Not amused – die nervige Litanei der „Amuse geules“

von | Sep 20, 2024 | Aufmacher | 2 Kommentare

Ursprünglich handelte es sich bei Amuse geules um jene Dreingaben, die man vor allem in südlichen Ländern zum spätnachmitttäglichen Aperitif serviert bekommt. Sie sind im Preis der Getränke inkludiert und bestehen in der Regel aus gefüllten oder ungefüllten Oliven, Salzmandeln, miniaturisierten Pizzen oder Quiches oder Käsegebäck, in einfacheren Etablissements auch Erdnüssen oder Kartoffelchips. Sie sollten mit einem, höchstens zwei Happen verspeist werden können und keinesfalls so reichlich bemessen sein, dass sie einem den Appetit auf das bevorstehende Abendessen verderben.

Irgendwann hielten die kleinen Köstlichkeiten auch in der Gourmetküche Einzug, manchmal sogar in gehobenen Wirtshäusern. Wenn es feiner zugeht, werden Amuse geules – geule ist im Französischen ein vulgärer Ausdruck für Mund im Sinne von „Fresse“) – zu Amuse bouches. In Deutschland ersann man den „Gruß aus der Küche“, eine sympathische Übersetzung. Speziell in Bayern gibt es die Sonderform der „Magentratzerl“. „Tratzen“ bedeutet, jemanden ärgern, necken oder hänseln. Ärgern sollte ein Magentratzerl natürlich nicht, den Magen necken im Sinne von anregen trifft es eher: ein Appetitanreger.

Als die Mode der Küchengrüße auch in Deutschland um sich griff, war das zunächst eine durchaus erfreuliche Neuerung. In der Regel gab es nur ein einziges Amuse geule, das oft in einem Zusammenhang zum folgenden Menü stand, den einen oder anderen Genuss in gewisser Weise vorwegnahm. Dass man ausnahmsweise einmal etwas geschenkt bekam, steigerte die Freude. Selbst wenn sich die Gastronomen an anderer Stelle schadlos hielten.

Irgendwann entdeckten um kreative Innovationen bemühten Köche, dass sie sich mit Amuse geules profilieren können. Immer elaborierter und zahlreicher wurden die Kreationen, die einem vor dem ersten Gang aufgetischt wurden und werden. Mittlerweile handelt es sich bei der Parade der Küchengrüße in manchen Restaurants beinahe um ein Menü vor dem Menü. Die essbaren Kunstwerk werden auf extravaganten Porzellanskulpturen, Podesten, Etageren oder, wenn es um ein Süppchen handelt, verbogenen Löffeln aufgetragen werden, die so aussehen, als habe Uri Geller sein Unwesen getrieben…

Manchmal firmieren Amuse geules als „Snacks“, „Alpha“ (in Anspielung auf den ersten Buchstaben des griechischen Alphabets) oder „Auftakt“. Fast endlos ist die Reihe der „Snacks“ in Christian Grünwalds Augsburger Zweisternerestaurant „August“, wo man nach einer guten Stunde immer noch nicht beim ersten, regulären Gang angekommen ist. Brot gibt es im „August“ keines, was einerseits die Kalorienaufnahme begrenzt. Andererseits hat man nichts, womit man sich während des fünfstündigen Marathon-Males mit langen Pausen zwischen den Gängen sinnvoll beschäftigen könnte.

Weil die Speisekarten meist keine Auskunft darüber geben, was sich in den Mini-Macarons, hauchdünnen Filoteighüllen, Windbeutelchen oder auch mal einer täuschend echt nachempfundenen „Kirsche“ verbirgt, werden ausführliche Anleitungen zu Ingredienzien und Verzehr gleich mitserviert. „Bitte nicht abbeißen, sondern im Ganzen essen“ lautet die fürsorgliche Ansage, wenn das Inneren einer durchaus solide aussehenden Kreation flüssig gefüllt ist. Bei der mit mediterranen Gemüsen gefüllten Filoteigzigarre heißt es nonchalent: „Krümmeln erlaubt“ und manchmal wird der Gast aufgefordert, nicht mit Messer und Gabel, sondern einem Löffel zu essen, um alle Aromen gleichzeitig genießen zu können.

Irgendwann verliert der Gast schlicht den Überblick. Schlimmer ist, dass man nach der endlosen Litanei der Nebensächlichkeiten keine Lust mehr auf das eigentliche Menü verspürt. Ein Menü, dass oft ob der heute üblichen Miniaturportionen von den Amuse geules kaum noch zu unterscheiden ist. Da ist man dann fast bei den epischen Speisefolgen der Molekularküche mit bis zu fünfzig „Gängen“ angelangt, die jeweils nicht mehr als einen Happen groß waren. Ein verspäteter Triumph von Ferran Adrià, dem wohl erfolgreichsten Zerstörer der traditionellen Küche und Apostel einer genussfeindlichen, essgestörten Überfluss-Gesellschaft.

Foto: Pixabay

2 Kommentare

  1. Auf den Punkt beschrieben! Inzwischen hat man den Eindruck, dass die kunstvoll gebastelten Küchengrüsse das eigentliche Aushängeschild der Küchenchefs sind und nicht die Gänge des Menüs.

    Antworten
  2. Genau so ist es mir ergangen. Gute Freunde luden mich in Nürnberg in ein Gourmet-Restaurant ein. Weiß der Himmel wieviel das gekostet hat. Leider kann ich mich kaum an ein Gericht erinnern, ob der Vielzahl der Speisen und Häppchen. In Erinnerung geblieben ist mir aber, dass der Lammrücken als eigentlicher Hauptgang ein wenig zu durch und die Sauce etwas fad war.

    Die anderen Gänge waren sicher köstlich, aber ich weiß nichts mehr davon.

    Antworten

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert