Wer als Gerne-Esser und Feinschmecker „dem Klima“ helfen möchte, verfügt über einen großen Strauß an Möglichkeiten. Man kann nur noch der kalten Küche frönen, was Strom zum Kochen spart, man kann statt Kerosin getränkter Flugananas auf bayerische Regionalananas ausweichen oder, der Klassiker unter den gastronomischen Klimaschutzmaßnahmen, einer fleischlosen bzw. fleischarmen Ernährung den Vorzug geben. Wer nicht ganz auf Fleisch verzichten möchte, sollte Wild konsumieren, das im Wald frei herumläuft und nicht gezüchtet und mit Regenwald schädlichem Soja gemästet werden muss. Außerdem knabbern Rehe und Hirsche gerne junge Bäume an, die dann als dringend benötigte Kohlenstoffspeicher auszufallen drohen.
Am besten, man macht es wie der übergewichtige Gallier Obelix und vertilgt ein Wildschwein nach dem anderen. Wildschweine sind nämlich, wie eine Studie enthüllt, selbst Klimasäue erster Güte. Sie suchen in den Waldböden nach Wurzeln und Pilzen, die ihre Lieblingsspeise sind. Beim Umgraben befördern sie organischen Humus an die Oberfläche, der sich an der frischen Luft zersetzt. Bei diesem durch Wildschweine getriggerten Verrottungsprozess wird Kohlendioxid frei. Berechnungen von, wie gendermäßig korrekt 2021 in der taz zu lesen war, „Forscher:innen um den Australier Christopher O’Bryan von der University of Queensland“ zufolge, produzieren Wildschweine jedes Jahr 4,9 Millionen Tonnen CO2, indem sie Böden in Gegenden umpflügen, in denen sie nicht heimisch sind.
Allein in Ozeanien, wo die Population sehr groß ist und die Böden überdurchschnittlich viel Kohlenstoff enthalten, “verwüsteten“ Schweine in einem nicht genannten Zeitraum dem Team zufolge rund 22 000 Quadratkilometer und setzten dabei fast 3 Millionen Tonnen CO2 frei. „Letztlich sind Wildschweine ein menschliches Problem. Wir sprechen deshalb von einer weiteren vom Menschen verursachten Klimawirkung“, wird Studien-Mitautor Nicholas Patton zitiert. Mister Patton sei noch darauf verwiesen, dass sich die Wildschweinpopulationen in Deutschland nicht zuletzt deswegen massiv erhöht haben, weil sie stets einen reich mit Biogasmais gedeckten Tisch vorfinden. Auch dies eine „vom Menschen verursachte Klimawirkung“.
Dem Problem indes ist vergleichsweise leicht beizukommen. Zunächst sollte mit Antritt der nächsten Bundesregierung ein wöchentlicher „Wildschwein-Tag“ eingeführt werden, den man angelsächsisch-flott „wild boar-day“ nennen könne. An diesen Tagen würde zunächst in allen staatlichen Kantinen, in Universitätsmensen und Schulen ein Wildschweinessen (zum Beispiel „Cinghiale in agrodolce“, mein Lieblingsrezept, Kochanleitung folgt unten) verpflichtend eingeführt. Des Weiteren könnte man die Abenteuer von „Asterix und Obelix“ zur Pflichtlektüre an den Schulen erklären, anhand derer die Jagd nach und ebenso umstandslose wie massenhafte Verzehr von Wildschweinen schon im Kindes- und Jugendalter eingeübt werden kann.
Die Kampagne würde sicher nicht nur bei den Klimabewegten, sondern auch bei Hobbygärtnern auf Zustimmung stoßen, die zunehmend darunter leiden, dass selbst inmitten von Großstädten ganze Wildscheinhorden in ihre sorgsam gepflegten Gärten einfallen und diese dann erst im Zustand größtmöglicher Unordnung, vulgo Chaos, wieder verlassen.
Leider sind die Wildschweine sehr schlau und wehrhaft, vor allem wenn es sich um eine Wildschweinin (Bache) mit einer Rotte Frischlinge handelt. Man wird den Tieren nur schwer habhaft, was dazu geführt hat, dass manche Jäger alte Waidmannstraditionen über Bord geworfen haben und mit Hightech in Form eines Nachtsichtgerätes auf die Pirsch nach den Schwarzkitteln gehen. Die Jagd mit einem Maschinengewehr, womöglich vom Hubschrauber aus, wird zwar zuweilen diskutiert, hat sich aber noch nicht durchsetzen können. Vielleicht wäre neben der Schweinepest auch der Klimaschutz ein Argument dafür, eine offenbar nicht mehr zeitgemäße Jagdpraxis nun endlich aufzugeben.
Wolfram Siebeck bezeichnete die so schmackhaften wie aufdringlichen Tiere im Vorspann zu seinem Rezept „Wildschweinkeule mit Rotkohl und Kastanien“ einmal politisch unkorrekt als „legitime Nachfahren der NS-Pimpfe: hart wie Kruppstahl, zäh wie Leder“. Doch die Zeiten, als man Siebeck zufolge Wildschweine tagelang in der Erde vergraben oder in Essig und Rotwein beizen musste, um sie einigermaßen essbar zu machen, sind glücklicherweise vorbei. Heute bekommt man so gut wie nie ein altes Tier auf den Teller. Im Gegenteil: Das Fleisch ist meist noch so jung und zart, dass man die alten Angaben zur Kochdauer schlicht vergessen muss, um nicht über den Umweg einer zu langen Garzeit doch ein trockenes Stück Leder auf den Teller zu bekommen.
Heute mariniert man Wild zwar immer noch, aber um des Aromas, nicht der Zartheit willen. Klassisch ist die Variante mit Rotwein, etwas Essig und den üblichen Wildgewürzen wie Wacholderbeeren, Gewürznelken, Lorbeerblättern, Thymian und Pfefferkörnern. Nach dem Anbraten und Garen des Fleisches am Stück wird die Marinade mit einem Wildfonds aufgekocht und vielleicht mit Portwein, Cognac und Preisselbeer- oder Johannisbeerkonfitüre verfeinert.
Immer wieder ist die Rede davon, dass das Fleisch von Wildschweinen hierzulande über Gebühr mit radioaktivem Cäsium belastet sei, ein Relikt der Atomkraftwerks-Havarie von Tschernobyl vor 35 Jahren. Ich halte das Problem für massiv übertrieben, eine der typischen Ökohysterien unserer Zeit. Selbst wenn dem so wäre, ist die Menge an Wild, die Normalbürger im Laufe eines Jahres zu sich nimmt so gering, dass eine Gefahr auszuschließen ist. Das würde sich natürlich ändern, wenn man aus Klimaschutzgründen ab sofort jeden Tag Wildschwein essen müsste. Ökos und Grünen würde dann wohl rasch der Appetit vergehen. Aber sollen sie ruhig an ihrem Veggieburger mümmeln. Umso mehr Gutes bleibt für die anderen übrig.
Foto: Pixabay
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