Fertiggerichte aus der Dose oder aus dem Glas? Menschen mit einem halbwegs sensiblen Gaumen graust es bei der Vorstellung, so etwas essen zu müssen. Da werden schaurige Erinnerungen wach, etwa an jene Dosenravioli, die man bei den Pfadfindern im Rucksack durch die Wildnis schleppte und abends auf dem Campingkocher oder am Lagerfeuer wärmte: Schlabbrige Teigtaschen ohne jeden Biss, gefüllt mit einer undefinierbaren Fleischmasse, umgeben von einer glasigen, geschmacklosen Tunke, die mit Tomatensauce nur die (blass)rote Farbe verband. Nie mehr, schwor man sich irgendwann! Und dieser Schwur umfasste auch all die anderen vorfabrizierten, zu Tode konservierten Gebinde, die im Supermarkt fahrlässigen Kunden auflauern.
Dass man im späteren Leben doch noch zu einer Eloge des Vorgekochten anheben würde, war einer Krise geschuldet, die vor allem die Gastronomie so durchgeschüttelt hat, wie kaum eine zuvor, von Kriegszeiten einmal abgesehen. Als die Corona-Pandemie in Fahrt kam, hatte Ben Hiller, studierter Betriebswirtschaftler aus Baden-Baden, zusammen mit seiner Lebensgefährtin Theresa Dietrich gerade ein kleines Hotel samt Restaurant übernommen, aus „familiären Gründen“. Man nahm, wie es so schön heißt, Geld in die Hand und renovierte den Laden. Dann kam die feierliche Wiedereröffnung und, vier Tage später, der erste Lockdown und die bange Frage, was nun mit dem Personal geschehen sollte, dass einstweilen beschäftigungslos war.
Da hatte Hiller, der der zuvor bei einem jungen Unternehmen gearbeitet hatte, das Kochboxen – Pakete mit vorbereiteten Zutaten nebst einem Rezept – vertreibt, eine Idee. Warum nicht die Ungunst der Stunde nutzen und selbst Fertiggerichte anbieten, um die darbende, zu erheblichen Teilen der Kunst des Selber-Kochens entwöhnte Bevölkerung zu versorgen und das eigene Personal nicht in die Arbeitslosigkeit schicken zu müssen. Fertiggerichte, die man nicht nur essen, sondern sogar genießen kann: handwerklich mit hochwertigen Zutaten ohne unnötige Zusatzstoffe produziert, schonend konserviert und der edleren Optik und des Umweltschutzes willen in „wertige“ Gläser verpackt.
Mittlerweile bedient Hiller zusammen mit seinem rund zehnköpfigen Team zwei Produktlinien: die Marke „Hungerstiller“ bietet Gerichte, die fix und fertig vorbereitet sind und nur gewärmt werden müssen: darunter allerlei Currys, aber auch Bodenständigeres wie „Frikadelle mit Kartoffelsalat“, „Swiss Geschnetzeltes“ oder den Ikea-Renner „Köttbullar“. „Ideal für jüngere Singles, Studenten oder Leute, die im Homeoffice arbeiten“, sagt Hiller. Die Linie „La Table“ richtet sich eher an die ältere Generation. Hier gibt es Hausmannskost wie Hirschgoulasch, Rinderroulade und Schweinsbraten in Dunkelbiersauce, aber auch Haute Cuisine wie Barbarie-Entenbrust mit Orangensauce. Der Aufwand für die Kunden ist hier ein wenig größer, weil man die Beilagen selbst zubereiten kann.
Die Fleischeinwaage ist laut Hiller so großzügig dimensioniert, dass zwei ältere Menschen mit einem Glas satt werden könnten. Preislich bewegt man sich bei zehn Euro aufwärts, was der Kalkulation eines einfachen Gasthauses entspricht. „Wir sind nicht billig“, gibt Hiller zu. „Doch unsere Produktionsweise ist mit einer industriellen nicht zu vergleichen. Wir machen alles selbst, sogar eigenen Speck ohne Konservierungsstoffe für unsere Rouladen. Und wir achten beim Vorkochen beispielsweise darauf, die zusätzliche Garzeit der Konservierung sowie des Aufwärmens mit einzukalkulieren, damit das Gericht möglichst auf dem Punkt verzehrt werden könne.“
Wer etwas im Internet stöbert, findet noch andere Anbieter etwa “Löwenanteil“ oder „Genussgläschen“, eine Manufaktur aus der Eifel, die damit wirbt, dass hier „Sterneköche“ am Herd stünden. Bei den Hermannsdorfer Landwerkstätten aus Glonn bei München findet man fertig gekochte Suppen, Beilagen wie Rot- und Grünkohl sowie Saucen und Fonds sogar in Bioqualität, ähnlich wie beim idyllischen Hofgut Stöcken mit der Marke Frisch & Fertig im Siegerland in Nordrhein-Westfalen. Längst bieten auch viele Metzgereien und Caterer hochwertige Fertiggerichte, meist im Glas. Verkauft werden sie im eigenen Laden, übers Internet oder, immer häufiger, über Automaten am Ladeneingang, die es gestatten, sich auch nach Geschäftsschluss oder an Wochenenden zu versorgen.
Insgesamt ist der Markt für solche Speisen allerdings noch überschaubar, woran Corona nicht viel geändert hat. Im vergangenen Jahr griffen die deutschen Haushalte nach Auskunft der Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg (GfK) durchschnittlich rund zehn Mal zu gekühlten oder ungekühlten Fertiggerichten, wobei traditionelle Hausmannskost – Eintöpfe, Gulasch, Currywurst – besonders beliebt ist. Fertiggerichte in Gläsern haben nur einen geringen Anteil, nämlich ganze 2,5 Prozent am Gesamtabsatz der gekühlten und ungekühlten Fertiggerichte. Im Coronajahr 2020 sei dieser Anteil leicht auf 2,8 Prozent gestiegen, seither wieder rückläufig.
Aber ein Nischenmarkt ist eben auch ein Markt. Herbert Berthold, Gastronom aus München-Schwabing, bedient diesen Markt schon seit acht Jahren, lange bevor sich eine Krise vom Kaliber Corona am Horizont abzeichnete. Sein Bistro „Zum Feinschmecker“ versorgt die Nachbarschaft mit allerlei überwiegend bodenständigen Speisen, die man vor Ort an Stehtischen genießen oder sich zum Mitnehmen warm einpacken lassen kann. „Eigentlich ging es uns nur darum, zu viel Produziertes, das abends übriggeblieben war, sinnvoll zu verwerten.“ Also begann man, die Reste des Tages in Gläser zu füllen und bei 90 Grad unter Dampf fast ohne Geschmacksverlust zu konservieren – so sind sie gekühlt bis zu drei Monate haltbar „Sehr gut angekommen“ sei die Idee, so gut, dass Berthold vor kurzem in der Nähe des Stammhauses einen separaten Laden eröffnete, der vor allem Fertiggerichte in Gläsern verkauft. Renner, wie gehabt, Rinderroulade, außerdem Geschmorte Römische Ochsenbäckchen sowie Suppen, die saisonal wechseln: Sellerie, Kürbis, Spargel.
Mit einer Gründungsgeschichte der ganz eigenen Art kann die „Feldküche Wittenberge“ im brandenburgischen Wittenberge an der Elbe, nicht zu verwechseln mit der „Lutherstadt Wittenberg“ aufwarten, die ebenfalls über ein stattliches Sortiment handwerklich hergestellter, in hübsche Gläser verpackter Fertiggerichte verfügt. Als die DDR im Orkus der Geschichte versank und die Nationale Volksarmee (NVA) aufgelöst wurde, hatten auch die alten NVA-Feldküchen vulgo Gulaschkanonen ausgedient und wurden meistbietend verscherbelt. Thomas Opitz, bis dato Koch im „Interhotel Magdeburg“, griff zu und machte sich mit einem zunächst mobilen, dann stationären Imbissangebot in Südbrandenburg selbständig. Bei ihm haben neben gesamtdeutscher Hausmannskost – Königsberger Klopse, Hühnerfrikassee, Sauerbraten – auch regionale Spezialitäten wie „Prignitzer Knieperkohl mit Kasseler“ – mehrere Kohlsorten, zusammen mit Weinblättern sauer eingelegt – sowie diverse DDR-Rezepturen überlebt, allen voran die einstmals so beliebte Soljanka, ein der osteuropäischen Bauernküche entlehnter Eintopf, sowie eine Original „NVA-Erbsensuppe“.
Die Suppe war vergangenes Jahr für einen kleinen Skandal gut, als sich die Direktorin der „Bundesstiftung zur Aufarbeitung der DDR-Diktatur“ darüber erregte, dass Produkte, die das DDR-Unrecht verharmlosten, sogar in Supermärkten zu kaufen seien. Sie bezog sich dabei weniger auf den Inhalt als die Aufmachung der Armee-Erbsensuppe aus der Feldküche Wittenberge – ein Etikett mit einem schwarz-rot-gelben Ährenkranz sowie der Aufschrift „NVA“. Ebenso skandalisiert wurde damals die „Schulküchen-Soljanka“ aus „Kelles Klädener Suppenmanufaktur“ in Kläden in der Altmark. Das Unternehmen hatte es sogar gewagt, das Bild eines „Thälmann-Pioniers“ aus der einstigen Jugendorganisation der SED mit rotem Halstuch aufs Etikett zu drucken.
Antje Mandelkow, Gründerin und Geschäftsführerin von Kelles Suppenmanufaktur, wurde von der Kritik der Stiftung und entsprechenden Presseveröffentlichungen zunächst kalt erwischt. Doch der vermeintliche Skandal erwies sich als kostenlose Werbeaktion. „Wir mussten seither zwei neue Leute einstellen, nur für dieses Produkt“, sagt Mandelkow. Und auf der jüngst zu Ende gegangenen Grünen Woche in Berlin sei der Stand der Suppenküche „schlichtweg überrannt worden“. Besonders gefragt war nicht nur die NVA-Erbsensuppe, sondern auch andere Spezialitäten wie „Kelles Altmärkische Hochzeitssuppe“ – Hühnerbrühe, aufgepeppt mit Eierstich, Spargel und Schweinefleisch. So gelangt mit gewisser Verspätung und beflügelt durch die die neue Lust der Deutschen auf hochwertige Fertiggerichte ein Stück DDR-Küche in den Westen.
Dieser Beitrag erschien zuvor schon in etwas geänderter Form in der Süddeutschen Zeitung (Bezahlschranke).
Foto: Pixabay
0 Kommentare