Sterneregen – Bestimmt der Guide Michelin, wie gekocht wird?

von | Mai 17, 2023 | Aufmacher | 0 Kommentare

Karlsruhe, im April 2023. Große Gala einer Reifenfirma. Brav wie Chorknaben reihen sich Köche aus der ganzen Republik und ihre Entourage in die Schlange ein, um nach Vorzeigen einer persönlichen Einladung das begehrte Einlassbändchen ums Handgelenk zu bekommen. Es öffnet die Pforte zu jener Heiligen Halle, in der auch dieses Jahr wieder ein Sternenregen über die Anwesenden niedergehen wird.

Wir sind Teilnehmer der jährlichen Verleihungsshow des Guide Michelin, des berühmtesten und entsprechend mächtigen Restaurant-Führers, der seine Favoriten, laut eigener Aussage anonym getestet, mit einem, zwei oder drei Sternen auszeichnet, die aussehen wie die legendären Pril-Blumen aus den 1970er Jahren. Vielleicht eine Reminiszenz an die Jahre, als die deutsche Gourmet-Gastronomie langsam in Fahrt kam und von sich reden machte.

Die „rote Bibel“ hat den stetigen Weg der Köche und ihrer Restaurants nach oben begleitet, war mit der Verteilung der begehrten Sterne anfangs zurückhaltend, ab den 1990er Jahren großzügiger. Deutlich großzügiger! Heute leuchten über der deutschen Gastronomie 334 Sterne, davon in diesem Jahr allein acht neue 2-Sterne-Restaurants. Der Michelin spricht stolz von einem Rekord, Kritiker dagegen von einer Inflation der Sterne. Den alten und neuen Sterne-Köchen ist das egal, Hauptsache man gehört zum Kreis der Auserwählten.

Wenn Michelin ruft ist man zur Stelle. Auch mal im etwas zu eng gewordenen dunklen Anzug, den man zu diesem Anlass mit der Kochjacke getauscht hat. Dann sitzt die deutsche Kochelite sichtlich ergriffen im Auditorium, schaut gespannt auf die Inszenierung, die alle Register der modernen Bühnentechnik zieht, und lauscht andächtig dem Moderator, der mit seinen platten Witzen auch eine Kaffeefahrt belustigen könnte oder bei der Eröffnung eines Möbelhauses in der Provinz der passendere Unterhalter wäre. Ein Stern nach dem anderen wird aufgerufen und dem damit ausgezeichneten Koch die mit der roten Insignie bestickte Kochjacke überreicht, der innerlich mit Andacht und Demut das Knie beugt, als würde gerade das Allerheiligste vorbeigetragen.

Der Guide Michelin als Königsmacher? Wir wollen es von Ralf Flinkenflügel wissen, dem Direktor für den Guide in Deutschland und der Schweiz, und graue Eminenz des mächtigen Restaurant-Führers. Flinkenflügel verkörpert in Reinform die Kultiviertheit des bürgerlichen Gourmets, ein eloquenter Feingeist mit blitzenden Augen, geschliffener Sprache und perfektem Outfit, der gerne unverbindlich bleibt. Als Königsmacher sieht er den Restaurant-Führer nicht, eher als einen Küchen-Beobachter, dessen Tester kulinarische Situationen beschreiben, ohne sich auf eine Stilrichtung zu fixieren. Er schätze die Vielfalt in den deutschen Küchen, sagt Ralf Flinkenflügel und verweist auf den bunten Mix an Küchenstilen, die im aktuellen Guide mit Sternen ausgezeichnet sind.

Wir werfen ein, dass in den Sterne-Restaurants die klassisch französisch grundierte „haute cuisine“ immer mehr auf dem Rückzug ist, dafür die sogenannte kreative Küche zunehmend die Pole-Position einnimmt und fragen, ob dieser Küchen-Trend von den Inspektoren des Michelin Guides vielleicht bevorzugt werde. Macht der mächtige Guide Michelin Gourmet-Politik und gibt die kulinarische Richtung vor? Für Flinkenflügel steht das nicht zur Debatte. Denn jede Küche die auf ihre Art gut gemacht sei, habe nach seiner, und auch der Vorstellung der Gäste ihre Berechtigung. Das sei das Credo des Guides Michelin, und ganz weit entfernt von Bevormundung oder Vorgaben, die den Inspektoren immer wieder unterstellt würden. Niemand aus dem Kreis des Michelin-Guides würde den Köchen sagen, was und wie sie zu kochen hätten, meint Finkenflügel. Und das sei auch nicht die Aufgabe des Guides Michelin wie irgendeines anderen Restaurant-Führers.

Man mag es glauben oder nicht. Trotzdem fällt auf, dass die weit überwiegende Mehrzahl der mit Sternen bewerteten Restaurant der Kategorie modern/kreativ angehört und Köche, die der schnöden Klassik Tribut zollen, offenbar wenig Chancen haben, sich hohe und höchste Meriten zu erwerben. Manchmal scheint es, wie im Falle von Paul Bocuse in Lyon oder Haeberlin in Illhäusern sogar, dass die konservativen Flaggschiffe von einst demonstrativ abgestraft und heruntergestuft werden. Mit traditioneller Küche gibts vielleicht gerade mal einen Bib Gourmand.

Ralf Flinkenflügel ficht solche Kritik nicht an. Ja, man sei sich natürlich seiner Verantwortung innerhalb der Branche bewusst und nehme diese nicht auf die leichte Schulter. Macht ist am Ende umso mächtiger, wenn man mit ihr umgehen kann. Ralf Flinkenflügel ist mit seinem Charisma dafür sicher ein guter und mächtiger Botschafter, und der Guide Michelin das Instrument in seinen Händen, das ganze Koch-Generationen glücklich oder unglücklich gemacht hat. Denn am Stern hängen nicht nur Renommee und der Respekt der Kollegen, sondern auch Marketing und natürlich Umsatz, und damit Zukunft und Perspektive. Ob eines Tages mehr oder weniger die gesamte krisengebeutelte Gastronomie im Guide Michelin gelistet sein wird? Das steht in den Sternen.

Foto: Pixabay

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