Katastrophenfall Pausengastronomie

von | Aug 13, 2022 | Aufmacher | 0 Kommentare

Richard Wagner, „Die Walküre“, Beginn des ersten Aufzugs: Siegmund fährt laut Regieanweisung „jäh mit dem Haupt in die Höhe“: „Ein Quell! Ein Quell!“. Sieglinde nimmt „schnell ein Trinkhorn“ und verlässt das Haus („Hundings Hütte“). Sie kommt zurück und reicht Siegmund das gefüllte Gefäß: „Erquickung schaff ich“ Während er trinkt fährt sie fort: „Labung biet‘ ich dem lechzenden Gaumen: Wasser, wie du gewollt.“ Eine Aufführung der „Walküre“, Teil zwei des Nibelungenrings, dauert, ob in Bayreuth oder anderswo, etwa vier Stunden – Musik rein netto. Üblicherweise gibt es jeweils eine Pause nach dem ersten und zweiten Aufzug. „Ring“-Pausen dauern stets länger als normale Pausen, oft eine Stunde oder mehr. In dieser Zeit gilt es nun, dem lechzenden Gaumen und knurrenden Magen Labung zu verschaffen.

Wobei wir bei einem trüben Kapitel angekommen sind, der sogenannten Pausengastronomie. Die stellt sich zunächst eher als eine logistische denn kulinarische Herausforderung dar, der sich nur wenige Theater, Opernhäuser und Festivals gewachsen zeigen. Denn die Pausengastronomie ist Stoßbetrieb par excellence. Bei der „Walküre“ beispielsweise muss das Personal eine gute Stunde lang die Zeit totschlagen, bis sich die Türen des Zuschauerraums öffnen und, je nach Größe des Theaters, mehrere Tausend Menschen auf einmal zu den Buffets strömen. Lange Schlange, Rempeleien und schlechte Laune sind unausweichlich.

Wenn man dann nach einer längeren Wartezeit endlich ein Tellerchen mit meist überteuerten Lachsschnittchen und ein Glas Sekt ergattert hat, dessen Preis wiederum dem einer halbseidenen Absteige mit Animierpersonal zur Ehre gereichen würde, muss man seine Beute, Häppchen in der einen, Schaumwein in der anderen Hand, das Programmheft unter dem Arm oder zwischen die Zähne geklemmt, durch eine beständig schubsende und drängelnde Menge hindurch balancieren, bis man ein leidlich ruhiges Plätzchen erreicht hat.

Spätestens dann wird’s kulinarisch, wobei man nicht glauben sollte, dass einen die dünnen, mit oft minderwertigem Käse, Schinken oder Lachs spartanisch belegten Weiß- oder Graubrotscheiben nebst Garnitur wirklich sättigen können. Meist braucht man danach noch ein Stückchen Kuchen nebst einer Tasse Kaffee, womit man beim Preis eines vollwertigen Menüs in einem gehobenen Restaurant angelangt ist. Bei den Salzburger Festspielen kann man sich zur Not noch den Magen mit Mozartkugeln zukleistern, die aber leider nicht von der Konditorei Fürst stammen, die sie erfunden haben will, sondern aus irgendeiner Fabrik, dementsprechend geschmacksneutral und obendrein knochentrocken sind, was wiederum den Kauf einer Flasche Mineralwasser erfordert. Wenn genug Zeit ist, kann man natürlich versuchen, in umliegende Lokalitäten auszuströmen, wobei die Einkehr außerhalb der Spielstätte immer ein Wettlauf gegen die Zeit ist.

Auch im Bayreuther Festspielhaus, das ziemlich weit entfernt liegt vom Stadtzentrum, gibt es natürlich eine eigene Gastronomie, die sich dieses Jahr in neuem, zeitgemäßen Gewand zeigt. Das bisherige Festspielrestaurant heißt nun „Festival Garden“ und folgt laut Mitteilung einem „smart-food-Konzept“. „Mit kleinen Genuss-Portionen, gesund durchdacht und regional bezogen – vom Kuchen, über Vorspeisen, Hauptgängen bis hin zu Nachtischen – werden hier die Gäste umsorgt“, heißt es im betulichen Stil einer Lokalzeitung. Das ehemalige SB-Restaurant rechts neben dem Festspielhaus firmiert nun als „Green Hill Kitchen“ und bietet ebenfalls „smart food“ zum „all inklusive Preis“. Die Außengastronomie links neben dem Festspielhaus wartet mit einem „Walk of Fame“ mit verschiedenen Gastro-Stationen“ auf.  Hier gibt es die beliebte Festspiel-Bratwurst, eine Festspielbrezel oder auch „das neue Festspielhörnchen“. Abgerundet wird das Konzept mit verschiedenen To-Go-Ständen unter dem Namen „Wagner-To-Go“.

Wem das alles zu woke ist, dem bietet sich die Möglichkeit, ins nahe Freiluftbad Bürgerreuth zu entweichen, das von den Bayreuther Stadtwerken selbst als „Geheimtipp am Festspielhügel“ beworben wird. Es verfügt zwar nicht über ein Schwimmbad, dafür aber über eine berühmte Kneippanlage, in der man sich nach hitzigen Diskussionen über allfällige Regiekatastrophen Kühlung verschaffen kann, sowie über einen bodenständigen Kiosk, in dem zu handelsüblichen Preisen unter anderem in heißem Wasser gesottene Würste feilgeboten werden. Eine etwas leichtere Variante der ansonsten meist gebratenen oder gegrillten fränkischen Würste, aber zuzüglich Semmel und Senf oder Tomatenketchup ebenfalls recht sättigend. Leider schließt das Bad schon um 20 Uhr, weswegen dieses Angebot meist nur in der ersten Pause wahrgenommen werden kann.

Wer meint, nach Ende der Vorstellung in Bayreuth noch etwas zwischen die Zähne bekommen zu können, der irrt. Jüngst berichtete mir ein kulinarisch versierter Freund von einer erfolglosen Odyssee nach einer Aufführung des „Fliegenden Holländers“, die der Irrfahrt des Geister-Kapitäns wenig nachstand und ihn fast vor die Tore eines Dönerstandes getrieben hätte, dessen fleißige Belegschaft offenbar als einzige in der ganzen Stadt zu späterer Stunde noch gewillt war, etwas Essbares herauszurücken.

In München gibt es die schöne Tradition, sich bei „Ring“-Aufführungen von Angehörigen der eigenen Sippe oder Freunden catern zu lassen. Man lässt sich Körbe mit Gläsern, Geschirr, allerlei Viktualien und Getränken bis an die Stufen des Opernhauses liefern, wo man sie dann, auf selbigen sitzend, in geselliger Runde verzehrt. Andere machen es sich auf einer steinernen Bank bequem, die sich an der Front der Münchner Residenz zum Max-Joseph-Platz entlang zieht. Hier kommt dann fast Picknick-Stimmung a la Glyndebourne auf, nur ohne englischen Rasen. Auf diese Weise kann man Theatergastronomen elegant ein Schnippchen schlagen.    

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