberfläche, womit eine gewisse Basisdiversität gewährleistet scheint.
Doch zurück zu den Weckmännern, neutraler könnte man von Weckpuppen sprechen. Je nach Region und Mundart gibt es viele weitere Bezeichnungen der Teiglinge in Menschengestalt: allein am Niederrhein etwa Buckmann, Weckkerl, Bauchmann, Klaskerl oder Korinthenkerl. Mit weiteren dialektalen Abwandlungen wie Buckmoan, Weckkäll, Weckpopp, Kloaskäll und Krentekäll. Dabei existieren allein vom Buckmann (hochdeutsch: Bauchmann) die Aussprachevarianten Buckmoan, Buggemoan oder Buckmännke. In der Deutschschweiz heißt das nämliche Gebäck „Grittibänz“. Ein „Gritti“ ist im Berner Dialekt ein alter, gebrechlicher Mann, der mit gespreizten (gegrätschten) Beinen geht. „Bänz“ wiederum ist eine Koseform von Benedikt und ähnlichen, früher beliebten Männernamen.
Männlichkeits- oder Fruchtbarkeitssymbol
Immerhin scheinen die Schweizer, was die Emanzipation ihrer Gebildbrote anbelangt, den Deutschen eine Nasen- respektive Pfeifenlänge voraus zu sein. Ein Zürcher Niklausspruch aus dem Jahre 1546 soll nämlich darauf hindeuten, dass einst bei den Eidgenossen auch weibliche Formen üblich gewesen seien.
Allgemein heißt es, die männliche Gestalt des Weckmannes verweise entweder auf den Bischof Nikolaus von Myra, einen der bekanntesten Heiligen der Ostkirche, oder auf den Heiligen Martin, den dritten Bischof von Tours und Begründer des abendländischen Mönchtums, dem hierzulande am 11. November die traditionellen Martinszüge gewidmet sind, die allerdings Konkurrenz von dem aus angelsächsischen Regionen importierten Halloweenbrauchtum bekommen haben, was wiederum anpassungsfähige Bäcker dazu veranlasste, Halloweenkekse in Kürbis- oder Fledermausform auf den Markt zu werfen.
Bei den nach wie vor christlich konnotierten Weckmännern soll sich die Mitra in eine Mütze, der bischöfliche Hirtenstab in eine Pfeife verwandelt haben, Erklärungen, die mir nicht sehr überzeugend scheinen, wie viele solcher Herkunftsdeutungen. Andererseits könnte es sich bei der Pfeife auch um ein Männlichkeits- oder Fruchtbarkeitssymbol handeln, das vielleicht auf noch weiter zurückliegende Ursprünge dieses Brauches verweisen könnte. Aber wie so oft scheinen Ethnologen und Brauchtumsforscher im Dunkeln zu tappen.
Wohlstandsbürger lehnen das Kauen ab
Noch ein Wort zu dem Teig, aus dem Weckmänner hergestellt werden. Es handelt sich dabei um einen nicht zu stark gesüßten Butterhefeteig, dem zuweilen Rosinen beigegeben sind, im Teig selbst oder als Verzierung obenauf. Je mehr Zucker und Fett der Teig enthält, desto „kürzer“ wird der Teig. Er hat dann weniger Biss, ist mürber und „fluffiger“, was dem herrschenden Geschmacksideal entspricht. Kruste und Biss seien nicht mehr gefragt, sagte mir ein Vertreter der hessischen Bäckerinnung, die Kunden verlangten nach Saftigkeit und Weichheit. Was dem Trend entspricht, dass auch Fleisch heute – als „Pulled Pork“ oder „Sous Vide“ gegart – so mürbe und strukturlos daherkommt, dass man manchmal den Eindruck hat, es mit passierter Kost aus dem Altenheim zu tun zu haben.
Heute ähneln Weckmänner immer öfters französischem Brioche, was ich schade finde. Nicht, weil ich Brioche nicht mag, sondern weil wieder ein Stück Vielfalt verlorenzugehen droht. In meiner Jugend jedenfalls waren die Martinspuppen noch fest, knusprig und schmeckten intensiv nach Hefe. Echtes Hefegebäck, am besten noch lauwarm aus dem Backofen, ist ein Genuss, der schwer zu toppen ist. Mehr Brot als Kuchen, so muss es sein. Manchmal findet man das noch, als mit Hagelzucker bestreute Hefeknoten sogar das ganze Jahr hindurch. Aber leider immer seltener. Sie sollten so zäh sein, dass man sie mit den Zähnen buchstäblich aufwickeln kann. Doch wie alles, was nur im Mindesten anstrengend könnte, lehnen heutige Wohlstandsbürger oft sogar das Kauen ab.
Foto: Pixabay
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