Vegane Weißwurst: Chemie, Wasser und Propaganda

von | Sep 26, 2022 | Aufmacher | 0 Kommentare

„Oh, die schmecken überhaupt nicht!“ Erstaunliche Aussage eines jungen Verkäufers in einem Schwabinger Supermarkt, bei dem ich eine Packung vegane Weißwürste erstand, zu Testzwecken. Vor einer Woche hat in München das Oktoberfest begonnen und die Zeitungen waren voller Berichte über die „vegane Wiesn“.

Gebratene Hendl, Ochse am Spieß, Kalbshaxe, Schweinsbraten, Leberkäs, Steckerlfisch, all dies gebe es natürlich noch, so der Tenor dieser Artikel, doch im Zeichen der Klimakrise böten „immer mehr“ Wiesnwirte ihren Gästen fleischlose Speisen an oder Gerichte, die ganz ohne Tierisches zubereitet werden. Auf der Karte des Schottenhammel-Zeltes fände sich beispielsweise ein vegetarisches Brotzeitbrettl mit „Radieserlfrischkäse, veganem Tartar und Münchner Quinoabrot“. Als vegan gekennzeichnet seien die „gebackenen Kartoffelwaffeln mit Schwammerlragout und Kräutern“.

Im Hofbräuzelt gibt es einen weiteren Wiesn-Klassiker in der woken Variante: Münchner Weißwürste. Die feinen Brühwürste, in der Ursprungsform hergestellt aus Kalbfleisch, Schweinerückenspeck und Gewürzen, darunter Petersilie und Zitrone, werden meist paarweise in heißem Wasser schwimmend serviert. Dazu wird gerne (süßer) Senf und eine ofenfrisch Brezn (Brezel) gereicht. Einer alten Regel nach sollen Weißwürste das „Zwölfeläuten“ nicht gesehen haben, also nur bis zur Mittagszeit gegessen werden. Deshalb spricht man auch von einem Weißwurstfrühstück. 

„Zuzeln“ ist unappetitlich

Wer sich ein oder gar zwei (oder mehr) Paar Weißwürste einverleibt und dazu vielleicht noch ein oder zwei (oder mehr) Maß (Liter) Bier getrunken hat, muss bis zum Abend nichts anderes mehr zu sich nehmen. Insofern lässt sich ein Weißwurstfrühstück, vom Bier einmal abgesehen, mit einem Englischen Frühstück vergleichen, dessen Eigenarten ich in meinem letzten Kolumnenbeitrag gewürdigt habe. Wenn man einmal angefangen hat, sie (die Weißwürste) zu verputzen, kann man oft kaum noch aufhören – den Liebhabern eines „Austernfrühstücks“ soll es ähnlich ergehen.

Weißwürste können, wenn sie von einem guten Metzger stammen, köstlich sein, auch nach zwölf Uhr oder gar zum Abendessen. Sie sind zart, dabei leicht stückig, bissfest und fein aromatisch, dank der Zitrone fast erfrischend. Wie man sie essen sollte, ist immer wieder Gegenstand von Kontroversen.

Angeblich werden sie von Kennern nur „gezuzelt“, also gewissermaßen aus ihrer Haut gesaugt. Ich finde das genauso unappetitlich wie die Unsitte vieler Franzosen, ihr bröselndes Croissant in den Milchkaffee zu tunken. Ästhetischer finde ich es, die Wurst mittels eines scharfen Messers der Länge nach einzuritzen und dann die warme Fleischfüllung mit der Klinge portionsweise herauszuschaben. Man kann natürlich auch Rondelle von der Wurst abschneiden, Radl, wie die Bayern sagen, und die Haut von jeder dieser Scheiben einzeln entfernen, was ich als mühsam empfinde. Mittessen sollte man die Haut niemals!

Von Nicht-Bayern als „Albinopimmel“ verspottet

Bei der veganen Weißwurst oder, ausweislich des Packungsaufdrucks, „Veganen Wurst auf Erbsen-Basis Typ Weisswurst“ entfällt die Auseinandersetzung mit dem Naturdarm, weil sie „praktisch ohne Haut“ verkauft wird – im Supermarkt für 3,50 Euro im eingeschweißten Viererpack, verziert mit bayerischem Rautenmuster. Im Hofbräuzelt auf der Wiesn kosten drei Stück (6,90 Euro) so viel wie zwei echte, weil sie kleiner sind.

Weißwürste werden von Nicht-Bayern, zu denen auch die Franken mit ihrer berühmten Wurstkultur gehören, zuweilen als „Albinopimmel“ verspottet. Die veganen Glitschdinger befinden sich offenbar im Zustand unvollständiger Erektion und rutschen auch ziemlich lustlos ins heiße, nicht kochende Wasser, wo sie circa 15 Minuten schwimmen sollen. 

Der dem Topf entsteigende Geruch erinnert zumindest entfernt an das Original, doch der erste Bissen belehrt einen schnell, dass es sich hier eben nicht um eine handwerklich hergestellte Wurstspezialität handelt, sondern um ein schales Ersatzprodukt. Wobei man nicht wirklich von Biss sprechen kann, weil die seifige Konsistenz einen solchen nicht gestattet. Man hat vielmehr den Eindruck, mit Zähnen und Zunge in einen etwas zu festen Brei hineinzustoßen. „Scheußlich“, sagt mein Ko-Tester. Ich kann dem nicht widersprechen, weil auch der muffig-fade Geschmack keine Freude am Genuss und schon gar keine Wiesn-Stimmung aufkommen lässt. Außerdem hat man bereits nach zwei Bissen das Gefühl, nichts mehr essen zu wollen. Es ist jenes Sättigungsgefühl, das sich überall dort einstellt, wo industrielle Ballaststoffe im Spiel sind.  

Mutmaßliche Hauptzutat der veganen Version: Wasser

Wenn man solche veganen Produkte konsumieren möchte, um das Klima zu retten oder um Tieren noch in die Glusteraugen schauen zu können, empfiehlt es sich übrigens, die Zutatenliste niemals vor dem Essen zu studieren. Im konkreten Fall liest sich dieselbe wie die Anleitung für ein Laborexperiment. Die mutmaßliche Hauptzutat steht ganz vorne: Trinkwasser. Das Münchner Trinkwasser ist ausgezeichnet und unschlagbar billig, weswegen der Hersteller ihm mit gleich drei einschlägigen Zutaten zur nötigen Stabilität verhilft: Metyhlcellulose, Hauptbestandteil von Tapetenkleister, Carrageen, ein Geliermittel aus Rotlagen, sowie Konjak, wobei es sich hier nicht um eine falsch buchstabierte Spirituose handelt, sondern ein Pulver aus der Wurzel der in Asien beheimateten Teufelzunge. „In Verbindung mit Wasser quillt Konjak in der Regel zu festem Gel auf“, heißt es in einer Beschreibung im Internet.

Die auf der Packung ausgewiesene „Erbsen-Basis“ entpuppt sich als „Erbseneiweiß“, das aus grünen oder gelben „Schälererbsen“ extrahiert wird. Sein Anteil in der „Wurst“ liegt bei zehn Prozent. Dazu kommen gehärtetes Kokosfett, Dextrose (Traubenzucker), Hefeextrakt (ein Geschmacksverstärker), Speisesalz, zwei „Säureregulatoren“, die auch zur Konservierung dienen, nebst Gewürzen, Gewürzextrakten und „Raucharoma“. Die zwei Prozent Petersilie wirken in diesem Umfeld schon fast pittoresk.

Alles in allem lässt sich sagen, dass es sich bei der veganen Weißwurst um wenig mehr als stabilisiertes und aromatisiertes Wasser handelt – maximale Wertschöpfung bei minimalem Einsatz bzw. gänzlicher Abwesenheit hochwertiger Zutaten. Ohne die dazu passende Ideologie wären diese Würste genauso unverkäuflich wie Elektroautos oder Klimazertifikate. Auf Anfrage teilt die Pressestelle des Herstellers mit, dass die Wurst tatsächlich zu „einem großen Teil aus Trinkwasser“ bestehe. 

Die Münchner Firma, die für das kulinarische Desaster verantwortlich ist, rühmt sich auf ihrer Webseite, ohne „unnötige“ Zusatzstoffe auszukommen. Dazu gehört ein gehöriges Maß an Chuzpe, weil die Zutatenliste eigentlich aus nichts anderem als unnötigen Zusatzstoffen besteht. Und dass hoch artifizielle „Lebensmittel“ wie vegane Fleischersatzprodukte auch noch als nachhaltig beworben werden – mit dem schwammigen Begriff der Nachhaltigkeit wird ja immer zugleich Ursprünglichkeit assoziiert – kann nur als grandioser Propagandaerfolg der Lebensmittelindustrie gewertet werden.

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