Lafers Niedrigtemperaturgans – Protokoll einer weihnachtlichen Katastrophe

von | Dez. 23, 2024 | Aufmacher | 1 Kommentar

Wenn etwas schief geht, geht es richtig schief. Diese bittere Weisheit, auch bekannt als „Murphys Gesetz“, bestätigte sich vor einigen Jahren anlässlich eines weihnachtlichen Festschmauses im Freundeskreis. Angekündigt war eine Weihnachtsgans nach Johann Lafers Niedrigtemperaturmethode – das Rezept des umtriebigen Sternekochs und Gastrounternehmers war in der Wochenendbeilage der FAZ veröffentlicht worden. Die Gäste fanden sich ein, der Tisch war festlich gedeckt, man stieß an zum Aperitif, plauderte und freute sich auf das avisierte Küchenwunder. 

Irgendwann wurde man gewahr, dass in der Küche eine merkwürdige Geschäftigkeit einsetzte, Gemurmel, klirrende Geräusche, hektisches Hin- und Herlaufen. Dann kam der Gastgeber ins Esszimmer und verkündete, wie ein Intendant, der in der Oper vor vollem Haus die Absage des Hauptdarstellers bekanntgeben muss, ein Malheur. Die Gans sei leider noch nicht fertig, obwohl sie schon einige Stunden im Ofen zugebracht habe. Man möge sich noch etwas gedulden und übergangsweise dem Weihnachtsgebäck zusprechen.

Der Ernst der Lage wurde uns erst hinterher offenbart. In Wahrheit nämlich war die Gans zu dem Zeitpunkt, als der Gastgeber die „kleine Verzögerung“ ankündigte, noch mehr oder weniger roh, Klöße und das Blaukraut hingegen schon servierbereit. Und in der Küche herrschte blanke Panik. Es war ein wenig wie auf der Titanic, als die Passagiere noch vergnüglich speisten und tanzten, während auf der Brücke schon die wenigen Stunden kalkuliert wurden, bis das Schiff unwiderruflich in der eiskalten Tiefsee versinken würde.

Wenn etwas schief geht, geht alles schief: Um zu retten, was nicht mehr zu retten war, wurde unter grober Missachtung der Laferschen Vorgaben der Temperaturregler des Backofens bis zum Anschlag aufgedreht, um den Garprozess gewissermaßen gewaltsam zu beschleunigen, mit der fatalen Folge, dass die Haut der Gans nach kurzer Zeit verbrannt, das Fleisch aber immer noch roh und zäh geblieben war. Jedenfalls ungenießbar.

In einer Blitzaktion beeilte sich nun die Küchencrew, aus dem bereits ausgetretenen Fett und dem Bratensaft so etwas wie eine Soße herzustellen, die leider etwas rauchig schmeckte und, ohne Fleisch, zu den mittlerweile in Auflösung begriffenen Kartoffelklößen und dem glücklicherweise unverwüstlichen Blaukraut serviert wurde, inklusive wortreicher Erläuterungen und Entschuldigungen.

Von einem gelungenen Festessen konnte natürlich keine Rede mehr sein. Doch wurde der Tag doch noch zu einem vergnüglichen Ereignis. Man pichelte kräftig guten Wein und analysierte gemeinsam, wie es zu der Katastrophe hatte kommen können, und „Lafers Niedrigtemperaturgans“ wurde alsbald in den Rang einer Legende erhoben.

Das Malheur erklärte sich im Nachhinein mit der feuilletonistischen Aufbereitung des Originalrezeptes durch die FAZ-Redaktion. Für die angegebene Temperatur von gerade mal 80 (!) Grad war die angegebene Bratzeit viel zu kurz und hätte vielleicht bei Gänseküken funktioniert, nicht aber bei einer ausgewachsenen Weihnachtsgans. Der Gastgeber beschwerte sich brieflich bei Johann Lafer, der sogleich persönlich anrief und zum Trost eines seiner Kochbücher schickte. So gibt es immerhin eine schöne Erinnerung an eine der mutmaßlich größten kulinarischen Katastrophen der Neuzeit.

Foto: Pixabay

1 Kommentar

  1. Schon oft gemacht, ohne je die Geheimschriften eines J.L. je gelesen zu haben.
    Das ist keine Raketentechnik. Wichtig sind nur zwei elementare Zutaten: Zum einen Zeit, zum anderen viel Zeit – wer mag kann noch etwas Zeit drüberstreuen.
    (Dazu eine Flasche Dunkelbier. Nicht zum trinken, zum schluckweise drübergießen.)
    Ich hab dem Vogel, je nach Größe, meist 10-12 Stunden gegeben (ich wählte in der Regel für die erste Hälfte der Zeit 85°C). Nie schiefgegangen.

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