Saubere Lebensmittel mit Lieferketten-Nachweis, Bio-Qualität ohne Zusatzstoffe, keine genveränderten Produkte, keine Tiertransporte, keine überzüchteten Turbo-Kreaturen, allseitiges Tierwohl, faire Preise im In- und Ausland, kein Verpackungs-Plastikmüll und als Königsdisziplin selbstverständlich die Rettung des Klimas. Die Ansprüche einer satten Gesellschaft sind immens, die Realität des täglichen Einkaufs ist eine andere. Eine ganz andere, bei der einem der Appetit vergehen kann.
Vor einigen Tagen bat mich meine betagte Nachbarin, ich möge ihr doch bitte zwei Schachteln ihrer Lieblingspralinen besorgen, die sie schon als Kind so gerne genascht habe. Eine ihrer noch betagteren Freundinnen hatte ihr erzählt, dass es den Schoko-Klassiker mittlerweile beim Discounter um die Ecke gäbe. Noch dazu unschlagbar günstig, billiger als vor Jahrzehnten im heimatlichen Feinkostgeschäft. Also fuhr ich widerstrebend zu dem Discounter, um dessen Filialen ich seit Jahren einen weiten Bogen mache, weil ich Discounter und ihre Einkaufspolitik grundlegend ablehne. Schon auf dem riesigen Parkplatz kamen mir Zweifel ob der noch riesigeren Autos, vornehmlich SUVs und Kombis aus deutscher Produktion, die dort in Reih und Glied standen. Die werden wohl nicht alle hier einkaufen, dachte ich, und war mir dessen sicher, da der Parkplatz nur wenige Gehminuten von Altstadt und Rheinufer entfernt liegt und entsprechend gerne von Tagestouristen genutzt wird, die sich die Parkgebühren in der Stadt sparen möchten.
Im Laden selbst kam ich aus dem Staunen kaum heraus, hatte ich doch hier die weniger betuchte Bevölkerung vermutet, die laut sozialer Medien, Öffentlichem Rundfunk und Talkshows wächst und wächst und bis ins Kindesalter reicht. Bedauernswerte Menschen, Opfer unserer hartherzigen Leistungsgesellschaft, Arbeitssuchende, die sich seit Jahren aktiv um einen angemessenen Job bemühen, und die sich neben den spärlichen Sozialleistungen und den abgezählten Zuwendungen der Tafel im Discounter mal ein kleines Zubrot gönnen. Quasi gesponsert von den Milliardären, die hinter Billig-Lachs und Co. stecken und ihnen das ermöglichen. Doch irgendwie schien ich mit diesem Klischee auf dem Holzweg zu sein. Denn was sich durch die Gänge des Discounters schlängelte, sah eher nach der gutbürgerlichen Mittelschicht aus, zu der auch die SUVs auf dem Parkplatz passen würden. Teuer aber oft geschmacklos angezogene Ladys, die begleitenden Herren in pastellfarbene Polos der Marke Camp David gehüllt, der Lieblingsmarke von Dieter Bohlen.
Noch erstaunter war ich ob der niedrigen Preise und fragte mich, ob es für den Laden nicht günstiger sei, das ganze Sortiment zu verschenken, um wenigstens die Personalkosten zu sparen. Geduldig stand ich schließlich mit meinen beiden Pralinenschachteln in der Schlange an der Kasse. Vor mir ein Pärchen im Rentenalter, das ich zufällig kannte und wusste, dass er die Pension eines Oberstaatsanwaltes bezieht, und sie selbständig im Event-Bereich tätig war. Was dann von den beiden mit geübten Griffen auf das laufende Band gelegt wurde, machte mich nachdenklich. Jede Menge Red-Bull-Imitationen, zwei Jumbotüten Chips, einige Tiefkühlpizzen, Mineralwasser in Plastikflaschen, Milch-Mix-Getränke, Aufbackware mit Frischesiegel, Schinken, Wurst und Käse in bunten Plastikverpackungen und drei XXL-Packungen einer mir unbekannten Zigaretten-Marke. Kostest ja alles fast nix, außerdem hatte Madame die Plus-Karte des Discounters. Was immer das bedeuten mag. Jedenfalls scheint billig einzukaufen, um anschließend schlecht zu essen, kein Privileg sozial Benachteiligter zu sein. Der Billig-Fraß, der alle Forderungen nach gesunden, nachhaltigen und fair produzierten Lebensmitteln Lügen straft, ist längst in der Mittelschicht angekommen und dort fest etabliert.
Rund 75 Prozent der Bevölkerung kaufen laut Statistik beim Discounter. Und nicht nur Klopapier, wie viele sich exkulpierend erklären. Sie kaufen Lebensmittel, die den Namen nicht verdienen. Sie kaufen angeblich im Discounter, weil Lebensmittel anderswo so teuer geworden sind. Soso, wo bitte ist denn dieses anderswo? Die Discounter haben doch den Lebensmitteleinzelhandel systematisch ruiniert und dafür gesorgt, dass kleinere und kleine Geschäfte verschwunden sind. Die letzten Bäcker und Metzger werden sie auch noch in die Knie zwingen. Und sie haben Werte zerstört, freundlich ausgedrückt, verschoben. Heute glauben viele, dass man gute Butter für 1,50 Euro und zehn Eier für 99 Cent bekommt, dass ein Kilo Fleisch nicht über 10 Euro kosten darf, und der Liter Milch nicht über 1 Euro. Pizza no name gibt es schon für rund einen Euro.
Da sollte man lieber die Verpackung essen, denn die ist mit Sicherheit teurer als der Inhalt. „Können sich Rentner noch Milch leisten?“, titelte eine große deutsche Boulevard-Zeitung, als die Discoutern den Milchpreis um einige Cent angehoben hatten. Kommt darauf an, möchte man meinen. Da der Liter um rund 20 Cent teurer wurde, hat man, trinkt man 10 Liter am Tag, einen Mehraufwand von täglich zwei Euro. Das kann schon an die Substanz gehen. Und was das Thema „teuer“ betrifft, hilft ein Blick in die Statistik. Die zeigt nämlich, wie günstig Lebensmittel im Laufe der Jahrzehnte geworden sind, vor allem wie billig sie in Deutschland gegenüber dem Rest der Welt sind. In diesem Vergleich sind wir ausnahmsweise mal ganz vorne. Spitzenreiter!
Märchenland Discounter, die allermeisten fühlen sich darin wohl und füllen Wagen und Magen. Selbstverständlich zeigt man gleichzeitig Mitgefühl mit den Bauern, die um ihre Existenz kämpfen und wünscht den Tieren alles Gute. Wir sind in Gedanken bei euch. Außer wenn wir an der Kasse der Discounter und Supermärkte stehen. Eigentlich könnte es mir egal sein, wer letztendlich diesen Industriemüll futtert. Ich mag übrigens keine Pralinen. Was mich aber wirklich auf die Palme bringt, ist diese schamlose Verlogenheit und Doppelmoral von Zeitgenossen, die von Bio und Nachhaltigkeit schwadronieren, der Rettung der Kleinbauern und Handwerksbetriebe, dem Schutz der Umwelt und des Klimas, sich gegen Kinderarbeit empören, und sich beim Billig-Textielhändler die Hose für ein paar Euro kaufen, und beim Discounter mit Dumping-Produkten eindecken.
Dass die Deutschen billig essen möchten und dabei ohne Rücksicht auf Umwelt und Tiere ihr Portemonnaie im Blick haben, ist die harte Realität, die immer wieder schöngeredet wird. Natürlich auch von Politikern, die nicht nur beim Essen und Trinken selbst die größten Heuchler und Doppelmoralisten sind.
Verehrter Herr Swoboda,
erlauben Sie einen Zwischenruf zum Zwischenruf? Sie machen also seit Jahren einen Bogen um einen Discounter, dessen Namen Sie zwar nicht nennen aber dafür umso deutlicher im Bild zeigen. Warum Sie nun diesen – oder vielleicht ja alle Discounter – meiden, das bleibt Ihr Geheimnis. Schade! Ich vermute mal „was mit Ethik und Qualität“. Der erste Schock beim Besuch: SUV’s auf dem Parkplatz (In Paris bald nicht mehr zu finden, also als Ausweichdestination für empfindsame Seelen ein Geheimtipp). Vielleicht fahren Sie doch zu selten in unsere schönen und so bunten Innenstädte. Sie werden dort kaum noch einen Supermarkt – Parkplatz finden, auf dem Tagestouristen die Parkgebühren sparen können. Da kommt schnell ein ganz böses Erwachen… Aber der zweite Schock trifft Sie offenbar beim Blick auf die dort „Kaufenden“. Ehemalige Staatsanwälte und Bohlen – Verschnitte mit Chips und Red Bull Suppe im Wagen..mein Gott, was kennen Sie denn für Leute?
Sie haben aus meiner Sicht eine sehr getrübte Wahrnehmung der Wirklichkeit im Lebensmittelhandel. Längst ist – anders als vor 20 Jahren – niemand mehr gezwungen 10 Eier für 99 Cent zu kaufen (wo haben Sie die denn gesehen?) oder „Fleisch für unter 10 Euro“ (was für welches denn :Rindsfilet oder Putenbrust?). Butter für unter 1.50 ist seit drei Jahren eher die große Seltenheit.
Verraten Sie dem Leser aber bitte, wo Sie einkaufen. Ist es der Gemüsebauer, der Sie frisch vom Feld mit Lastenrad versorgt oder der „kleine Türke nebenan“, der morgens die 2. und 3. Wahl auf dem Großmarkt kauft aber so furchtbar nett und autentisch ist? Da zahlt man gern schon mal das Doppelte für leicht Vergammeltes…Ist es der kleine Landmetzger, der in den meisten Fällen gar nicht mehr selbst schlachten darf, weil die EU jeden kleinen Schlachthof kaputt gemacht hat und der deshalb abends in der Metro die Stücke aus der Tönnieshölle für die ach so qualtitätsbewußten Kunden in den Wagen lädt?
Es gibt kaum eine Einkaufsmöglichkeit, die derart klare Nachverfolgung von Lebensmitteln anbietet wie es inzwischen die Discouner tun(müssen). Wähle ich Bio oder Bio Bio und was dergleichen mehr ist und wähle ich Haltungsform 1 oder 4? Deklariert Ihr Metzger des Vertrauens seine Waren denn genau so deutlich?
Und noch etwas: Ja, Sie und ich und Ihre Staatsanwälte wir können uns den Biolachs und den Iberico Schinken für 60 Euro das Kilo und die Bio Butter aus der Heumilchsteillage mit Jahrgangsstempel und personalisierter Kuh für 3 Euro leisten. Wie viele können das aber nicht? Was empfehlen Sie denn diesen Leuten als Einkaufsparadies?
Nebenbei: Netto ist ein Unternehmensteil von EDEKA. Das sind die mit dem blauen Logo, die Lebensmittel lieben aber auf keinen Fall das Geld von AfD Wählern haben wollen. Nur sind diese offenbar so doof, dass sie trotzdem dort einkaufen.
Dann schon lieber zum Discounter meines Vertrauens. Mit SUV aber ohne Camp David. Dafür aber mit klarem Blick für Qualität dort und mit viel Freude daran, wenn jeder bessere und ehrliche Test die Qualität von Olivenöl, Butter oder Lachs wieder mal gegenüber irgenwelchen ideologisch korrekten Weltrettermärkten bestätigt.
Hallo Herr Swoboda, ich bin zwar auch Ihrer Meinung, dass man – soweit es finanziell möglich ist – qualitätsvolle Lebensmittel zu sich nehmen sollte, und auch ich verstehe es nicht, wenn für die Menschen fürs Auto nur das teuerste Motoröl in Frage kommt, aber selber gehen sie dann ins Möbelhaus-Restaurant und stopfen sich mit Convenience-Food den Magen voll.
Aber das Einkaufen im Discounter sehe ich jetzt nicht ganz so unter der Menschenwürde wie Sie: warum soll ich z.B. fürs Klopapier beim teuren Supermarkt (hier in Österreich z.B. Billa Plus, ein Teil der Rewe-Gruppe) ausgeben, wenn Lidl die zumindest gleich gute Qualität viel günstiger hat? Auch recht ansprechende Weine gibt es vom Discounter, und – seien wir uns ehrlich: Waschpulver, Butter, Milch, oft auch Wurst, Schokolade: all das wird für die Discounter oft in denselben Fabriken hergestellt wie die sogenannte „Markenware“, mit vielleicht einer kleinen Abänderung, die aber die Qualität nicht wirklich schmälert. Und bei jenen Produkten, wo man den Unterschied wirklich merkt, gehe ich halt dann zähneknirschend zu den teureren Supermärkten.
Ich habe bis vor kurzem auch gerne und wöchentlich meinen gesamten Fleisch-, Wurst- und Käseeinkauf bei meinem lokalen Fleischer getätigt, der nur leidergottes in Pension gegangen ist. Der Sohn hat für den Laden keine Zukunft gesehen, nun haben wir im gesamten Bezirk Brigittenau (Wien) keinen einzigen Fleischerladen mehr, der von einem „Bio-Österreicher“ geführt wird. Will heißen: ich kann zwar am Hannovermarkt „Halal“-Fleisch vom Rind, Kalb und Lamm kaufen, aber Schwein suche ich vergebens. Wo dann hernehmen, wenn nicht aus dem Supermarkt? Und beim Discounter gibt es ebenfalls Bio, damit man auf Nummer sicher geht. Auch österreichische Wurstsorten kann ich nur mehr in den bekannten Ketten kaufen, kein einziger kleiner Einzelhändler ist mehr fußläufig in meiner Umgebung. Und ohne Auto auch kein Rausfahren zum Bauern am Land…
Ich versuche, wenigstens noch Fisch und Huhn (letzter österreichischer Marktstand, der geht nächstes Jahr in Rente!) auf dem Markt zu erwerben, aber die Vielfalt von früher gibt es da nicht mehr.
Leider werden wir – sowohl was unser Einkommen (das ja seit Jahren nicht mit der Inflation Schritt hält) als auch die Einkaufsmöglichkeiten betrifft – immer mehr gezwungen, zum Supermarkt und in weiterer Folge zum Discounter zu gehen; wirklich eine Wahl bleibt uns ja besonders hier in der Großstadt nicht.