Wolfram, der Große – zum allerletzten Buch des „Fresspapstes“

von | Nov 22, 2024 | Aufmacher | 0 Kommentare

Wolfram Siebeck war vieles: ein glänzender Unterhalter und scharfzüngiger Sarkast, ein durchaus respektabler Koch, ein leidenschaftlicher Esser, galanter Monsieur und unbequemer Zeitgenosse. Vor allem war er eines: ein unbestechlicher Kritiker dessen, was man ihm servierte. Für einen Koch konnte es die gefühlte Henkersmahlzeit sein, wenn Siebeck es nicht schmeckte oder er schlechte Laune hatte.

Nie wieder hatte ein Gastro-Kritiker diese Macht, Köche in den Olymp zu heben, oder sie ewiger Verdamnis preiszugeben. Aber auch nie wieder wurde das Charisma von Wolfram Siebeck erreicht, dessen kulinarische Kompetenz und Genuss-Intelligenz aus funkelnden Augen blickte, und der auch mal augenzwinkernd für Momente sich selbst die rosa Brille aufsetzte. Siebecks selbsternannte Nachfolger blieben alle in der provinziellen Wichtigtuerei und Selbstüberschätzung stecken, und glaubten mit skurrilen Marotten ihre peinliche Selbstbeweihräucherung kaschieren zu können.

Wolfram Siebeck hatte das nicht nötig. Auch wenn er polarisierte, grummelte und polterte, strahlte seine Kompetenz. Er blieb in jeder Situation der Grandseigneur der deutschen Gastrokritik und bis zu seinem Tod im Jahr 2016 eine spitze, und deswegen gefürchtete, aber auch von Freund und Feind respektierte Feder. Seine Kolumnen lesen sich noch heute wie spannende Abenteuerreisen durch die Welt der Köche und Küchen, teils amüsant geschrieben, teils messerscharf in Wort und Metapher.

Seine journalistische Mission galt vor allem der Verwendung hochwertiger Zutaten, die er in der deutschen Küche seinerzeit schmerzlich vermisste. Kein Thema mit dem man sich im Land des kulinarischen Geizes nur Freunde macht. Der Vorwurf, ausschließlich wohlhabende und einkommensstarke Zeitgenossen könnten sich den Luxus hochwertiger Produkte leisten, während für das gemeine Volk und die Benachteiligten die Krumen bleiben, um deren Vermarktung sich die Discounter erfolgreich kümmern, dominiert bis heute jede Diskussion um das Essen in Deutschland. Wenn gespart werden muss, dann bitte am Essen.

Was aber ist von Wolfram Siebeck geblieben? Von einem der auszog, die Gaumen seiner Landsleute zu verfeinern, ihre kulinarische Neugier für eine an französischen Vorbildern orientierte Genusskultur zu wecken? Zugegeben, seit Siebecks ersten Gastro-Kolumnen in den 1960er Jahren, als Toast Hawaii und Käseigel noch kulinarische Triumphe feierten, hat sich viel verändert. Vieles aber leider nicht im Sinne von Wolfram Siebeck.

Nach wie vor sind die Deutschen in Sachen Genuss veritable Geizhälse und lassen sich bei ihren Sparbemühungen gerne und relativ kritiklos hinters Licht führen. Hinzu kommt, dass die guten Vorsätze bezüglich Nachhaltigkeit, Tierwohl, Naturschutz, Bio und Co. meist an der Kasse enden. Dennoch wird beim Einkauf „auf Qualität“ geachtet. Doch die Bedeutung des Wortes, wie es Wolfram Siebeck verstand, ist heute zur abgedroschenen Phrase und zum sinnentleerten Werbespruch verkommen, den selbst Discounter für ihre billigsten Produkte benutzen. „Genausogut“ wie das Original sei die günstigere, aber in gleicher Qualität produzierte Kopie: viele Verbraucher glauben dieses Märchen, das die Eigentümerfamilien von Discountern und Supermarkt-Ketten innerhalb weniger Jahrzehnte zu Milliardären gemacht hat.

Andererseits hat die Branche mit ihren Angeboten einen enormen Sprung nach vorne gemacht, internationale Spezialitäten gehören heute zum Standard-Sortiment der Supermärkte und Discounter. Mit vielen Schattenseiten. Denn während werbewirksam von saisonal, regional und Bio gefaselt wird, füllen sich die Regale mit Äpfeln und Tomaten aus China und Fleisch aus Übersee, und in die Aufbacköfen der Backketten werden Backrohlinge aus Asien geschoben. Logistisch kein Problem, Transport vor allem zur See sind unschlagbar günstig.

Wie steht es heute mit der Ess-Kultur der Deutschen? Hat Wolfram Siebeck tatsächlich die kulinarische Neugier seiner Landsleute geweckt, ihre Gaumen verfeinert. Mitnichten, denn längst hat die allmächtige Lebensmittelindustrie das Zepter übernommen, den Inhaber geführten Einzelhandel systematisch vom Markt gefegt und dafür gesorgt, dass Delikatessengeschäfte kaum eine Chance haben, in dem hart umkämpften Markt zu überleben. Das allumfassende Sortiment der Einkaufsgiganten sowie der Unwille einen Handwerksberuf zu erlernen, lässt Metzger und Bäcker verschwinden, Fischgeschäft gibt es selbst in Großstädten kaum noch. Braucht man auch nicht, denn in der Tiefkühltruhe warten ja Bordelaiser Schlemmerfilet und Fischstäbchen vom Captain.

Dann also ins Restaurant, um mal wieder richtig gut zu essen? Auch das ist oft nur eine vage Hoffnung. Vor allem traditionelle Gasthöfe und Wirtshäuser, die jahrzehntelang die gutbürgerliche, deutsche Küche gepflegt haben, verschwinden im Eiltempo von der gastronomischen Bildfläche. Dafür hat sich in den Gasträumen jetzt die vielgepriesene kulinarische Vielfalt der bunten, internationalen Gesellschaft eingenistet, eine Vielfalt, die sich oft auch nur als sticknormales Junkfood entpuppt. Schlecht und billig, aber viel bejubelt und der untrügerische Beweis, dass Essen nie wirklich zur deutschen Kultur gehörte, sondern eher als Sättigungsbeilage seine Notwendigkeit erfüllte.

Nein, Wolfram Siebeck wäre gar nicht zufrieden damit.

Seine Lebenserinnerungen, die erst 2023 von seiner Frau Barbara wiedergefunden wurden, sind gerade als Buch erschienen.

„Ohne Reue und Rezept. Mein Leben für den guten Geschmack“
Schöffing & Co. Verlag Frankfurt am Main
240 Seiten, 26 Euro

Foto: Pixabay

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