Es war Liebe auf den ersten Blick. Als ich vor etwa 15 Jahren zum ersten Mal ins Jura kam, dem kleinen, feinen Weinanbaugebiet in Ostfrankreich an der Grenze zur Schweiz, fühlte ich mich in eine andere Zeit versetzt. Keine riesigen Monokulturen wie in Burgund auf der gegenüberliegenden Seite des weiten Saône-Tales bedecken hier die sanfthügeligen Ausläufer des kalkreichen Jura-Gebirges, das sich mit der Crete de la Neige zu immerhin 1700 Meter aufschwingt.
Hier liegen die Weingärten oft wie kleine Inseln in mitten einer anmutigen Landschaft mit Felder, Wäldchen, Felsen und glasklaren Flüsschen, durchsprenkelt von pittoresken Weindörfern wie Arbois, der Geburtsstadt Louis Pasteurs oder Poligny, das als Hauptstadt des Comté-Käses von sich reden machen möchte. Leider drehen sich ausgerechnet über dem reizvollen Talkessel von Poligny seit ein paar Jahren die einzigen Windräder der ansonsten sehr ursprünglichen Gegend, ein Zeichen dafür, dass auch die Franzosen vor dem Rotoren-Irrsinn nicht gefeit sind.
Etwas weiter südlich findet sich das entzückende Dorf Chateau Chalon, wo der berühmte Vin jaune seine wichtigste Heimat hat, das oenologische Aushängeschild des Jura. So vielfältig wie diese Landschaft, dachte ich damals, müssen einmal alle Weinregionen Europas ausgesehen haben, bevor Flurbereinigungen und allseitige Mechanisierung über sie hinweggegangen sind.
Früher war es fast unmöglich, auf Weinkarten in Deutschland eine Kreszenz aus dem Jura aufzutreiben, einen Savagnin, Chardonnay, Trousseau, Poulsard/Plousard oder den königlichen Vin jaune. Das hat sich mittlerweile geändert, beinahe müsste man sagen – leider. Denn heute sind Jura-Weine geradezu in aller Munde, was vor allem daran liegen mag, dass der ökologische bzw. bio-dynamische Weinbau im Jura schon länger eine bedeutende Rolle gespielt hat – rund dreißig Prozent der nur 2000 Hektar großen Anbaufläche werden bereits nach Bio-Richtlinien bewirtschaftet.
Dagegen ist im Prinzip nichts zu sagen, wenn nicht auch die Mode der Naturweine im Jura mehr und mehr Fuß fassen würde. Erst jüngst versuchte ich mich mal wieder wagemutig an einem minimalinvasiv ausgebauten, auf der Maische vergorenen, ungeschwefelten und unfiltrierten Chardonnay von der Domaine de la Pinte, einem ansonsten absolut seriösen Allrounderzeuger nahe Arbois. Vielleicht mögen vom Gedanken der Weltrettung vor dem Klimakollaps durchdrungene Münchner Ökos an diesem überständigen, von Schlieren durchzogenen Gebräu Gefallen finden. Ich halte solche „Weine“ für untrinkbar. Schade ums Geld.
Auch Rotweine der autochthonen Sorten Trousseau und Poulsard, der in dem etwas touristischen Weindorf Pupillin oberhalb von Arbois auch Plousard heißt, sowie Pinot noir werden zum Teil nach den Grundsätzen der Naturweinerzeugung ausgebaut. Obwohl der Unterschied zu den Weißen hier nicht so groß ist, weil Rotweine ohnehin auf der Maische vergoren werden, entstehen auf diese Art oft recht bizarre Tropfen. Was die von der Farbe eher blassen Rotweine des Jura angeht, wird hier der Unterschied zu den Burgunder besonders augenfällig, selbst wenn man die heimischen Sorten zwecks besserer Tanninstruktur oft mit Pinot noir verschneidet.
Trotzdem scheinen viele Menschen bereit zu sein, für Kreszenzen etwa der als Naturwein-Stars gehandelten Weingüter Overnoy und Gavenat mehrere hundert Euro pro Flasche auszugeben. Ich halte das für ein Marketinphänomen, gepaart mit einer Verknappungsstrategie – die Weine von Overnoy und Gavenat werden nur in extrem geringen Mengen hergestellt und gehandelt.
Besser, man hält sich an die Weißen. Ein ordentlich bereiteter Chardonnay aus dem Jura kann viel Spaß machen und kostet immer noch deutlich weniger als von der anderen Seite der Saône. Der König der Reben ist für mich jedoch der Savagnin. Aus ihm wird nicht nur der Vin jaune bereitet, eine Art nicht gespriteter, weiniger Sherry, sondern auch Tischweine feinster Qualität.
Ein Vin jaune wird in kleinen Holzfässern unter einer schützenden Hefeschicht gereift, mindestens sechs Jahr und drei Monate, wobei die verdampfende Flüssigkeit, bis zu vierzig Prozent des Ausgangsvolumens, nicht aufgefüllt wird. Durch den vom Hefeflor regulierten Kontakt mit dem Luftsauerstoff schmeckt ein Vin jaune deutlich oxidativ, zugleich konzentriert und komplex. Je mehr Jahre er in seiner kleinen, den hohen Preis kaschierenden Clavelin-Flasche auf dem Buckel hat, umso besser. Jean Bourdy aus Arlay verkauft auch Jahrzehnte alte Flaschen – zu markanten Preisen versteht sich.
Ein Vin jaune eignet sich vor allem als Digestif und idealer Käse-Begleiter. Außerdem verfeinert man mit ihm köstliche Sahnesaucen, die zu Fisch gereicht werden („Truite au vin jaune“) oder zu dem fantastischen Geflügel aus der nahen Bresse („Poulet au vin jaune et aux morilles“). Lässt man einen Savagnin nur relativ kurz unter der Hefe („sous voile“) reifen, wird daraus ein ansprechender Tischwein, ebenfalls mit einer etwas exotischen, oxidativer Note. Reduktiv im Stahltank ausgebaut, heute spricht man von Stil „non typé“, zeigt ein Savagnin seine fruchtigen und leicht salzigen Noten und sein feines Säurespiel.
Eine auf der Edelfäule basierenden Süßweintradition wie in Sauternes oder im Elsass gibt es im Jura nicht, obwohl auch hier im Herbst oft dichte Nebelschaden übers Land wabern. Dafür gibt es einen Vin de Paille, bei dem die Trauben vor dem Abpressen auf Strohmatten getrocknet werden, wie bei einem italienische Recioto. Der Macvin du Jura wiederum ist ein Likörwein, für den, ähnlich wie bei einem Pineau des Charentes, Traubenmost mit Tresterschnaps verschnitten wird.
Angesichts dieser Vielfalt an oft nur hier anzutreffenden Reben und Zubereitungsmetoden dürfte das Jura noch häufiger von sich reden machen. Hoffentlich konvertieren nicht noch mehr Winzer zu den Naturweinjüngern. Und hoffentlich bleiben die Preise am Boden.
Foto: Pixabay
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