Weihnacht Down Under: Prawns und Chrissie Ham

von | Dez 21, 2022 | Aufmacher | 0 Kommentare

Von Wolfgang Mann (Sydney)

Weihnachten fällt in Australien gemeinhin in die Zeit der ersten großen Hitzewellen, die derzeit ausfallen – trotz Klimwandels. Dieser Makel wird ein wenig ausgeglichen durch rapide steigende Preise, vor allem beim australischen Weihnachtshauptgericht, dem Seafood. Der Preis für Austern nähert sich dem für Beluga Kaviar, den man in Australien nur noch vom Hörensagen kennt, seit keine russischen Frachtschiffe mehr an Australiens Küsten anlanden, deren Besatzungen immer für einen kleinen Deal gut waren: eine kleine Dose Kaviar entsprach der Monatsheuer in Rubel.

Ohne Seafood geht es nicht an Weihnachten in Down Under, und der Kreditkarte (manche Geschäfte hier sollen noch Bargeld führen, allgemein gilt es wohl als abgeschafft) am nächsten liegen Prawns, die man tatsächlich kiloweise in wunderbaren Salate verwandelt, der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Auch hier gilt schon lange: Wohl dem, der einen Prawnie (einen Prawnfischer) kennt, oder einen kennt, der einen kennt. Allerdings nicht unbedingt der Preise wegen, sondern der Qualität, und vor allem aber der Frische. Und hier sind wir bei einem seltsamen Phänomen: Prawns werden hier manchmal als die „Kakerlake des Ozeans“ bezeichnet, nicht weil sie schmecken wie Kakerlaken, sondern weil sie wie diese in Massen auftreten und unverwüstlich sind.

Die Handelskette sieht so aus: Der Prawnie fischt, der Prawnie bringt sein Boot an Land, der Prawnie lädt die Massen von Prawns in einen Lieferwagen um und fährt damit zur nächsten Cooperative. Wegen der Massen von Prawns zu Weihnachten werden sie dort erst mal eingefroren, so dass man sie nach Bedarf wieder auftauen kann. Das Einfrieren und Auftauen von Prawns vernichtet etwa fünfzig Prozent ihres Geschmacks. Weil es beim Fishmonger so gut wie keine frischen Prawns mehr gibt, wissen viele gar nicht mehr, wie frische Prawns schmecken – es sei denn man kennt einen Prawnie. Der fehlenden Prawngeschmack wird dann mit entsprechendem Salatdressing ausgeglichen…

Ich hatte jahrelang das Glück, einen Prawnie zu kennen. Hatte, denn sein Geschäft gibt es nicht mehr. Zum ersten Mal musste er schließen, weil er unter den Massen von Prawns auch Massen von Marihuana verdealte, worauf er für ein paar Wochen ins Gefängnis kam. Glücklicherweise kam er als Aborigine glimpflich davon. Den Todesstoß aber versetzte seinem Prawn-Business die Covid-Pandemie mit ihren in Australien besonders strickten Maßnahmen.

Anyhow – mit der Zeit hatte es sich herumgesprochen, dass es „bei mir“ die besten Prawns gab, und so kam es, dass mir zur Weihnachtszeit Vorbestellungen für gut 30 und mehr Kilo Prawns ins Haus flatterten. Es wuchs sich tatsächlich zu einem „Illegal Prawn Business aus“, und „meine Prawns“ wurde immer als die feinsten genannt, was vielleicht auch am kurzen Handelsweg lag. Covid setzte dem ein Ende, ein Ende, an dem „mein“ Aboriginal auch seinen Kutter verkaufen musste. Aus mit Prawns! Bis dahin war das ganz Jahr über jeden Freitag „Prawn Friday“.

Prawns sind für Australier das, was die Weihnachtsgans für den Deutschen ist. Doch Prawns müssen im Freien gegessen werden, was gemeinhin BBQ heißt. Dazu gibt es Dosenbier und – Bubbles. Bubbles nennt sich alles, was als Basis Alkohol enthält und im Glase sichtbar aufsteigt. Für die Qualität der Bubbles ist hier das Klassenbewusstsein entscheidend und die jeweilige Plastikkarte, von einer einfachen „direct debit“ angefangen (Spumante mit eingebautem Kopfweh, fast alle „Spritz“) über „VISA“ (australischer Moët, nur leichtes Kopfweh), bis alles auf dem „Gold“ steht (Moët aus Epernay, Dom Perignon, und natürlich auch die gute alte Veuve Clicquot oder Krug).

Zurück zum traditionellen Christmas Lunch: Alles bis jetzt Erwähnte sind lediglich Präliminarien. Man beginnt vielleicht mit einem immer selbstgemachten Punsch, der meistens Sangria heißt und einen Alkoholgehalt von höchstens 1 % aufweist, aber durchaus von sehr angenehmer Qualität sein kann. Er soll hauptsächlich dazu dienen, den hitzebedingten Flüssigkeitsverlust des menschlichen Körpers in vernünftiger Balance zu belassen und sich an einem Glas festhalten zu können, um vernünftige Konversation zu machen, vor allem aber auch um im Verein mit irgendwelchen nibbles (Knabberzeug) die Gäste davon abzuhalten, sich schon jetzt auf die mindestens zwei enormen Glasschüsseln mit geschmacklich verschiedenen Prawn-Salads zu stürzen.

Man muss wissen, dass der Prawn Salad nichts mit Prawn Cocktail zu tun hat. Letzterer enthält eine minimale Anzahl von Prawns, gestreckt mit einer Cocktailsauce, die immer gleich schmeckt und beides zusammen wird in einem Glas serviert. Der Prawn Salad hingegen, die erste Herzkammer eines jeden australischen Chrissie Barbies, enthält geschälte Prawns möglichst mittlerer Größe, 4 inches lang, also etwa 10 cm, denen die Sehne, der Darm, entfernt ist. Da die Menge groß ist, kann bei der Zubereitung des Salad-Dressings ruhig etwas gute Mayonnaise verwendet werden, wobei das Dressing aber eher dem Salat gelten soll, nicht den Prawns. Merke: Prawns vom Prawny sind am besten so wie sie sind – ohne jeden Firlefanz. Hingegen kann man ruhig zwei oder drei verschiedene Dips in die Nähe der Prawn Schüsseln stellen, für solche, die es nicht lassen können sie verfeinern zu wollen.

Das kulinarische Herzstück eines jeden Aussie Chrissie Barbie’s ist allerdings der Christmas Ham, und an dem scheiden sich die Geister. Dabei gilt eine eiserne Regel: Wer beim Chrissie Barbie nicht über den gerade servierten Chrissie Ham spricht und ihn lobt, stattdessen à la française über einen, den er irgendwann einmal irgendwo anders gegessen hat, wird nie mehr eingeladen und sollte idealerweise das Land verlassen. Einen Christmas Ham, also einen Weihnachtsschinken, muss man vorbestellen, so ab Mitte November, er wiegt im Durchschnitt sieben bis zehn Kilo, und wer einmal den richtigen Metzger seines Vertrauens gefunden hat, wird ihn nie mehr wechseln. Auf eine gewisse Weise ist der gute Chrissie Ham mit den Prawns verwandt: Wenn er exzellent ist, und das liegt ausschließlich am Metzger, ist er am besten so wie er ist. Alles was es braucht ist vielleicht ein guter trockener Weißwein, besser noch ein Champagner und vielleicht ein wenig Senf – aber welchen man da nimmt, muss man selber wissen. So einen Schinken zu bekommen ist genauso schwierig wie einen Prawny zu finden, aber nicht unmöglich.

Viele Chrissie Hams bedürfen einer Nachbehandlung zu Hause. Dafür sollte man einen Kurs belegen und zum Beispiel lernen, wie man Ahornsirup über den Ham verteilt, eine Orange darüber auspresst und ihn dann 20 Minuten im Ofen bäckt, bevor man ihn serviert, weder zu dünn noch zu dick aufgeschnitten. Man kann ihn auch spicken mit Nelken, mit Senf einreiben, Zimt und Allspice, auch mit braunem Zucker und Honig, vielleicht sogar Trüffelhonig, und am End’ dann vielleicht sogar noch eine Sauce machen – allein: Hat der Metzger den Schinken einfach und gut gewürzt, ist er schön saftig, dann genügt das vollkommen. Plain, so wie er ist, nach den Prawns und nach einer Pause von gut einer Stunde, die durchaus mit der Betrachtung guter Weine ausgefüllt sein kann, ist er am besten.

Früher gab es nach dem Chrissie Ham – und einer weiteren kleinen Pause – die obligatorische Pavlova. Sie ist ein wenig aus der Mode gekommen, wie auch das Zeitalter des Tiramisu vorbei zu sein scheint. In Zeiten grassierender Enthaltsamkeit scheinen mit Rum oder anderen Alkoholika getränkte Torten oder Kuchen ein No-No geworden zu sein. Alternativ kann man einen Christmas pudding servieren, der übrigens aus England eingewandert ist, dann nur hauchdünn aufgeschnitten und niemals selbstgemacht, sondern in einem Geschäft gekauft, in dem das Rohgewicht des Puddings mit Rohdiamanten aufgewogen wird. Wer einen anständigen Kirschkuchen mit einer ganz leicht angebrannten Kruste backen kann, sollte das auch für den Weihnachtslunch tun. So was liegt voll im Trend.

Eigenartigerweise habe ich noch auf keinem Chrissie-Lunch als Dessert Eiscreme jeglicher Art gesehen. Als wäre es verboten. Ist es aber nicht. Und das in einem Land, in dem bis vor zwei Jahren durchschnittliche Chrissie- BBQ-Temperaturen von vierzig Grad und mehr durchaus nichts Ungewöhnliches waren. Aber auf den Klimawandel ist eben kein Verlass.

Fazit: Das gut gelungene Aussie Chrissie Barbie ist Geselligkeit pur, dauert mehrere Stunden, aber nie bis in die Nacht hinein. Vor Sunset ist Schluss, meist schon früher, so gegen fünf Uhr nachmittags, wobei „gegen 5“ wörtlich zu verstehen ist.

Foto: Pixabay

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