Langsam beginnt in Süddeutschland wieder die Biergartensaison und damit zumindest für kulinarisch gebildete Menschen eine Zeit der Schrecken. Furztrockene Brathendl, die stundenlang am Spieß rotieren, bevor sie auf dem Teller landen, verbruzzelte Kalbs- und Schweinshaxen, deren Flachsen man nach dem Mahl mit dem Zahnstocher mühsam zwischen den Zähnen hervorfummeln muss, dazu wahlweise holziger oder wässriger „Radi“, Obazda aus der Industrietrommel, „frische“ Brezn aus dem Aufbackofen, irgendein nichtssagender Wurstsalat. Was es so gibt an „zünftigen“ Klassikern.
Schließlich der furchtbarste aller Biergartengenüsse: Steckerlfisch. Empfindlichere Naturen nehmen schon Reißaus, wenn sie nur wenige Moleküle der fettigen, nach verbrannter Fischhaut riechenden Rauchschwaden erschnuppern, die in einer Ecke des Biergartens einem Grill entsteigen, vor dessen Rost die armen Fische an langen Stangen („Steckerl“) aufgereiht ihrem Feuertod entgegensehen.
Wenn es sich wenigstens um Forellen, Saiblinge, Renken handeln würde, die sich in voralpinen Gewässern tummeln. Doch meist sind es billige Makrelen, die penetrantesten und unfeinsten Fische, die sich auftreiben lassen und die bislang meist, umgeben von Tomatentunke, in der Dose landen. Eine ganze gegrillte Makrele lässt sich nur im Zustand fortgeschrittener Alkoholisierung vertilgen. Zwei Maß Bier, also zwei Liter, sollte es schon sein. Am besten mehr.
Leider begegnet man Makrele längst nicht mehr nur im Biergarten, sondern immer häufiger auch in der gehobenen Gastronomie. Zuweilen, sadistische Hommage an den Steckerlfisch, geflämmt, also kurz mit dem Küchenbunsenbrenner behandelt. Ich begegnete einer solchen Kreation in einem sonst sehr angenehmen, mit einem Michelinstern dekorierten Gasthaus in Ostbayern. Das gebeizte, dann mit offener Flamme traktierte und wegen des hohen Fettanteils der Makrele extrem dominant schmeckende Filet überließ ich gerne meiner Begleitung und widmete mich mit umso größerem Genuss der leckeren Muschelkomposition drumherum.
Auch Jan Hartwig, Ex-Dreisternekoch vom „Atelier“ im Bayerischen Hof, der sich unlängst mit einem eigenen Restaurant in München selbständig gemacht hat, präsentiert Makrele auf der Speisekarte. Etwa „verpackt“ in Joghurt und Fäden einer Creme von fermentiertem Knoblauch, die angeblich „ein wenig den aggressiveren Bereich der Makrelenaromen im Zaum hält“, wie Jürgen Dolase anmerkt. Nun, ich habe das nicht selbst gegessen und will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Doch denke ich, dass selbst ein Großmeister der Kochkunst aus einem schwachen Ausgangsprodukt kein Gourmet-Highlight zaubern kann.
Neben zweifelhaften Biergartengenüssen sind gerade Speisen en vogue, die man bislang vom Rummelplatz kannte. Mais zum Beispiel. Mit Butter beträufelt und gegrillt, mag er ja ganz gut schmecken, doch ist man auch hier mit Nacharbeit befasst, wenn es gilt, die zähen Hüllen der weichen Maiskörner wieder aus den Zahnlücken zu bekommen. Köche im Kreativitätsrausch streuen gerne Popcorn über ihre Speisen, mal süß, mal salzig, was vielleicht einen gewissen Dekoeffekt zeitigt, aber geschmacklich keinen Mehrwert bietet.
Auch kleine Maiskolben, eingelegt oder gedünstet, sind nicht besonders delikat, weil sie streng genommen keinen Eigengeschmack besitzen. Bei mir kommt Mais nur als Polenta auf den Tisch. Mit Sahne und Käse verfeinert und vielleicht nochmal mit Käse gratiniert kann man einen solchermaßen verfeinerten Maisbrei sogar als Hauptgericht essen, begleitet von einem frischen Salat. Ansonsten gehört Mais in die Biogasanlage. Oder man benutzt die unter Hitzeeinwirkung aufgepoppten Körner als Ohrenschutz, wie es Mister Bean in einem seiner schönsten Sketche vorgeführt hat.
Mohrenköpfe respektive Negerküsse scheinen es bislang noch nicht in die Hochküche geschafft zu haben, vielleicht weil sich das Wort „Schokoladenschaumkuss“ auf den minimalistischen Speisekarten unserer Tage etwas sperrig ausmachen würde. Dafür bekommt man zum Abschluss eines Menüs zusammen mit dem Espresso immer häufiger handgefertigte Marshmallows serviert. Die wattigen Süßigkeiten bestehen aus Eiweiß, Zucker, Farb- und Aromastoffen sowie einem Geliermittel. Früher war das der Saft des Echten Eibischs, von dem sich der englische Name marshmallow für „Sumpf-Malve“ ableitet. Heute nimmt man meist Gelatine, was die Sache wenig besser macht.
Marshmallows sind besonders in den USA beliebt. Manchmal werden sie vor dem Verzehr auf einem Grill erwärmt oder (auf Stöcke gespießt) über einem Lagerfeuer geröstet. Damit schließt sich der Teufelskreis zum Steckerlfisch. Und zur Zuckerwatte. Einmal kredenzte man mir in einem angesehenen Restaurant in Südtirol eine mit Karamell überzogene Portion Zuckerwatte zum Nachtisch. Da hilft dann auch kein Zahnstocher mehr, sondern nur noch der Gang zur Toilette, um sich den klebrigen Mund und die pappigen Finger abzuwischen. Falls es auch Marshmallows und Makrele gegeben hätte, hätte man dort gleich noch den Rest erledigen können.
Foto: Pixabay
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