Wohin mit den Kochbüchern?

von | Okt 29, 2022 | Aufmacher | 0 Kommentare

Im Jahr 2018 (neuere Zahlen liegen leider nicht vor) erschienen in Deutschland 1740 (in Worten: eintausendsiebenhundertvierzig) neue Bücher aus der Warengruppe Essen & Trinken. Seither sind es vielleicht sogar noch ein paar mehr geworden, weil die Coronakrise das häusliche Kochen angeblich wieder beflügelt haben soll. Nicht bei all diesen Druckwerken handelte es sich um echte Kochbücher, doch unbestritten zählen die oft opulent bebilderten und flott geschriebenen Rezeptsammlungen zu den beliebtesten Angeboten des Buchhandels überhaupt.

Ich selbst habe in meinem Bücherregal zwei große Abteilungen für alles Gastronomische reserviert, inklusive Wein. Und ständig kommt etwas hinzu, denn Kochbücher zählen (leider) auch zu den beliebtesten Geschenken. Wenn man nicht gerade einen umweltbewussten Veganer mit einem Folianten über die Fleischzubereitung nach der schwer angesagten, wegen des hohen Abfallaufkommens leider sehr unökologischen Sous vide-Methode beglücken möchte, kann man mit einem Kochbuch als attraktive Gabe zu allerlei festlichen Anlässen wenig falsch machen.

Ein paarmal wird man erfahrungsgemäß darin herumblättern, doch dann stehen sie schwer und anklagend im Regal. Denn zum Kochen benutze ich die oft recht voluminösen Schmöker- der „Goldene Plachuta“, ein Geschenk notabene, kommt auf gute zwei Kilogramm – eher selten. Eigentlich dienen mir die meisten Kochbücher, ich hoffe meine Leser mit diesem Geständnis nicht allzu sehr zu enttäuschen, nur als Recherchehilfe für meine Kolumne und als Lektüre fürs stille Örtchen. Wenn sie dann noch auf Französisch geschrieben sind wie eines meiner Lieblingskochbücher „La vraie cuisine francaise“ von Michel Olivier, dem einstigen Chefkoch des berühmten „Grand Vefour“ in Paris, haben sie zudem noch einen hübschen Lerneffekt. Und die Rezepte und frechen gastronomischen Reportagen von Wolfram Siebeck sind ja eigentlich Literatur. Ich kann es nicht oft genug wiederholen: Siebecks völlig unprätentiös aufgemachtes Kochbuch „Alle meine Rezepte“ ist das einzige, von dem ich wirklich profitiert habe und immer wieder profitiere. Bei ZVAB.com kann man es antiquarisch kaufen, zu stolzen Preisen. Trotzdem würde ich sagen, die Investition lohnt sich.

Schöne, verlockende Titel tragen sie: „Das große Buch vom Käse“, „Das große Buch der Desserts“, „Die echte italienische Küche“, „Kaiserliche Mehlspeisen“, „Bayerische Hausmannskost“ oder „Bocuse – Die neue Küche“. Doch am Ende landet (fast) immer wieder das ewig Gleiche auf dem Esstisch, selbst wenn man Tiefkühl- und Fertigkost (Pizza!) konsequent meidet. Es gibt wohl nichts Beständigeres als einen bürgerlich-häuslichen Speiseplan. Ich habe mich immer gefragt, woran das liegt und bin zu dem Schluss gekommen, dass im täglichen Leben zwischen Arbeitsplatz, Supermarkt,  Hausarbeit und Hundespaziergang meist die Routine den Sieg am Herd davon trägt. Man kocht das, was schnell und zuverlässig ein einigermaßen akzeptables Ergebnis liefert, eben was man „drauf“ hat, selbst wenn man überhaupt keine Lust verspürt, nach einem anstrengenden Arbeitstag noch einmal den Kochherd anzuschmeißen. Und mittags für Kinder zu kochen, die im Grunde genommen nur Pommes, Schnitzel und Pizza essen, ist eine Aufgabe, um die ich meine selige Mutter auch posthum nicht beneide. 

Ambitionierter und innovativer gekocht wird vielleicht am Wochenende, wobei man keinesfalls auf den Gedanken verfallen sollte, Gäste mit neuen Kreationen zu beglücken, denn die Wahrscheinlichkeit eines spektakulären Reinfalls ist nicht gering zu veranschlagen. Ich erinnere mich noch gut an einen Freund, der sich zum Silvesteressen erstmals an einer „Charlotte au citron“ versuchte, einem technisch höchst anspruchsvollen Rezept der französischen Grande cuisine. Das Ergebnis überzeugte zwar im Geschmack, der allerdings von einer extrem gewöhnungsbedürftigen Konsistenz überlagert wurde.

Jeder kennt und fürchtet die notorische Frage „Was kochen wir heute“, die in den seltensten Fällen nach einem Blick in eines von hundert Kochbüchern beantwortet wird. Man wird nach einem Stoßseufzer („Keine Ahnung“) etwas genervt einen Vorschlag in den Ring werfen, worauf die Replik „Ach, das hatten wir doch erst letzte Woche“ nicht lange auf sich warten lässt. Am Ende eines kurzen Brainstormings wird man sich salomonisch schließlich auf das einigen, was man vorletzte Woche schon hatte.

Bei uns stehen allerlei Gratins ganz oben auf der Liste der Jeden-Tag-Spezialitäten. Geht schnell, gelingt zuverlässig, ist nahrhaft und schmeckt immer. Um etwa einen Blumenkohl in einen leckeren Auflauf zu verwandeln, braucht es nur eine Béchamelsauce, die man durch Zugabe von Reibekäse in eine Sauce Mornay verwandelt. Die schüttete man über das leicht vorgegarte Gemüse, streut noch etwas Käse obendrauf und ab damit in den Ofen. Dazu Stangeweißbrot und, ich schäme mich fast, das zuzugeben, Tomatenketchup.

Der Bequemlichkeitsregel folgend, kommen bei uns oft Speisen auf den Tisch, die einmal in einer größeren Menge zubereitet und dann mehrere in mehreren Etappen und Varianten verputzt werden. Das funktioniert bestens mit Sauerkraut, das ohnehin nach mehrmaligem Aufkochen immer besser wird. Am ersten Tag gibts vielleicht Nürnberger Rostbratwürstchen dazu oder Leber- und Blutwürste, am nächsten Tag, zumal wenn es ein Freitag ist, ein schönes Kabeljaufilet, für mich der beste aller Fische, was sich bei guten Qualitäten leider auch im Preis widerspiegelt. Und der Rest des sauren Kohls wird schließlich mit Ei und Sahne vermischt und macht sich als Auflage einer Sauerkraut-Quiche sehr manierlich.

Eine der ultimativen Alltagsgenüsse ist für mich Linsensuppe. Sie werden bei uns nicht püriert und mit Sahne zu einer Samtsuppe verfeinert, sondern mit reichlich Gemüse- oder Fleischbrühe und ebenfalls knackig gedünsteten Gemüsen in ein rustikales Gericht irgendwo zwischen Suppe und Eintopf verwandelt. Das kann man sogar drei Tage hintereinander essen, danach ist dann allerdings wieder ein Gemüsegratin an der Reihe.

Gerne kommt bei uns auch ein Omelett auf den Tisch, angereichert mit (getrockneten) Tomaten, Erbsen und Käse – auf Italienisch würde man Gemüse-Frittata dazu sagen. Oder es gibt Ofenkartoffeln mit köstlichem, geschmolzenen Vacherin-Käse aus dem französischen Jura, den wir allerdings nicht mitsamt seiner Holzverpackung in den Ofen schieben und auch nicht mit Zugabe von Weißwein behelligen. Gab es am Wochenende ein opulentes Ochsenfleisch, Tafelspitz oder ein Bürgermeisterstück, wird daraus am nächsten Tag ohne viel Aufhebens ein Tiroler Gröstl. Alltagsküche ist auch immer die hohe Schule der Resteverwertung.

Wer das alles als gehobenes Fastfood bezeichnen möchte, kann dies ruhig tun, ich würde es nicht als ehrenrührig empfinden. Aber Alltagsküche ist nun einmal Alltagsküche, und ich finde, sie muss, allen schönen Kochbüchern mit ihren gestylten Fotos zum Trotz, auch nicht mit der Hochküche im Restaurant konkurrieren. Das ist einfach eine andere Liga. Außerdem gibt es ohne Alltag keinen Sonntag (der nicht unbedingt ein Sonntag sein muss), an dem man sich nach alter Tradition gerne etwas Besonderes gönnt. Meine Horrorvorstellung wäre es, als Michelin-Tester mein Leben fristen und ununterbrochen in Sternerestaurants tafeln zu müssen. Spätesten nach zwei Wochen würde ich den Job quittieren und mir erstmal eine Linsensuppe gönnen.  

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