Zander mit Blutwurstkruste, Rehschäufele aus eigener Jagd, Kartäuserklöße mit Weinschaumsoße – der Landgasthof Schwab in Schwarzach am Main gleich neben dem bekannten Benediktinerkloster Münsterschwarzach war das, was man ein bodenständiges Restaurant mit verfeinerter Küche nennt. Viele Jahre wurde die Adresse im Slow Food-Genussführer aufgelistet und sogar Sternekoch Johann Lafer soll hier einmal gegessen haben und begeistert gewesen sein.
Aus, vorbei. Auch diesen schönen Ort im Fränkischen gib es nicht mehr, wobei das Lokal streng genommen noch existiert, jedoch seit kurzem unter Leitung eines italienischen Gastronomen-Paares. Der ehemalige Landgasthof heißt jetzt zeitgeistig „By Franceso“ und bietet das Übliche an Pasta und Pizza ohne Ambitionen. Eben das, was Tausende italienischer oder sich italienisch nennender Restaurants landauf-landab auf der Pfanne oder im Pizzaofen haben.
Nichts gegen italienische, griechische, spanische oder fernöstliche Wirte. Sie sorgen zumindest dafür, dass man überhaupt noch irgendwo einkehren kann. Doch es ist absehbar, dass bald nahezu die gesamte Gastronomie in diesem Land in den Händen von Migranten oder deren Abkömmlingen befindet. Am einen Ende der Skala wird sich ein Meer von Fast- und Ethnofood-Angeboten ausgebreitet haben, auf der anderen das schmale Feld der mit Sternen, Hauben oder Pfannen dekorierten „Gourmetrestaurants“ mit ebenfalls meist internationaler Ausrichtung. Das Inhaber geführte deutsche Gasthaus mit und ohne Übernachtungsmöglichkeit und mit ihm die gutbürgerliche deutsche Küche bleibt auf der Strecke. Vor 30 Jahren gab es in Deutschland noch 70 000 Dorfgasthäuser, heute sind es 25 000, Tendenz weiter stark sinkend.
Um anspruchsloses Ethnofood gleich welcher Provenienz zu servieren, braucht es keine besonderen Kenntnisse, zumal wenn man billige, industrielle Helferlein zu Rate zieht. Ein auf den Punkt gegarter Zander, ein schönes Schmorgericht oder ein ungewöhnliches Dessert zaubert sich nicht so leicht. Dafür braucht es gute Ausgangsprodukte und, um konstante Qualität zu gewährleisten, eine idealerweise auf langer Tradition fußende Handwerkskultur. Auch deren Tage scheinen gezählt zu sein.
Wer in diesem Frühwinter durch die deutsche Provinz fährt, wird ganz unmittelbar Zeuge eines wahrhaft dramatischen Niedergangs der bodenständigen deutschen Gastronomie. Überall steht man vor verschlossenen Türen, blickt in leere Speisekartenaushänge, liest Zettel, auf denen die werte Kundschaft um Verständnis gebeten wird, dass man „aus bekannten Gründen“ sich leider dazu habe entschließen müssen, das Geschäft aufzugeben. Manchmal wird noch darauf verwiesen, wie lange es diesen oder jenen Gasthof schon gegeben habe. Da wird einem weh ums Herz.
Und wenn man noch ein Restaurant findet, das einem behagt und das, oh Wunder, gerade keinen Ruhetag hat, sollte man unbedingt reserviert haben. Auch an normalen Tagen unter der Woche geht heute ohne Reservierung oft nichts mehr. Wer es spontan liebt, muss mit McDonalds Vorlieb nehmen. Oder schon am späten Nachmittag zum Abendessen anrücken, wenn der entsprechende Gasthof dann schon geöffnet hat.
Unsere Winterreise führt weiter durch Mainfranken mit seinen pittoresken Städtchen und Weindörfern, wo man doch immer wieder mal fündig wird, weil hier der Tourismus noch einigermaßen floriert. Doch wenn man hinauf fährt in die Mittelgebirge wie den immer noch recht wilden bayerisch-hessischen Spessart, sollte man sich ausreichend verproviantiert haben. Auch das „Landhotel Hochspessart“ im Luftkurort Heigenbrücken war einmal weithin bekannt für seine gute Küche und ebenfalls bei Slow Food gelistet. Auch hier steht man jetzt vor verschlossenen Türen. Dabei galt der 1994 gegründete Betrieb lange Zeit als Flaggschiff im Naturpark Spessart.
„Die Familie Samer beschäftigt neun Festangestellte, darunter viele langjährige Mitarbeiter, die das familiäre Betriebsklima schätzen. Trotzdem fällt es auch den Samers schwer, Auszubildende und Fachpersonal zu finden. Frau Samer wünscht sich, dass sich mehr junge Leute für diesen abwechslungsreichen Beruf begeistern“, konnte man im Naturparkmagazin lesen. Später hieß es auf der Webseite des Hotels: „Aufgrund der Corona Pandemie und der aktuellen Personalsituation der Hotellerie & Gastronomie ist der Geschäftsbetrieb unseres Hauses vorübergehend eingeschränkt.“ Nun das Aus, offenbar endgültig.
Nicht weit von Heigenbrück schlängelt sich das Flüsschen Hafenlohr durch ein liebliches Wald- und Wiesental, in dem ein wenig die Zeit stehen geblieben scheint. Ein wenig zu sehr, möchte man sagen. Denn eine nennenswerte Gastronomie existiert nicht mehr in dem vor allem an Wochenenden von Wanderern, Radlern und Motorradfahrern frequentierten Tal. Für immer geschlossen hat seit kurzem der Gasthof-Pension „Hoher Knuck“, dessen Wirtin Blanca Muth ebenfalls als Institution galt. Schräg gegenüber im „Gasthaus im Hochspessart“ hatte im Spätsommer 1927 der Schriftsteller Kurt Tucholsky auf einer Spessartwanderung mit Freunden gezecht und pries hernach die „Perle im Spessart“. Café- und Restaurantbetrieb für alle wird hier nur noch freitags und samstags angeboten.
In den siebziger Jahren gab es Pläne, die Hafenlohr zum Zwecke der Trinkwassergewinnung in einem Stausee zu verwandeln. Dagegen wehrten sich die Einheimischen, unterstützt von Umweltschützern. Nach Jahre langen Auseinandersetzungen erreichten sie, dass die Pläne beerdigt wurden. Nun ist die einzigartige Natur und Landschaft des Tales gerettet, doch es stirbt einen anderen Tod. Ironischerweise haben sich das auch jene Umweltaktivisten zuzuschreiben, die einst verhinderten, dass sich im Tal der Hafenlohr ein öder Stausee ausbreitet.
Die Bayerische Staatsregierung nämlich plante vor fünf Jahren zwei touristische „Leuchtturmprojekte“ in der Region, ein den wertvollen Eichenbeständen dieser Waldlandschaft gewidmetes „Eichenzentrum“ im sanierungsbedürftigen Hofgut Erlenfurt im Hafenlohrtal sowie ein „Walderlebniszentrum“ mit Aussichtsturm auf dem Gelände des Bischbornerhofes ein paar Kilometer weiter nördlich. Immerhin 36 Millionen Euro sollten investiert werden, um ein wenig Leben und, wie man heute sagt, Wertschöpfung in diese Gegend zurück zu bringen.
Auch diesmal starteten die Umweltschützer eine Kampagne „aus Sorge um die Zerstörung der geretteten Landschaft im Hafenlortal“ und den „Erhalt bedrohter Arten wie Mittelspecht und Eremit“. Entweder ein „Großschutzgebiet“, idealerweise ein Nationalpark, oder gar nichts. Die Kampagne hatte Erfolg, denn mittlerweile scheint den Politikern die Lust an den Leuchttürmen vergangen zu sein.
In ihren Protestschreiben hatten die Öko-Aktivisten unter anderem gegen die angeblich geplante Errichtung eines „hochsubventionierten Tagungshotels“ mit 34 (!) Betten im Hofgut Erlenfurt gewettert. Außerdem würde der Verkehr im Tal überhandnehmen, weil die Verpflegung der Akademieteilnehmer durch einen Cateringservice gewährleistet werden solle. „Wir schlagen vor, die Kursteilnehmer stattdessen besser in den lokalen Gasthöfen im Hafenlohrtal oder in (der nahe gelegenen Gemeinde) Rothenbuch unterzubringen.“
Doch die Hotellerie und Gastronomie stirbt gerade auf breiter Front. Und so hat man sich ins eigene Bein geschossen, was aber irgendwie gut ins grüne Konzept des wirtschaftlichen Niedergangs passt. Wo sich keine Menschen mehr aufhalten, wo sie nicht mehr übernachten, wandern, radeln, mit Motorrad oder Auto fahren, wo niemand mehr essen und trinken kann, dort droht auch keine Gefahr für Mittelspecht und Eremit. Höchstens für die Menschen selbst, aber die gehören ja offenbar nicht zur Natur.
Foto: Pixabay
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